Die Hoffnung im Nichts (*)
Die Künstlerin Petra Sterry geht in ihren Installationen und Zeichnungen das existenzielle Themen des Todes an - ohne jedoch moralisierend zu wirken.
Wer im Jahr 2010 die Ausstellung „Prometheus" im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten besichtigte, dem musste spätestens im hintersten Raum der Atem stocken: Dort glitt man nämlich zunächst orientierungslos in ein Dunkel, in dem eine Stimme beschwörend eine Science-fiction-artige Geschichte über unendliche Lebensverlängerung rezitierte. Doch es wurde noch unheimlicher: In der Mitte des Raumes lag auf einem Sockel ein pumpendes Herz aus Latex, das ebenso nimmermüde arbeitete wie jenes der Patienten in der Geschichte.
Die Künstlerin Petra Sterry, 1967 in Graz geboren, geht in ihren Arbeiten existenzielle Themen an. Das Banale, Alltägliche, das sich die zeitgenössische Kunst - häufig durchaus instruktiv - zum Sujet nimmt, ist ihr fremd. Tod, Krankheit, Leere sind jene Konstanten des Lebens, die sie umtreiben - ebenso wie die Sprache, deren Tücken und Doppeldeutigkeiten sie gerne aufdeckt.
Wie für ihre Arbeit „Premotors Inc." bei den Minoriten, in der sie die Utopie - oder auch Dystopie - des ewigen Lebens aufrollt, schreibt Sterry jene Geschichten, die ihre Installationen begleiten, stets selbst. Ihre Texte wirken oft märchenhaft, sind reich an Metaphern und starken Bildern. Zu einer beklemmenden Skulptur aus einem Plastikkleid und einem Strick, der wie eine Kette an die Stelle des Dekolletés gelegt ist, schrieb sie eine Erzählung über ein Mädchen, das in einer Geisterstadt wohnt, und einen Prinzen, aus dessen Poren Spinnen schlüpfen; dass das Mädchen wie die Slums „Favela" heißt, ist charakteristisch für Sterrys Umgang mit der Sprache.
Sterry spielt gerne mit einzelnen Wörtern. Zu ihren stärksten Arbeiten zählt die Zeichnungsserie „The Nada Trust", in der sie Erkrankung und Tod ihrer Mutter verarbeitet hat. Durch die 2009 entstandenen Blätter geistern gesichtslose Figuren, bandagierte Gesichter, Frauen, aus deren Kopf ein riesiges Gehirn quillt; eine Fledermaus fliegt über ein kleines Haus, ein Totenschädel bricht in Gelächter aus, ein Telefonhörer hängt ins Leere. Bilder wie diese werden begleitet von Wortspielen: „Lovenox" steht da etwa geschrieben - eine Wortschöpfung, die sowohl die Liebe („Love"), die Nacht („Nox") als auch den Ochsen („Ox") beinhaltet. Auch die phonetische Assoziation mit dem Namen eines Medikaments mag nicht ganz fern liegen - vor allem angesichts des inhaltlichen Hintergrunds; ähnlich verhält es sich bei dem Wort „Engilam", ebenfalls auf eine der Zeichnungen geschrieben - rückwärts gelesen „maligne", also bösartig. Am meisten fasziniert Sterry sichtlich das Wort „Nada" - auf Spanisch bedeutet es „Nichts", doch in slawischen Sprachen, erzählt die Künstlerin, ist der Wortstamm „nad" häufig mit dem Begriff der Hoffnung verbunden.
Zuletzt beschäftigte sich Sterry mit jüdischen Friedhöfen in der Steiermark: Für ein Buch (Gertrude Maria Grossegger/Antje Senarclens de Grancy/Petra Sterry: Bruchstücke. Jüdische Friedhöfe in der Steiermark, Leykam-Verlag, Graz 2010) fotografierte sie die letzten Ruhestätten jüdischer Steirerinnen und Steirer und zeichnete dazu mit weißem Stift auf schwarzem Grund abstrahierte Grabsteine, die einander durchdringen, oder leere Kleider, die in diesem Zusammenhang als Hülle erscheinen, aus der buchstäblich jemand herausgestorben ist.
Sterrys Arbeiten erinnern bisweilen an das Genre des Memento Mori - freilich ohne die moralisierende Haltung, die in dessen kunsthistorischen Tradition charakteristisch war. Dafür sorgt schon alleine ihr spielerischer Umgang mit Wörtern, Buchstaben, Sprache und Sprachen.
