Von Stein und Sein
Über Tafelbilder und „Viechereien“ im Werk des Künstlers Walter Köstenbauer
„Vordergründig betrachtet scheint auch er etabliert: Haus mit Garten, ein vom bekannten Architekten Ernst Giselbrecht entworfenes, beneidenswert großzügiges Atelier, eine stabile Familiensituation. Dennoch, tief in seinem Innersten, hat der 'Steppenwolf' überlebt". - So beschreibt der Künstler Branko Lenart seinen Kollegen Walter Köstenbauer anlässlich einer Ausstellung im Pavelhaus, 2004. Und Wilhelm Hengstler, der ihn 2008 für eine Reportage in seinem Haus in Graz-Webling besucht, vergleicht Köstenbauer in seiner Erscheinung mit Steve McQueen: „Der Künstler in Jeans und sandfarbenen Schuhen ohne Schnürsenkel erinnert an Steve McQueen in Henry Hathaways Western ‚Nevada Smith‘. Wie McQueen ist der aus Weiz stammende Maler ebenfalls flink auf den Beinen und sieht gut aus."
Von 1974 bis 1979 studiert der aus Weiz stammende Künstler bei Wolfgang Hollegha an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er sich zum virtuosen Aktzeichner entwickelt. Sein bevorzugtes Material ist dabei der Cyclop-6B-Graphitstift. Erst 1983 greift er wieder zur Farbe. Walter Köstenbauers „Steinzeit" beginnt 1983 am Odilienberg im Elsass - interessanterweise an einem Wallfahrtsort für Blinde und Sehbehinderte -, wo er sein Lebensthema Stein und Fels entdeckt. In den späten Achtzigerjahren lernt Köstenbauer dank der Wiener Galerie Artmark (vormals Galerie an der Fabrik) den oberösterreichischen Bildhauer Gerhard Eilmsteiner kennen. Dieser zeigt ihm beeindruckende „Steinplätze" in der Mühlviertler Landschaft, die Köstenbauer bis heute faszinieren. Anfangs ist noch das naturnahe Abbilden der Motive, meist wuchtige Granit-Findlinge, seine Intension, doch bald beginnt die Suche nach Interpretations- und Deutungsmöglichkeiten dieser „stummen Zeugen", die jenseits des menschlichen Zeitgefühls existieren. Der Stein wird ihm zur Metapher für die verletzliche und verletzende menschliche Existenz. Volumina-Formen entwickeln sich zu bestimmenden Gestaltungselementen in seiner Malerei, die sich im Spannungsfeld zwischen Naturalismus und Abstraktion bewegt.
Inspiration im Outback
1996 schlägt sich ein dreimonatiger Aufenthalt in Australien nachhaltig im Werk Köstenbauers nieder. Seit dieser Reise beschäftigt er sich mit der Kunst und Kultur der Aborigines und variiert ihre Formensprache bis in die Abstraktion hinein. Nur der spezifisch warme Farbton bleibt, sowie Köstenbauers Idee, Bilder rückseitig zu signieren, um eine Definition von Oben oder Unten des Bildes offen zu lassen - entsprechend der Aborigines-Tradition, die Bilder landkartenartig nach den Himmelsrichtungen zu deuten.
Walter Köstenbauer schwört den Steinen aber keineswegs ab. Sie tauchen immer wieder auch in seinen Werken auf, die nach der Jahrtausendwende entstehen, haben aber den narrativen Impetus der früheren Werke abgelegt. Auch kommt - abseits der Malerei - verschiedenen Langzeitprojekten immer mehr Bedeutung zu. Unter anderem entstehen auch Objektminiaturen, mit denen er 2008 auf der „9th International Biennial of Miniature Art" in der „Modern Gallery of the Cultural Centre" in Gornji Milanovic/Serbien teilnehmen kann. Inmitten von 35 Nationen sind auch elf weitere Österreicher eingeladen, darunter u. a. Christian Eisenberger, ILA, Walter Kratner, Martin Krusche, Petra Maitz und Markus Wilfling.
Zur Errettung des Tafelbildes
Kunsthistorische Ironie zusammen mit dem Prinzip des Objet trouvé findet sich ab 1995 in dem Langzeitprojekt Errettung des Tafelbildes. Es handelt sich um alte Schautafeln, die einst im Biologieunterricht verwendet worden sind, in die nun Bildzitate aus der Kunstgeschichte malerisch eingearbeitet werden. Da gibt es Eisbären in Gesellschaft eines winzigen Steiff-Teddys zu sehen („Was blieb von der Titanic") oder Strauße vor einem „Van Gogh-Himmel" („Wenn mi des Reisebüro ned vamittlt hätt"). Für die Bearbeitung zahlreicher originaler, handkolorierter Lithografien von 1880, die er geschenkt bekam, entscheidet sich Köstenbauer ab 2015 für die Collage-Technik und übertitelt das Gesamtprojekt neu mit dem Begriff „Viechereien".
