Einfühlen in den Menschen ist einfühlen in die Kunst
Norbert Prettenthalers Weg von der Kellerdisko zum Film
Norbert Prettenthaler kommt von der Musik her, aus dem düsteren, aber sehr menschlichen 1980er-Jahre-Underground. Prettenthaler legte im legendären Q, einer Grazer Kellerdisko in der Luthergasse, Vinyl auf, in einer Zeit, als man die Haare schwarz trug und bei aller Traurigkeit viel zum Leuchten brachte. Im Q war der DJ immer auch ein Therapeut, musste in die Menschen schauen, schwierige Musik für nicht ganz einfache Menschen auflegen. Seit damals lässt Prettenthaler sein Einfühlungsvermögen in den Film, die Fotografie und die Literatur fließen.
Zur Musik kam der Film. Nach kleineren Arbeiten ließ er als Filmemacher erstmals mit dem Dokumentarfilm „Die goldene Stadt" aufhorchen. Hier geht es um das verschwundene Gold und die Schätze der ungarischen Juden im 2. Weltkrieg, das 1945 im Tiroler Arlberggebiet versteckt wurde und „an dem sich Stück für Stück jeder bediente, der dazukam, inklusive die Besatzungsmächte", so der Filmemacher. Die Doku besticht durch Fachwissen und starke Bilder: Kantige Tiroler Gesichter, Menschen, die sich überwinden müssen, darüber zu reden, weil: „Wo ist es nur hin, das Gold?"
Die Geschichte zog seine Kreise, und 2004 klagten in Amerika einige Holocaust-Überlebende mit Star-Anwalt Ed Fagan die Vereinigten Staaten, denn der „Goldzug aus Budapest" hatte Spuren bis ins Weiße Haus hinterlassen. Norbert Prettenthaler war der erste, der nach dem Gold fragte. Darauf bildet er sich nichts ein. Trotzdem ist es so.
Das war 1996. Im gleichen Jahr wurde er mit dem Carl-Mayer-Drehbuchpreis für sein Drehbuch „Cordoba" ausgezeichnet. „Cordoba" zeigt eine brutale und zugleich berührende Familiensituation im weststeirischen Schilcherland. Das Drehbuch schreit nach wie vor nach einer Verfilmung. Es liest sich so, als ob der Künstler durch die Weststeiermark wanderte, die Menschen dort studierte und seine dramatische Geschichte in den Gesichtszügen der dortigen Menschen las, so nahe ist er bei ihnen.
Außerdem nahm Prettenthaler einen Fotoapparat in die Hand, hielt damit die Menschen, die seine Wege kreuzten, auf Bildern fest. In Addis Abeba in Afrika, in Europa unter anderem in Istanbul und klar, auch Graz muss sein. Manchmal fotografiert Prettenthaler in die Landschaft hinein. Hier wählt er dann das ganze Panorama, und man glaubt wieder in einer Anfangs- oder End-Einstellung bei einem seiner Filme zu sein beziehungsweise in einem ersten oder letzten Song in der Grazer Kellerdisko.
Hinzu kam noch die Dichtkunst, unter anderem Poetry Slams. Ins Café Stein in Wien zum Poetry Slam gegangen, gelesen, gewonnen und wieder weg. Weggegangen aus Graz, auch aus Wien, eine Zeit lang im Waldviertel gelebt, nachgedacht und Haikus geschrieben. möchte dich küssen - tauche ich ein - deinen glizernden see. Solch eine Poesie schreiben nur Menschen, in denen die Liebe die Angst verdrängt hat.
Doch nun ist Prettenthaler wieder in Graz und zum Film zurückgekehrt. Zwei Dokumentarfilme sind demnächst zu sehen. Der eine heißt „Bunter Sand" und handelt von der Kunst im öffentlichen Raum im Bezug auf das Projekt „Annenviertel" des Kunstvereins Rotor. Der andere Dokumentarfilm handelt von der Megaphon-Universität, einem Lehrprogramm für arme Menschen. Die Armut, Prettenthaler hat die Armut schon in Afrika gefilmt, mit der ist es hier in Graz noch ein Stück schwerer. „Das geht an die eigenen Grenzen", meint der Filmemacher und zugleich merkt man, die Grenzen hat er nun wieder einen Daumen breit nach oben geschoben. Was geht noch? Es geht noch immer mehr, sonst ist man ja fertig, und kann gehen, zumindest aus der Kunst. Ach ja, die letzte Kiste der damaligen Langspielplatten hat Prettenthaler ins Nachtlokal „Exil", in die Grazer Maria Hilferstraße, gebracht. Wenn's dort zur später Stunde guten Krach aus den 1980er-Jahren zu hören gibt, dann bleibt nur eines zu tun: Anstoßen, auf den Prettenthaler.
Martin G. Wanko, Oktober 2010
Norbert Prettenthaler, Vita:
Studium der Rechtswissenschaften. Künstlerische Arbeiten als DJ in den 1980ern, danach Fotostudien und Arbeiten im Bereich Film/TV und Theater; Filmdrehbücher, Kurzfilme, Dokumentationen. Drehbuchakademie beim Drehbuchforum Wien. „Die goldene Stadt" (Drehbuch & Regie), Carl-Mayer-Drehbuchpreis 1996. „Die geretteten Köche" (Regie. steirischer herbst 1998); Fotoausstellung: Friction. Reisen: Florida, Anatolien, lybische Wüste, Äthiopien. Seit 1999 Teilnahme an Poetry Slams mit diversen Preisen. Beschäftigung mit altorientalischer Musiktherapie.