Nina Schedlmayer, Februar 2011
UPDATE 2017: "Das elastische Ich"
Für die Künstlerin Petra Sterry sind die existenziellen Grundbedingungen des Lebens Ausgangspunkt für ihre künstlerische Tätigkeit.
Seit 2015 widmet sich Petra Sterry einem künstlerischen Schwerpunkt mit dem Titel „Elastic Punch Extended", in dessen Rahmen sie sich mit Emotionen, Stimmungen und psychischer Befindlichkeit auseinandersetzt. Dies thematisiert sie in ihrer Einzelausstellung „Die Kohärenz der Flüchtigkeit" im kunsthaus muerz (2016) und geht dabei der Frage nach, in wieweit das Merkmal der Flüchtigkeit als Grundprinzip von Emotionen definiert werden kann.
Die Kohärenz des Flüchtigen ist im Tun inkorporiert: Es ist das implizite Können (vgl. tacit knowing, Michael Polanyi), das sich grundsätzlich beim Akt des Zeichnens vollzieht. Der Brüchigkeit großformatiger Gesichter (2013), zu ihrem Wesen in wenigen Pinselstrichen zusammengeführt, stehen Momentaufnahmen der inneren Befindlichkeit (2010) gegenüber.
Den phänomenalen Eigenschaften von Angst geht die Ausstellung „Angst, She Wrote" in der Akademie Graz (2016) nach, wobei Sterry das Phänomen Angst anhand von Zeichnungen, aber auch mittels Sprache („Angst ist ihr Hobby") untersucht. Dass Gefühle untrennbar in den eigenen Körper eingebunden sind, ist der Ausgangspunkt von Sterrys Untersuchungen. Dabei geht sie von der Selbsterfahrung, der Selbstbeobachtung und der Selbstüberprüfung aus.
Ausgehend davon entstand die von ihr geschaffene Methodik der „Fuzzy Art", eine niederschwellig-partizipative, nicht gewinnorientierte künstlerische Praxis: „Meine eigene künstlerische Arbeit bildet die Basis für die Arbeit mit anderen Menschen. Ziel ist die Entstehung eines thematischen Archivs, das gesellschaftlich relevante Fragen in Form von Beiträgen der Teilnehmenden dokumentiert." Jeder Einzelne, der mitmacht, ist ein integraler Bestandteil des Kunstwerks. Und: „Nur durch die Beiträge der Vielen kann Fuzzy Art entstehen."
Das aktuelle Fuzzy Art-Projekt nennt Sterry „Das elastische Ich", in dem sie das Ich der Emotionen eines Einzelnen vor die Übermacht eines möglichen kollektiven „psychischen Hausverstandes" stellt. Sie will dieses Projekt steiermarkweit umsetzen, denn es interessiert sie, wie sich gesellschaftlich interessante Fragen in Bezug auf Strategien des Ichs am Beispiel von Resilienz, Haltung und anderen Konzepten künstlerisch beantworten lassen.
Konkret möchte sie mit ihrem künstlerischen Vorhaben möglichst viele Menschen - von jungen bis zu Erwachsenen aller Altersgruppen - in den steirischen Regionen ansprechen. Jeder kann einen Beitrag einsenden. Alternativ kann auch einer der Workshops besucht werden. Die Teilnehmer können, wenn sie möchten, am Ende ihren eigenen Beitrag dem Projektarchiv überlassen. Mit Stich- und Reizwörtern wie „WERTVOLL, ICH BEREUE, FREUDE...." gibt Sterry Impulse für die individuelle Auseinandersetzung mit der Elastizität des eigenen Ichs. Ihr Ziel ist ein breit gefächertes Kaleidoskop um die Vielfalt innerhalb einer Gesellschaftsform sichtbar zu machen.
Sterry ist eine beständige, langsam arbeitende Künstlerin, die sich sehr lange mit einem Thema beschäftigt. „Im Atelier gehe ich in mich, habe Zeiten, in denen ich spontan arbeite oder nur nachdenke. In gewissen Phasen plane ich so wenig wie möglich. Ich mag es, wenn ich beim Zeichnen im Atelier ungestört bin. Ein Fuzzy Art-Projekt braucht eine längere Phase in der Vorarbeit und bezieht in der Umsetzung die Öffentlichkeit mit ein."
Sterry ist 2017/18 Stipendiatin des KUNSTRAUM STEIERMARK-Programms und arbeitet in ihrem Atelier in der Weststeiermark in Lebing.
Petra Sieder-Grabner
August 2017