Der schlampige Materialist (*)
Der Künstler Ernst Koslitsch fotografiert Modelle von Häusern – und verzichtet dabei nonchalant auf Pedanterie.
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In der verhältnismäßig jungen Geschichte der Fotografie stellt das Abbilden eigens dafür hergestellter Modelle fast schon eine eigene Bildgattung dar. Zu den international bekanntesten Proponenten dieses Genres zählt der deutsche Künstler Thomas Demand, der penible Nachbauten von Redetribünen, Büroräumen oder Baumwipfeln abfotografiert - zuletzt etwa bei der Biennale Venedig 2007.
Ernst Koslitsch, Jahrgang 1977, aufgewachsen in Wolfsberg im Schwarzautal, lacht, als er sagt: „Meine Arbeiten schauen vielleicht ein bisschen so aus wie ein schlampiger Thomas Demand". Er steht in seinem Atelier in der Fotoklasse der Wiener Universität für Angewandte Kunst, in dem er nur noch einige seiner Arbeiten gelagert hat. Demnächst, so erzählt der gelernte Koch, wird er nämlich sein Fotostudium an der Angewandten abschließen und in die Bildhauerateliers der Akademie der Bildenden Künste im zweiten Wiener Gemeindebezirk übersiedeln. Dort wird er demnächst einige Jahre als Gasthörer in der Klasse der renommierten Bildhauerin und Performerin Monica Bonvicini verbringen.
Sieht man sich die Fotografien von Ernst Koslitsch an, dann weiß man, warum: Für seine Serie „Reise, Reise" - 2008 war sie übrigens, gemeinsam mit anderen Arbeiten, in der Neuen Galerie Graz ausgestellt - hat er Gebäude, die ihm von Zugfahrten in Erinnerung geblieben sind, nachgebaut. Die Schwarzweißfotos, die er von diesen Modellen angefertigt hat - gedruckt auf mattem Barytpapier - erscheinen haptisch, dreidimensional, skulptural, man möchte sie beinahe angreifen. Es sind Pappendeckel-Häuser, in die ein paar Fenster eingeschnitten sind, Karton-Silos oder glänzend erscheinende Industriegebäude, die im Dunkel zu verschwinden scheinen. Nicht auf die exakte Rekonstruktion zielt Koslitsch jedoch ab, sondern auf jene aus dem visuellen Gedächtnis, das sich die Bilder freilich nicht maßstabsgetreu merkt: Daher ist auch die Leiter, die sich am Silo emporrankt, drastisch überdimensioniert; ob das Haus nun sechs oder sieben Fenster besitzt, ist ungewiss - und wer weiß, ob auf jenem Dach in der Pezzlgasse in Wien-Hernals tatsächlich drei Rauchfänge sitzen oder vielleicht doch zwei oder vier? Zwischen Tatsachen und Erinnerung, so scheinen die Fotografien zu sagen, klaffen eklatante Lücken, die stets dem Subjektiven geschuldet sind.
Dass Koslitsch seine Arbeiten als „schlampige Demands" bezeichnet, kommt nicht von ungefähr: Seinen Modellen merkt man ihre Machart an - sie streben keinen Illusionismus an. Dies zeigt sich recht deutlich in dem 90 mal 180 cm großen C-Print „Konstruktion von Wirklichkeit": Da spannt sich hinter einem schlichten Wohnhaus ein blauer Himmel auf - jedoch knittert er an einigen Stellen. Auf den ersten Blick kann man erkennen, dass auch die Bäume, die Figuren, die Straßenlaternen nicht „echt" sind, sondern Fakes. Das Leben, meint Koslitsch, „ist eben knitterhaft" - Leugnen zwecklos. Mittlerweile inszeniert er seine Plattenbau-Modelle jedoch ganz anders, nämlich als Mitbewohner: „Ich lebe in einer Wohnung voller Häuser" hat er eine Mini-Serie betitelt, in der sich Gebäude vor einer Stehlampe aufpflanzen oder es sich auf einem Sofa gemütlich machen. Auch an diesen Fotografien zeigt sich recht gut, dass Ernst Koslitsch, wie er betont, „der erweiterbare fotografische Raum mehr interessiert". Seine Entscheidung, sich demnächst verstärkt mit dem Dreidimensionalen, der Materialität von Dingen zu beschäftigen, ist wohl die richtige.
Nina Schedlmayer
April 2009
*Update 2024: Living in a Yellow Submarine ...
... nein, eigentlich nicht in einem U-Boot, sondern in einem gelben Universum, das aus lackierten Holzschichtplatten, wie man sie für Verschalungen verwendet, gesägt, verleimt, kurz gesagt: erschaffen wurde. Koslitsch baut daraus Objekte und Bilder von filigraner und surrealer Anmutung, von denen manche etwas Art-brut-Haftes und alle etwas wunderbar Verschrobenes haben. In Summe gleichen sie einer Wunderkammer voller Mitbringsel von einem poppigen Trip im U-Boot der Beatles durch das Pfefferland - verspielt, kindlich und gleichzeitig Grenzen sprengend.
Auf seiner Website schreibt der Künstler: „Willkommen im gelben Universum: ein unbekanntes Land, ein Paralleluniversum und eine Geschichte wie aus einem Science-Fiction-Roman - die außergewöhnliche Welt des Künstlers Ernst Koslitsch, in der alles möglich ist und der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind!"
Und dem Wiener Online-Kunstmagazin „Les Nouveaux Riches" gab er 2022 zu Protokoll: „Ich verstehe mich als Weltenbauer. Ein Hybrid zwischen Gene Roddenberrys Star Trek und Philipp K. Dicks Creating a universe that doesn't fall apart two minutes later."
Koslitschs Wikipedia-Eintrag listet von 2010 bis 2019 zahlreiche Ausstellungen vor allem in Wien und Graz, aber auch in Valencia auf.
2021 waren Arbeiten von ihm bei der Österreich-Ausstellung in Vilnius zu sehen, und er erhielt einen Förderpreis des Landes Steiermark für zeitgenössische Kunst.
2022 hat Koslitsch an der Gruppenausstellung „Playground Guide to Getting Lost" im Landesmuseum Joanneum teilgenommen, aber auch an der Ausstellung „Between the found and the constructes" im Kunstverein „Rotor", und er war zudem auf der Art Brussels vertreten.
2023 zeigte er in seinem Atelier in Wien-Währing Skulpturen unter dem Titel "A soul to squeeze". Und für das kunstaffine burgendländische Weingut Oggau fertigte er eine limitierte Auflage von fünf Holzobjekten.
Zuletzt waren in der Steiermark Arbeiten von Koslitsch im Herbst 2024 im Kunst off-Space "Narrenkastl" in Frohnleiten zu sehen.
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2024