Junge Meister (*)
Die Fotografin Severin Hirsch porträtiert Grazer Künstlerinnen und Künstler und zeigt, wie sich das Menschenbild wandelt.
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„Es gibt viele Leute, die sich mit Kunst beschäftigen - schade, dass man sich an manche nach einer gewissen Zeit nicht mehr erinnert", sagt die Fotografin Severin Hirsch. In ihrem Projekt „Die Straße" (2008) kämpft sie fotografisch gegen das Vergessen an, indem sie Künstlerinnen und Künstler porträtiert, die in den Bezirken Gries und Lend leben und arbeiten. Die beiden Stadtbezirke bilden mit dem Kunsthaus, dem Atelier RONDO und der Kreativmeile um den Mariahilferplatz das kreative Aushängeschild der steirischen Landeshauptstadt. Unter den Porträtierten finden sich bildende Künstler wie ILA, Videofilmer (das Kollektiv „Shot Shot Shot"), Designer (Tobias Kestel - white elephant) und der Maler Alfred Resch, dessen vielschichtige Arbeiten Severin Hirsch seit Jahren fotografisch begleitet. Kunst ist die Obsession der Fotografin, die seit 2003 in Graz lebt und arbeitet: „Egal wo ich bin, fotografiere ich immer die Leute, die künstlerisch etwas machen."
Severin Hirsch ist 1972 in Celje (Cilli) geboren. In Ljubljana (Laibach) hat sie die Höhere Lehranstalt für grafische Gestaltung, Design und Fotografie absolviert. Auf ihrer Homepage www.6x7.biz präsentiert sie technisch perfekte Architekturaufnahmen, Theaterfotos sowie Porträts, die in ihrer Vitalität und Tiefe ihr psychologisches Interesse erahnen lassen.
Vergleichsweise geradlinig sind dagegen die Künstlerporträts, die Severin Hirsch beim Straßenfestival „Lendwirbel" im Mai 2008 ausgestellt hatte. Die Künstlerinnen und Künstler stehen meist im prallen Tageslicht auf der Straße, sind etwas außerhalb der Bildmitte platziert und blicken direkt und ernst in die Kamera. In einer Hand halten sie - aber das sieht man erst auf den zweiten Blick - ein Accessoire ihrer Arbeit. Dieser Gegenstand, der auf die Tätigkeit verweist, und der ernste Blick erinnern an Porträts von Handwerkern der Renaissance, wo die Suche nach der Individualität des Menschen ihren Ausgang nahm. Ähnlich wie die Porträts der alten Meister gewinnen auch die scheinbar schlichten Künstlerfotografien von Severin Hirsch an Würde und Substanz, je länger man sie betrachtet.
Die Vergangenheit mit der Gegenwart zu kreuzen und daraus Aussagen über den Menschen von heute abzuleiten, ist auch die Kernidee des kommenden Projekts der Fotografin, das sie im Frühjahr 2009 in ihrer Geburtsstadt Celje umsetzen wird. In einer Serie von Aktaufnahmen will sie Menschen in einer Studioumgebung ablichten, wie sie für das frühe 20. Jahrhundert typisch war: gemalte Hintergründe, gedämpftes, natürliches Licht, anmutige Posen. „Ich will bei diesem Projekt zeigen, wie sich der Körper und das Körperbild in den vergangenen 100 Jahren geändert hat", sagt die Fotografin. Inspiriert wurde sie dazu vom Ausstellungsort: Es ist das ehemalige Atelier des in Slowenien sehr bekannten Fotografen Josip Pelikan, der ab den 1920er-Jahren bis zu seinem Tod 1977 Hunderte Porträts auf Glasplatten anfertigte. Aufgenommen hatte er sie in seinem großzügigen, lichtdurchfluteten Atelier, das inzwischen zum städtischen Fotomuseum umgewandelt wurde.
Werner Schandor
Dezember 2008
*Update 2023: Reise durch Galaxien
Sie habe das Universum aufgebaut und in der Mitte ein Schwarzes Loch dargestellt, sagt Severin Hirsch über ihre Ausstellung „Tous ces mots pour toi qui sont restés en moi" (All diese Worte für dich, die in mir geblieben sind), die im November/Dezember 2023 im Grazer Kunstverein rhizom zu sehen war. „In Schwarzen Löchern gibt es keine Zeit und keinen Raum", erklärt Severin Hirsch: „Es könnte aber sein, dass Schwarze Löcher Wurmlöcher sind und man damit die Möglichkeit hat, durch Galaxien und Zeit zu reisen. So hatte ich die Möglichkeit, meine Toten bei mir zu haben, und so ist auch Leo bis zum Schluss bei dieser Ausstellung mit mir gewesen." Gewidmet war die Ausstellung Leo Kreisel-Strausz, dem Mitbegründer und langjährigen Leiter des Grazer Kunstvereins rhizom, der Ende Oktober 2023 unerwartet verstorben ist.
Severin Hirsch kombinierte in der rhizom-Galerie neue Aquarelle in Indigoblau, die nach dem Tod von Kreisel-Strausz entstanden sind, mit einer Sound-Installation und zwei Bildern, die fast vollflächig dunkel-indigoblau sind und nur kreisrunde Ausblicke in ein Dahinter gewähren. Komplettiert wurde das Setting durch Fotoarbeiten und von Gedichten auf Deutsch und Englisch, die man über Kopfhörer anhören konnte. „Meine Arbeiten sind in den letzten Jahren multimedial geworden", sagt die Künstlerin. So zeigte sie 2021 im Afro-Asiatischen Institut in Graz die Sound-Installation „Ein Seufzer wie ein Seeufer".
Severin Hirsch war in den vergangenen Jahren sehr aktiv: 2021/22 waren Arbeiten von ihr in der von der Kulturvermittlung Graz kuratierten Ausstellung „A-8020 Graz. Fourteen Artists of this City" in Graz und Vukovar, Kroatien, zu sehen. Ebenfalls 2021 zeigte das Kunsthaus Graz Fotoarbeiten von Severin Hirsch: Fünf Porträts aus einer 20-teiligen Serie von Bewohnern der ehemaligen Eisenerzer Arbeitersiedlung Münichtal, die sie 2012 angefertigt hatte.
2016 war sie im steirischen herbst an der Produktion „Haus der offenen Tore. Erzählungen aus der Ankunftsstadt" des Kunstvereins > rotor < beteiligt. In dieser Zeit, 2016/17, realisierte sie darüber hinaus im Kunstkollektiv "Tym Korça" (E.d Gfrerer, Severin Hirsch, Wolfgang Oeggl, Edgar Sorgo) das grenzüberschreitende Kunstprojekt „satz 36: bitte helfen sie mir dann, den ausgang zu finden" in der Grenzregion von Albanien, Nordmazedonien und Griechenland. Das Projekt wurde von Land Steiermark unterstützt.
Auch eine Auszeichnung gab es in den 2010er-Jahren für sie: 2016 erhielt Severin Hirsch den Kunstförderungspreis der Stadt Graz. Seit 2019 hat sie ihr Atelier im Atelierhaus Taggerwerke, unterstützt von der Stadt Graz. Dass der Vertrag mit Mitte August 2024 ausläuft, ergrimmt die Künstlerin. „Ich werde mit meinem Archiv auf der Straße landen", befürchtet Hirsch. „Ich finde es seltsam, dass wir nach fünf Jahren - „wenn wir es nicht geschafft haben" - vor die Tür gesetzt werden. Was soll das heißen?! Ich habe für mein Wissen und Gewissen alles geschafft, was ich schaffen wollte."
Werner Schandor
Dezember 2023