Mit einer anderen kunsthistorischen Persiflage, einer mehrdimensionalen Variation über die „ewige Problematik" der Magritte'schen Pfeifendarstellungen, gewinnt der Künstler 2006 ex equo mit Stefan Maitz den oststeirischen Skulpturen-Wettbewerb „Das Lachen in der Kunst". Das preisgekrönte Objekt geht bei einer späteren Ausstellungsbeteiligung in London verloren.
Tarnstoffe und Dias
Zwei zeitlich unlimitierte Projekte erweitern ab 2001 das künstlerischen Spektrum Köstenbauers: ent.tarnung.mensch und buenos.dias: Während bei ersterem Bildobjekte und temporäre Rauminstallationen unter Verwendung von militärischen Tarnstoffen entstehen, arbeitet der Künstler bei der Werkgruppe „buenos.dias" seit 2007 mit selbst erstellten, aber meist mit gefundenen, teilweise historischen Diapositiven, die er durch Schmelzen, Ätzen, Ritzen, Schaben, Färben usw. manipuliert und auf Fotoleinen drucken lässt. Die Übertitelung ist eine ironische Anspielung auf das Ausgangsmaterial, eben Dias.
Ab 2013 intensivieren mehrere Kunstsymposien in Italien und Slowenien seine internationalen Kontakte. In Umbrien gewinnt er einen der Hauptpreise beim Kunstpreis Minimalia 2. 2015 injiziert und kuratiert Walter Köstenbauer in Laafeld für das Pavelhaus die Ausstellung Call and Response, eine Gegenüberstellung slowenischer und steirischer Positionen mit Werken von Klementina Golija (SLO), Brut Carniollus (SLO), Klaus Gmoser (AT) und Köstenbauer selbst.
Dreifachausstellung zum 60er
Seinen 60. Geburtstag feiert der Künstler 2016 mit einer TRILOGIE, bestehend aus drei parallelen Ausstellungen in Graz, Weiz und Gleisdorf und begleitet vom Katalog Rough Guide to 30 Years of Artwork, der auch als PDF-Download verfügbar ist. Sein kritisches Engagement zeigt sich mitunter 2017 anhand einer Intervention am Akademischen Gymnasium in Graz, wo er an einer marmornen Gedenktafel im Treppenhaus, die an die Opfer des 2. Weltkriegs erinnert, eine Schrift-Banderole aus stabilem Plexiglas anbringt, sodass die Tafel nun auch an „...die Opfer der unmenschlichen Ideologie des Nationalsozialismus" erinnert.
2018 wird ent.tarnung.mensch im Rahmenprogramm des Steirischen Herbst präsentiert, 2020 folgt die Teilnahme an der Übersichtsausstellung Die steirische Breite - Teil 3 im Gerberhaus Fehring.
Viechereien im Joanneum
Eine museale Würdigung erfährt das Projekt Viechereien 2023 mit einer Ausstellung im Universalmuseum Joanneum, wobei Köstenbauer die Neue Galerie und das Naturkundemuseum miteinander verschränkt. Der Kurator der Ausstellung Roman Grabner ist zugleich Mitherausgeber der Publikation Profane Animalismen und andere Viechereien (edition keiper, 2023), die das Projekt umfassend dokumentiert. Zugleich sind viele seiner Arbeiten in der Ausstellung Von Stein und Sein im Steirischen Feuerwehrmuseum - Kunst & Kultur in Groß St. Florian zu sehen, wo ein schlüssiger Bogen gespannt wird von frühen und aktuellen Steinbildern über micro.graphics.bd (Bearbeitungen von mikroskopischen Aufnahmen von Pflanzenteilen) bis hin zu einer Auswahl an Viechereien.
Trotz unterschiedlicher Projekte abseits der Malerei steht dieselbe nach wie vor im Vordergrund. Klein- und großformatige Arbeiten auf Leinwand, Karton oder Papier in Öl- und Mischtechniken stapeln sich in Köstenbauers zum Bersten vollen Ateliers. Der Autor Wilhelm Hengstler schreibt nach einem Besuch des großen Gartenateliers und des kleinen, „alten" Arbeitsraum im Wohnhaus: „Hier im Privatbereich hängen die schönsten Arbeiten des Künstlers. Großformatige, abstrakte Arbeiten in zarten, irisierenden Grün-, Grau-, Gelbtönen, deren rein malerische Qualität noch verstärkt wird durch die „raue" Oberflächenstruktur, die dem Lichteinfall entsprechend changiert. Bilder von einer stillen Intensität".
Biografie von Walter Köstenbauer am Kulturserver Graz
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2024