Sie glaubt an Kreise (*/**)
Die Dramatikerin Natascha Gangl geht organisch im Stückeschreiben auf.
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„Ich glaub an Kreise. Sehr fest glaub ich an Kreise. Ein Kreis ist eine sichere Sache, er hat kein Ende, er bleibt, wie er ist, wenn nicht, heißt er nicht Kreis, so sicher ist der Kreis." - Ein Text, vordergründig über die Kreisform, dahinter über das Leben an sich, gestaltet von der jungen Autorin Natascha Gangl. Die 1986 in Bad Radkersburg geborene Autorin hat bereits mit 18 Jahren neben ihrer Ausbildung zur Kindergartenpädagogin die Dramatikerwerkstatt UniT in Graz besucht. „Das Schreiben ist ganz von selbst herausgewachsen aus innerer Notwendigkeit aus mir wie eine Nase", beschreibt sie selbst ihren Zugang zum Schreiben. Die Arbeit an neuen Texten bedeute für sie „ausatmen", sagt sie.
2005 begann Natascha Gangl mit ihrem Germanistikstudium in Graz und machte nebenbei Assistenzen bei den Regisseuren Dieter Boyer und Sabine Mitterecker. Zu dieser Zeit nahm sie auch am Lesefest von Forum Stadt und UniT & Theaterland teil. Seit 2006 studiert Gangl in Wien Philosophie. Mit ihrem ersten Drama „3+3x3- [graz]" nahm sie 2007 am Retzhofer Literaturwettbewerb teil. Der Text wurde im Anschluss an den Bewerb im Grazer Schauspielhaus bei einer szenischen Lesung vorgestellt. Das zweite Stück trägt den Titel „3 kleine Fische" und stellt das Leben im Wasser mit den Überlebensmechanismen der Tiere als Metapher für das menschliche Dasein, den täglichen Kampf ums Weiterkommen, dar: „Vor langer Zeit haben die Haie beschlossen an Land zu gehen. Langsam. Aufgetaucht. [...] Sie sind riesig. Haie sind riesig. Schauerlich riesig. Schauerlich viele. Und klug. Haie sind sehr klug. Sie trugen Hüte wegen der Flossen. Hüte haben ausgereicht, um uns alle auszutricksen. Alles wegen der Hüte."
Im Herbst 2007 stellte sie ihr neuestes Stück fertig: „Zugvögel/Ein Schauflug". (Die Uraufführung erfolgt am Institut für Schauspiel der KUG Graz in der Inszenierung von Sabine Mitterecker im Jänner 2008). Darin irrt eine Handvoll Figuren durch das Leben, immer auf der Suche nach Wahrheit, nach einem Sinn und nach einem anderen Menschen. Am Ende gibt es keine Lösung, sondern neue Ratlosigkeit: „Wir haben nicht mal Beweise für unsere Geburt. Nur Schwangerschaftsnarben an Bäuchen von Frauen, die älter sind als wir und uns ähnlich sehen. Es ist ein Verbrechen an der Menschheit, wenn Frauen die wegmachen lassen. Aus Eitelkeit. Auch die Lasertechnik - die ganze Schönheitschirurgie. Man erkennt keine Täter und Opfer wieder. [...] Wenn Jesus kommt - wie soll er da richten über die Lebenden und die Toten? Wenn sie alle gleich aussehen?"
Natascha Gangl war unter anderem zu Gast bei den Autorentagen des Staatstheaters Mainz, außerdem steuerte sie Texte bei zur Tanzperformance von Madleine Lissy und Robert Rauch unter dem Titel „Halboffen" bei. Im November 2007 las die junge Steirerin im Grazer Literaturhaus; einen Ausblick auf ihr neues Stück „In Bahnen" gab es im Dezember im Grazer Schauspielhaus bei einer szenischen Lesung.
Lieblingsprojekte hat die Autorin nicht: „Alle sind mir wichtig. Es sind Matroschkas. Man arbeitet sich Schicht für Schicht frei und gleichzeitig ans Eingemachte heran", meint sie. Die Frage nach ihrer Weiterentwicklung skizziert Gangl folgendermaßen: „Es wird unmittelbar bleiben: am Leben, am Arbeiten, am Lernen, am Gefordertsein, am Brennen."
