Fein gesiebte Eindrücke
Helga Chibidziura konzentriert ihre Umgebung auf textilen Bildträgern.
Hunderttausende Fotos sind eine gute Grundlage. „Es kommt einem viel unter", sagt Helga Chibidziura, die die Kamera stets dabei hat, sobald sie die eigenen vier Wände verlässt. Egal ob in der nächsten Umgebung oder auf Reisen gilt es kurzfristig im Bild festhalten zu können, womit sie sich möglicherweise eingehender auseinandersetzen möchte. Um später daraus interessante Zusammenhänge zu filtern, die sich wiederum zu Beschäftigungsfeldern aufweiten - und die weitere Bilder gezielt einfordern, ehe sie ihnen innerhalb großformatiger Siebdrucke schließlich Raum geben will.
Wie der Nebel, der sich gerade mit einer Serie von diffusen Szenarien festsetzt, der oststeirische Dunst, der - je nach Jahreszeit - die konkreten Motive, die die Landschaft hier bestimmen, zu schlucken scheint. Der mehr nur eine Art Ahnung zurücklässt. Davon, wie die Dinge sein könnten. Wie sie an anderen Tagen wieder hinter seinem Schleier erstehen.
Oder wie die Energie, die ihre breiten Schwünge durch die Kulturlandschaften zieht, unterbrochen einzig durch das regelmäßige Stakkato der Masten, die ihre nicht allzu schwere Last mehr strukturieren, denn tragen müssen. Flirrend fließt der Strom. Nimmt seinen Ausgang an Schloten und Fabriken, an Windrädern und gespeicherter Wasserkraft, verirrt sich im Wirrwarr der Umspannwerke an der Peripherie, durchwirkt gleichmütig selbst einfamilienhauslose Einöde, um am Ende jede Architektur erreicht, allen Umraum zergliedert zu haben, dem sich unser Blick zuwendet und jedes Bild, das aus diesem Blick entsteht.
Gemeinsam mit ihrer Familie hat Helga Chibidziura ganz bewusst diese rurale Landschaft gesucht und mit ihr die Besinnung auf das Wesentliche im Leben und Arbeiten „... man ist jemand und erlebt etwas", schreibt Robert Musil über das Landleben, „aber in der Stadt, wo es tausendmal so viel Erlebnisse gibt, ist man nicht mehr imstande, sie in Beziehung zu sich zu bringen ...". Zu viele Termine bringen um die rhythmische Gleichförmigkeit an der die künstlerische Arbeit wachsen kann. Tag für Tag.
Früher waren da auch aufwändige Tapisserien, die sie aus Fotomotiven komponiert und in monatelanger Arbeit realisiert hat - eine Fähigkeit, die sie heute vor allem als Lehrende an der FH Joanneum Bad Gleichenberg weitergibt. Oder Objekte: aus Vorgefundenem arrangiert (die DDR-Serie entstand aus dortigem Sperrmüll, dessen Renovierung das Verschwinden der kommunistischen Reparaturgesellschaft bekundete), aus geschichtlich Überliefertem extrahiert (die Installation „Hennebergsches Blut" bot die sorgfältig portionierten letzten Reste eines in allen Linien ausgestorbenen deutschen Adelsgeschlechts an) oder aus banalen Alltagselementen kombiniert (eine „Bomberjacke" mit improvisierten Dynamitstangen macht Ernst aus amerikanischer Überheblichkeit und blafft: „We‘re not playing games, ladies and gentleman").
So sich die Möglichkeit biete, arbeite sie aber auch ganz gern anlassbezogen, sagt Helga Chibidziura. Etwa im Rahmen der texart-Projekte, wo in Zusammenarbeit mit einer Agentur immer wieder Architekturen mit großformatigen Textildrucken ausgestattet werden. Für ihre Ausstellung im Grazer Bad zur Sonne hat sie Synchronschwimm-Formationen inszeniert. Oder - ganz aktuell - zum Thema Trinität für eine Ausstellung im Kulturzentrum bei den Minoriten: Dabei wurde „Trinity" als Deckname für den ersten Atombombentest 1945 zum Ausgangspunkt ihrer Bild- und Textrecherche rund um das Unsagbare, das Unvorstellbare, das sowohl dem göttlichen Sein wie auch dem menschlichen Tun bisweilen innewohnt. Und das sich in einem grellgrünen Explosionsbild manifestiert, vor dessen Hintergrund die minutiösen Beschreibungen jenes Experiments, dessen Nachwirkungen nicht zuletzt das menschliche Sein für immer verändern sollten, vom Himmel fließen - und damit auch die verzweifelten Stoßgebete der Beteiligten - zu einer beklemmenden Form atomarer Verkündigung.
www.chibidziura.com
www.hoega.verkrampft.com
Eva Pichler, Mai 2011