Schluss mit Schnickschnack (*)
Antonia Barboric mag die Kunst, aber nicht ihre Systemzwänge
„Voll schön" findet sie es, wenn jemand über sie als „Künstlerin" spricht. Aber ab wann sie selbst sich so bezeichnen würde, kann sie nicht sagen. Antonia Barboric ist in Fürstenfeld geboren, studiert in Graz und hat im Jahr 2006 mit „Schnittpunkt Leben" ihr erstes Buch veröffentlicht. Darin lässt sie einen jungen Mann über die Herausforderungen und Entscheidungen im Leben sinnieren. Wo will man hin? Was will man machen? Wer will man sein? Fragen, die auch die 25-jährige Autorin und Fotografin selbst beschäftigen.
Ihre Erstveröffentlichung erscheint Barboric, obwohl erst ein Jahr vergangen ist, „weit weg", die volle Identifikation damit falle mittlerweile schwer. Sie fragt sich auch, wie es ihr gelungen ist, aus einzelnen Ideen diese zusammenhängende Geschichte zu stricken. Wo es doch von ihr sicher „nie einen 300-Seiten Roman" geben werde. Momentan befasst sich die 25-Jährige auch stärker mit Lyrik („Gedichte passieren einfach") und Kurzgeschichten, vor allem aber mit Schwarz-Weiß Fotografie, der sie in der Dunkelkammer Leben einhaucht. Die Absolventin der Grazer Foto-Akademie, von der auch das Titelbild für ARTfaces auf www.kulturservice.steiermark.at stammt, kann sich vorstellen, dass „man mich in Zukunft mehr mit meinen Fotos verbindet."
Ihre aktuellen Arbeitsthemen, sowohl in Literatur und Fotografie, sind die Bereiche Androgynität und die Bedeutung von Geschlechterrollen. Ein bisschen provozieren möchte sie damit schon, aber bitte „subtil". Denn gegen alles Schrille, Aufgeblasene hat Barboric eine gewisse Abneigung, mit der sie auch nicht hinterm Berg hält: „Bei Vernissagen kommt nach Buffet, Sehen und Gesehen-Werden die Kunst oft erst an vierter Stelle." In dieser Welt will Barboric nicht unbedingt zuhause sein. Und findet sich damit in einem Balanceakt wieder - zwischen Mut zur eigenen Arbeit und dem Wunsch nach großen Erfolgen in einem von Trends beherrschten Literatur- und Kunstmarkt. Der kommt ihr oft elitär vor, wie sie sagt, und sie fragt sich manchmal, „warum ich immer rennen muss und andere dauernd gepriesen werden". Aber: „Im Zweifelsfall bleibe ich mir lieber selbst treu und mache die Kunst nebenher" sagt Barboric, die am Grazer Germanistik-Institut gerade an ihrer Dissertation über Literatur zum Holocaust schreibt.
Von der Kunst leben zu können ist ihr Ziel, ein zweites Standbein im Bereich der Wissenschaft kann sie sich aber durchaus vorstellen und sieht das zugleich als Chance, nicht in Alltagstrott zu verfallen. Denn Routine sei „tödlich", und genau das Gegenteil davon verbindet die Autorin und Fotografin mit dem Künstler-Sein: Die Freiheit, nicht jeden Tag gleich leben zu müssen.
Momentan konzentriert sich Barboric auf Wien, wo die Gesellschaft „vielleicht doch offener" sei als in Graz: Anfang November fand im Wiener Film-Klub Schikaneder eine Kombination aus Lesung und Foto-Ausstellung von Antonia Barboric statt, das Wiener Café Sperl könnte die nächste Station sein. Außerdem ist eine Lesung in Frankfurt am Main und eine Schau in der Londoner Nolias Gallery geplant: „London ist einfach meine Stadt", sagt die zweisprachig (Deutsch und Französisch) aufgewachsene Künstlerin.
Sich mit der Kamera den Menschen annähern, in aller Ernsthaftigkeit und Echtheit - so beschreibt Barboric den Anspruch ihrer Bilder. Und damit sich der Betrachter gar nicht erst als schmatzender Buffet-Geier outen kann, werde es bei der Vernissage im Schikaneder „maximal Grissini geben".
Cornelia Schuss
Oktober 2007
Weitere Infos:
www.antoniabarboric.info
(*) Update Antonia Barboric
Die promovierte Germanistin machte ihre Liebe zur deutschen und englischen Sprache zum Beruf. Seit 2006 ist sie Redakteurin für das „Spectrum", die Wochenend-Feuilletonbeilage der Tageszeitung „Die Presse". Zudem ist sie in Wien als freiberufliche Texterin, Übersetzerin und Lektorin tätig.
2014 erfolgte Veröffentlichung ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation im Böhlau Verlag. In „Der Holocaust in literarischer Erinnerung. Autobiografische Aufzeichnungen von Udo Dietmar und Elie Wiesel" vergleicht Barboric die Erzählqualitäten zweier völlig unterschiedlicher Werke zum Holocaust miteinander.
Petra Sieder-Grabner
Redaktionelle Mitarbeit: Anja Radauer
Juli 2020