Das Theaterkombinat (*)
Das fünfköpfige Theaterkollektiv „Die Rabtaldirndln“ interpretiert den Theaterbegriff auf ganz neue Weise. Und das mit durchschlagendem Erfolg.
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Was bedeutet eigentlich „Schleppen ziehen"? Rosi Degen von den Rabtaldirndln kennt die Antwort: „Wenn man einen Jagdhund abrichtet, friert man zuhause in der Kühltruhe tote Katzen oder Hasen ein. Dann werden sie aufgetaut und liegen zwei Tage in der Garage. Mit einer Schnur werden sie dann über die Wiese gezogen und der Hund muss die Spur finden." Degen, im Zivilberuf Mittelschulprofessorin für Deutsch und Englisch, hat Erfahrung mit dem Abrichten von Jagdhunden. Katzen „dapicken" dagegen bedeutet, sie in einen Sack zu geben und totzuschlagen.
Eine Art Wörterbuch des oststeirischen Grauens haben die fünf Steirerinnen von den Rabtaldirndln für ihre Revue „Aufplatzen" entwickelt, die aus über hundert Eisendungen für das transnationale Theaterfestival „Freischwimmer. Plattform für junges Theater" ausgewählt wurde, in fünf renommierten Spielstätten im deutschen Sprachraum aufgeführt zu werden. Und nun tourt das Theaterkombinat, wie sich die Dirndln selber nennen, zwischen Berlin, Zürich und Wien und fungiert auch mal als „Steirerinnen der Woche" in der „Kleinen Zeitung".
„Wir bringen die Schenke ins Ausland". Gerda Strobl, auch künstlerische Assistentin beim „steirischen herbst", kennt ihre Mitstreiterinnen seit der Schulzeit. Schon im Gymnasium in Gleisdorf besuchen sie gemeinsam die Bühnenspielgruppe und fahren auf Jugendtheaterfestivals, wo sie die Bekanntschaft des damaligen Landesspielberaters für außerberufliches Theater, Ed Hauswirth machen. Das Gründungsmitglied des „Theaters im Bahnhof" wird noch öfter für Produktionen der Rabtaldirndln die Regie übernehmen.
2002 gründen Strobl, Degen, Barbara Carli, Gudrun Maier mit anderen die Gruppe „drahtseilakt", um Improtheater zu machen, steigen aber aufgrund von inhaltlichen Differenzen bald kollektiv aus. Inzwischen macht Maier mit ihrer Kollegin Carli Regiearbeit im Jugend- und Studententheater und ruft gemeinsam mit Carli, Degen und der 2004 zu den „Rabtaldirndln" gestoßenen Bea Dermond die „Theaterfabrik Weiz" ins Leben. Beim Wettbewerb „short cuts" im Theater am Ortweinplatz TAO findet 2003 dann die eigentliche Initialzündung des Theaterkollektivs statt. Zu einem vorgefertigten Bühnenbild muss eine Präsentation entwickelt werden. Die Figuren der „Rabtaldirndln" beginnen Form anzunehmen: Fünf Frauen, die gemeinsam die Hotelfachschule in Bad Gleichenberg besucht haben, führen nach ihrem Abschluss ein Gasthaus in Gleisdorf. Chefin Sonja, Marianna, die Schwester der Chefin, ständig auf der Suche nach Alkohol, Männern, Geschäftsideen, Renate mit einem Chance-B-Arbeitsplatz, Toni, zwar gerettet vor ihrem Mann, aber unzufrieden, und Eva die gerne Chefin wäre. Was sie verbindet: Sie sind alle ein wenig beschränkt. Während einer Geburtstagsfeier erschießt Gitti, eine gemeinsame Freundin, ihren Mann. Das erste Stück der Rabtaldirndln, „halbdurch ganzdurch tot", aus dem Jahr 2004 handelt davon, warum diese Gitti ihren Mann erschießen musste.
Und auch heute noch haben die Dirndln die Kunstfiguren beibehalten und verwenden sie immer wieder in ihren theatralischen Installationen und Theateraufführungen. Ihren Namen verdanken sie ihrer Heimat. Alle bis auf Maier, die aus dem Ilztal stammt, kommen aus dem Raabtal. Um Rechtsstreitigkeiten mit dem volkstümlichen Damenquartett ähnlichen Namens auszuschließen, wird das zweite „a" im Namen ausgespart, mit der Verwechselbarkeit wird aber durchaus kokettiert.
So erwarteten in einem Wirtshaus in Altenberg bei Linz 300 Zuschauer eigentlich die Namensvetterrinnen und sahen dann die Revue „15 Jahre Rabtaldirndln", in der zwar anfangs gejodelt und geboscht wird, in der aber zwischen Sekt, Chips und Blumen persönliche Erniedrigungen den Abend zum Zusammenbruch bringen.
Wer also volkstümliche Schlager hören will, ist bei den Theaterinstallationen der „Rabtaldirndln" an der falschen Adresse. Wer aber endlich wissen will, was „Schweiß spritzen" wirklich bedeutet und sich von fünf jungen Damen das alltägliche Versagen von den Schultern nehmen lassen will, liegt goldrichtig.
