Die analoge Rauheit (*)
Der Fotograf Klaus Mähring reist seit fünf Jahren durch Osteuropa. Auf der Suche nach Orten und Menschen, die noch nicht vom Perfektionswahn infiziert sind.
Direkt zum *Update 2023
Nach der Schulzeit in Graz übersiedelte Klaus Mähring nach Wien. Er absolvierte unter anderem die Schule für künstlerische Fotografie und lernte bei Friedl Kubelka, Margaretha Spiluttini und Franz West. Nach zwei Gruppenausstellungen in Salzburg konnte er seine Werke rund um die Jahrtausendwende auch in Wien und Montreal präsentieren. 2003 begann dann ein entscheidendes Kapitel im Leben und Arbeiten von Klaus Mähring. Er gründete das Unternehmen „On The Road Productions" und machte sich auf die Reise.
In Rumänien, Polen, Bulgarien, Moldawien und der Ukraine fertigte Mähring reale Bilder abseits der glamourösen Medien- und Modewelten des Westens an. Verlassene Orte, bodenständige Menschen und jede Menge Peripherie werden hier auf eine so noch nie gesehene Weise in den Mittelpunkt gestellt. Die Ablehnung von Perfektion betrifft in Mährings Arbeiten nicht nur seine Motive, sondern auch den Zugang zum Medium Fotografie an sich. Dass sich selbst seine KollegInnen aus dem journalistischen Bereich immer mehr der zwanghaften Suche nach möglichst vollkommener Schönheit verschreiben, kritisiert Mähring in Wort und Bild. Seine Verweigerungshaltung führt aber nun nicht zu depressiven Schwarz-Weiß-Fotografien, sondern zu Aufnahmen voller eigenwilliger Farben und nicht selten mit einem speziellen, sehr subtilen Humor. Über seine Arbeit mit Menschen sagt Mähring: „Jedes Porträt hat nur einen Moment und ein Negativ, und jedes Porträt entspringt meiner Idee, Ikonen jenseits der bekannten Welt zu finden." Auf der Reise führt er ein komplett eingerichtetes mobiles Studio samt Dunkelkammer mit. Nach der Aufnahme wird das Foto vor Ort entwickelt, ausgestellt und den Porträtierten gegeben. „Erst dann", so Mähring, „fühle ich mich berechtigt, diese Bilder aus ‚ihrem' Ort mitzunehmen."
Die Fotografien von Klaus Mähring, die eifrigen Zeitschriftenlesern wahrscheinlich im Popkulturmagazin „The Gap" und im leider bereits eingestellten „Bob" aufgefallen sind, zeigen eine Wirklichkeit, die man für längst vergangen halten könnte. Eine ganz besondere Perspektive weist die Serie „Microcosmos" auf. Mähring beschreibt seine Methode so: „Durch eine einzige Bewegung der Plattenkamera und durch den Einsatz farbverfremdenden Materials wird aus der Welt plötzlich Legoland. Diese verwirrenden Aufnahmen werden durch die übergroße panoramahafte Ausarbeitung intensiviert."
Angesichts der massiven Ausbreitung digitaler Fotografie sieht Klaus Mähring neue Chancen für eine künstlerische Gegenbewegung: „Das Negativ erhält einen neuen Stellenwert, die analoge Rauheit und der gesamte Prozess werden zu einer eigenen Bildsprache." 2008 begibt sich „On The Road Productions" erstmals auf eine Gruppenreise. Mähring hat KünstlerkollegInnen eingeladen, ihn drei Wochen lang auf die Halbinsel Krim und später auf eine Tour durch Georgien zu begleiten. In einem großen Bus der Marke Steyr-Ikarus, Baujahr 1974 und damit ein Jahr älter als der Fotograf selbst, ist alles untergebracht, was unterwegs benötigt wird. Die Ergebnisse dieser Reise sind dann im September in der Galerie „STAMBA" in Tiflis (Georgien) zu sehen.
Wolfgang Kühnelt
April 2008
*Update 2023: Vom Nomaden bis zur Galerie
In den Jahren von 2009 bis 2017 veranstaltete Klaus Mähring „Nomadic Villages". Das waren temporäre Atelier-Dörfer, die von 20 bis 30 Künstlerinnen und Künstlern bewohnt wurden und in der Nähe von „echten" Dörfern stationiert waren. Mit diesem jährlich stattfindenden Projekt sollte unter anderem der Bevölkerung ein niederschwelliger Zugang zu Kunst und deren Schaffung ermöglicht werden. 2017 fand das letzte „Nomadic Village" statt, da sich Mähring wieder verstärkt seiner eigenen Fotografie widmen wollte.
So veröffentlichte er im Herbst 2023 seinen Bildband „2021, 2022". Dieses Fotobuch schildert mit vielen Aufnahmen die ersten Monate und Jahre der Corona-Pandemie. Mähring selbst sagt etwa, dass ihm damals bewusst geworden sei, wie gut sich Fotografie als dokumentarisches Medium eignen würde.
Nach vielen Reisen hat Mähring im Südburgenland, genauer gesagt in Strem bei Güssing, einen Ausstellungsort gefunden. Gemeinsam mit Tina Horvath hat er hier die Galerie "Dezentrale" eröffnet. Die beiden wollen mit geplanten vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr vor allem klassischer Fotografie und bildender Kunst eine Bühne geben. Zuletzt wurden im November 2023 anlässlich des Tages der Toten zwei Fotoserien von Klaus Mähring und tinski in der Galerie gezeigt.
Das nächste Projekt des Fotografen ist übrigens schon in vollem Gange. Für „Kollateral" hat Mähring alle Insekten, die er im Sommer getötet hat, porträtiert und mit Nachrufen versehen. Er setzt sich dabei mit dem Gedanken auseinander, dass er die meisten Insekten aus reiner Bequemlichkeit getötet hat. Mähring selbst sagt: „Wer will sich schon den Schlaf vermiesen lassen vom hektischen Summen einer Fliege? Wer ist sich bewusst, wie viele Lebewesen mit ihrem Leben dafür bezahlen, dass wir einen ganz normalen Tag verbringen? [...] Leben ohne diese Kollateralschäden wäre kaum möglich. Ich denke aber, dass das Bewusstsein dafür Teil unserer Lebensanschauung sein sollte, um auch die rote Linie zu erahnen, die ein 'normales' Leben und Sterben von sinnloser Grausamkeit trennt."
Felix Ernst
November 2023