Karin Zehetleitner'
Dezember 2007
*Update 2020: Der Weg zum Klang-Comic
Seit der ARTfaces-Publikation im Jahr 2007 hat Natascha Gangl an einer Vielzahl von Projekten gearbeitet und mitgewirkt. So entstanden in den letzten Jahren mehrere Arbeiten für das Theater in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Spanien und Mexiko sowie Hörstücke und Installationen, welche mehrfach aus der Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen resultierten.
2015 veröffentlichte die Universitätslektorin ihren ersten Roman „Wendy fährt nach Mexiko" im Ritter Verlag. Das Buch wurde später zu einem Klang-Comic und einer Live-Performance-Serie adaptiert. Den Fokus legt sie bei diesen und anderen performativen Arbeiten vor allem auf die Entwicklung von Installationen und Klangkunstwerken. Durch Gangls kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Komponistinnen Maja Osojnik und Matija Schellander entstand der sogenannte Klang-Comic. Der Klang-Comic ist ein neues Genre: Es sind vielschichtige Hörstücke, die von den Künstlerinnen regelmäßig zu dritt live performt werden, und zwar mit der Elektroakustik-Band „Rdeča Raketa".
Zusätzlich gewinnen für die Steirerin das Objekttheater und die visuelle Setzung ihrer Texte immer mehr an Bedeutung. Dabei arbeitet sie häufig mit Mehrsprachigkeit und Techniken wie Überschreibung, Montage und Sampling. In den letzten Jahren beschäftigte sich die Künstlerin aber vor allem mit den Kunstwerken der deutschen Zeichnerin und Autorin Unica Zürn (1916-1970), deren bildnerische und literarische Werke autobiografisch gefärbt sowie stark vom Surrealismus beeinflusst waren. Diese Werke arbeitete sie in einem Essay und Vorführungen im Wiener Kabinetttheater auf. Das Buch „Das Spiel der Einverleibung - frei nach Unica Zürn" mit Bildern von Toño Camuñas ist im März 2020 erschienen. Begleitend dazu ist ein neuer Klang-Comic in Kooperation mit Matija Schellander entstanden.
Momentan arbeitet Natascha Gangl an ihrer unendlichen Theater-Textfläche „Die große zoologische Pandemie" weiter, welche eine Erforschung der Muster und Gegebenheiten des Topos „Invasion" ist. Dieser Text soll von der Regisseurin Marie Bues als installativer Theaterabend „Haus der Antikörper" inszeniert werden. Und das passt auch irgendwie zur aktuellen Corona-Situation.
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Petra Sieder-Grabner
Redaktionelle Mitarbeit: Vilja Schiretz, Anja Radauer
Juli 2020
*Update 2022: Auf den Spuren der Triestiner Kolonialgeschichte
Auf den ersten Blick ist sie Autorin, Theatermacherin und Performerin. Der zweite Blick intensiviert die Sicht auf ihre unterschiedlichen performativen Formate wie Hörspiele, Radioessays, Theaterstücke und Klangcomics. Schon einmal davon gehört? - In Triest begab sie sich auf die Spuren der Kolonialgeschichte und entdeckte Widersprüchliches. Natascha Gangl veröffentlicht Texte, für die sie dem Inhalt gerecht eine Form entwickelt. Schon in ihrem Interview zum Literaturstipendium des Landes Steiermark 2017 fand sie treffende Worte: „Eine Idee, eine Figur greift mich, viele Gedankenblitze, ich schreibe mit, breche die Texte, schneide, collagiere und dabei kommt etwas näher und näher und stellt sich langsam scharf." Ihre Text- und Umsetzungsformen ergeben sich für sie aus der Recherche. Dabei ist sie sehr genau und präzise, und so hielt sie es auch im Rahmen ihres Atelier-Auslandsstipendiums in Triest.
Basis ihrer Bewerbung war ihre Zeit in Mexiko und damit die koloniale Verbindungslinie zu Triest und zum Schloss Miramare, das vom Habsburger Kaiser Maximilian von Mexiko erbaut wurde, der dort auch mit seiner später psychisch erkrankten Frau Charlotte eine Zeit lang lebte. Jedes Jahr besuchen rund zwei Millionen Menschen Schloss Miramare, denen sehr romantisiert vom „humanistischen" Prinzen Maximilian erzählt wird.