Die Rabtaldirndln im Internet: https://dierabtaldirndln.at/
Gregor Schenker
November 2009
*Update 2024: Halbzeit
„Halbzeit" hieß das Stück zum 20-jährigen Bestehen der Rabtaldirndn im Jahr 2023. Was bedeutet 20 Jahre Theatermachen für Künstlerinnen, die hier im Jahr 2009 noch als junges aufstrebendes Kollektiv beschrieben wurden?
Für die Rabtaldirndln heißt Halbzeit, 20 Jahre im Kollektiv zu arbeiten, es heißt 20 Jahre Verschleiß an Körper und Geist, es heißt, ein Rabtaldirndl am Weg zu verlieren, es heißt, zahlreiche Preise, Auszeichnungen und Einladungen zu bekommen, es heißt, ein Theater am Land zu gründen, es heißt, pro Jahr zwei Uraufführungen zu entwickeln und rund 50 Vorstellungen im In- und Ausland zu spielen, es heißt, sowohl regional vernetzt als auch international begehrt zu sein. Und es heißt noch 20 weitere Jahre zu spielen.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2003 arbeiten die Rabtaldirndln kontinuierlich und konsequent an ihrer eigenen Formensprache. Sie machen sich Performance- und Theaterelemente zu eigen, um daraus zeitgenössische Theaterabende zu entwickeln. Die Inszenierungen sind urban, gespickt mit popkulturellen Elementen und von universeller Gültigkeit. Sie sprechen alle Generationen an, werden sowohl im städtischen als auch im ländlichen Kontext verstanden und - meistens - geliebt.
Denn egal ob sie in „Die Stadt der Rabtaldirndln" (2020) urbane Räume retten, in „Sirenen" (2023) das Ehrenamt hochhalten, die Themen Bodenversiegelung und Bauwahnsinn auf den Punkt bringen wie in „Betonfieber / Betongold" (2021) oder in „Du gingst fort" (2015) dem Phänomen Landflucht nachspüren, die Arbeit im Spannungsfeld zwischen Stadt- und Landkultur ist absolutes Alleinstellungsmerkmal der Rabtaldirndln. Darin sind sie „Expertinnen“, wie auch die Tageszeitung "Der Standard" festgestellt hat, das eine kommt bei ihnen ohne das andere nicht aus. Ja, das eine bedingt das andere zwingend.
Einladungen an internationale Häuser und Festivals wie dem "Impulse"-Theaterfestival in Mülheim an der Ruhr, Köln und Düsseldorf (D), dem Theater Dekadenz in Brixen (I), dem Theater Roxy in Birsfelden (CH) oder ins Lionel Wendth Theatre in Sri Lanka sind daher ebenso selbstverständlicher Teil ihrer künstlerischen Praxis wie die Gründung des Hoftheaters Hainersdorf, in dem es ihnen gelungen ist, zeitgenössisches Theater an eine Bevölkerung anzubinden, die ihr kollektives Theatergedächtnis aus traditionellen Theaterformen schöpft. Die Rabtaldirndln etablieren auch in diesem Umfeld etwas Eigenständiges, Neues, das inhaltlich nahe an der Lebensrealität der Menschen vor Ort und künstlerisch auf Höhe der Zeit ist. Von Letzterem zeugen zahlreiche Preise, darunter mehrmals die Auszeichnung „Best Off Styria“, u. a. für die Produktionen „zielsicher“ (2011) und „einkochen“ (2014), sowie der Nestroypreis 2023 für das „Mutterstück“ mit dem Titel „Ahnfrauen“.
Nahe an den Menschen ist auch ihr Anliegen, so oft wie möglich zu spielen und so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Ihre Stücke sind sowohl national als auch international stark nachgefragt und oft über mehrere Jahre auf Tour. Zu sehen sind sie bewusst sowohl in kleinen Kulturinitiativen als auch in großen Koproduktionshäusern. In der Scheune am Vierkanthof, im kleinen Blackboxtheater der Provinzstadt sind sie ebenso daheim wie auf der renommierten Stadttheaterbühne der Landeshauptstadt oder auf dem internationalen Festival. Gleich einer Sternsingergruppe ziehen sie etwa in einem ihrer Tour-Dauerbrenner, „20*R+A+B+T+A+L*21“ (2021), durch Städte und Landstriche, spenden dabei ihren Segen und hinterlassen feministische Gaunerzinken.
Und natürlich: Als rein weibliches Kollektiv, klopfen die Rabtaldirndln ihre Themen verlässlich auf weibliche, ja feministische Perspektiven hin ab. Sie vertreten in ihren Stücken starke Haltungen. Zu denen kann man stehen oder nicht. Aber man kann sich ihnen nicht entziehen. Denn, wie Thomas Trenkler im "Kurier" schrieb: "Die Rabtaldirndln scheißen sich nix."
Andreas R. Peternell
Dezember 2024