Natascha Gangl begegnet diesem Teil der Geschichte über unterschiedliche Texte und Briefe der Eheleute, die sie inhaltlich durchaus „rassistisch und kolonialistisch" empfand. Dies steht aber diametral der Mystifizierung des kaiserlichen Ehepaars und den Narrationen, die auch heute noch vermittelt werden, gegenüber. Natascha Gangl setzt sich mit der Kolonialgeschichte auseinander, sie nimmt genau diesen Zustand unter ihre feine Lupe und unterzieht ihn einer Dekonstruktion und einer Überschreibung. Noch intensiviert wurde ihre Auseinandersetzung mit Kolonialmacht und ihren Gesten durch die Stationierung des Flugzeugträgers USS Harry Truman im April 2022 in Triest, wo dieser aufgrund des Ukraine-Kriegs eine Zeit lang bleiben musste und vom Nato-Verbündeten Italien versorgt wurde. „Das machte imperialistische Phantasien und Gesten, wie auch im Krieg gerade, sehr präsent. Einer der Gründe Maximilians, nach Mexiko zu gehen, war die sonst angeblich unvermeidliche Invasion der USA in Mexiko", erzählt Natascha Gangl. In einem „poetischen Essay" dokumentiert sie das Geschehen aus ihrer Sicht, und über einen Radioessay findet sich das Diskursive ein.
Natascha Gangl vernetzt sich in Triest intensiv und kommt so in ihrer Recherchetätigkeit voran: Sie nimmt Teil an den Radiowerkstätten im San Giovanni Park - bekannt ist dieser Park wegen des psychiatrischen Krankenhauses auf dem Gelände. Dort lernt sie eine Kooperative kennen, in der Gärtner*innen und Sicherheitskräfte beschäftigt sind, die durch ihre Tätigkeiten wiederum viel über das Schloss Miramare erzählen können. Für Natascha Gangl tun sich hier interessante Themen auf: die Kolonialgeschichte Österreichs, die Selbstinszenierung des Hauses Habsburg, der Aufbau und die Vermittlung von Frauenbildern wie jenes von Charlotte. Gleichzeitig entdeckt Natascha Gangl bei ihrer Recherche in den Briefen der beiden Adeligen, wie sie zum Beispiel über Menschen schreiben, etwa beim „Besuch des Sklavenmarktes".
Das Diktat des Kaisers Maximilian sei auch in der Gestaltung des Gartens von Miramare lesbar: Die Bewegungsmöglichkeiten für Besucher*innen seien vorgegeben und eingeschränkt, was sich auch in der Arbeitsatmosphäre der Schlossangestellten widerspiegle. Für Menschen mit Beeinträchtigungen gäbe es immer weniger Möglichkeit, beschäftigt zu bleiben, stellte Natascha Gangl fest. Aus ihren Recherchen, aus ihren Beobachtungen entnimmt sie Details und betrachtet sie mittels essayistischer, lyrischer und poetischer Elemente formwandlerisch neu. Hier finden sich auch ihre Klangcomics, die ein intensives Hörspielerlebnis darstellen, in dem Wort und Bild in Klang und Sprache übersetzt als lautmalerisches Klangereignis erlebt werden.
Und nochmals zurück zu Triest: Widersprüchlichkeit war nicht nur im Schloss Miramare zu erleben, die ganze Stadt wirkte auf Natascha Gangl gespalten, neben dem Leben im Glanz gibt es auch ein Triest im Abseits.
Im Winter möchte Natascha Gangl nach Mexiko, dort wird sie weiter zu Maximilian, Charlotte, der Kolonialgeschichte Österreichs und vielem anderen recherchieren. Danach wird sie ihre Wahrnehmungen wieder in neuen Formaten auslotend einem Publikum zur Verfügung stellen.
Kurzbio Natascha Gangl
Geboren 1986 in Bad Radkersburg, studierte Philosophie an der Universität Wien und Szenisches Schreiben am DRAMA FORUM Graz. Seit 2007 arbeitet sie als freischaffende Autorin und setzte für mehr als zehn Jahre ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt „zwischen" Österreich, Spanien und Mexiko. Sie assistierte und bearbeitete zahlreiche Texte für Christoph Schliengensief, war Hausautorin am Staatstheater Mainz. Sie schreibt vor allem Theatertexte, experimentelle Prosa und Essays, erforscht dabei Sprache in allen Aggregatzuständen.
Aus der Publikation zu den
steirischen Kunst- und Kulturpreisen 2022