Es wird Tote geben (*)
Der Künstler Erwin Stefanie Posarnig macht schon seit vielen Jahren den öffentlichen Raum unsicher.
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Als einen „der kritischsten Künstler der steirischen Szene" kündigte der südweststeirische Kulturverein Kürbis Erwin Stefanie Posarnig letzte Woche an. Der Grund: Posarnig wurde nach Wies geladen, um den „Aline-Aliberti-Platz" und den „Ing.-Alfred-Neumann-Park" zu eröffnen. Sie haben von diesen Namen noch nie gehört? Aliberti war eine 1885 in Wies geborene Schriftstellerin, der Unternehmer Neumann bestimmte Anfang des letzten Jahrhunderts das wirtschaftliche Leben in Wies, als Jude wurde er später von den Nazis in den Selbstmord getrieben. Beide waren also Menschen, an die man sich erinnern sollte. Auch in Graz sorgte Posarnig mit solchen - teils illegalen - Aktionen in den letzten Jahren für Aufsehen.
Vor nun beinahe sechs Jahren starb der Künstler Jörg Schlick, eine Ikone des Grazer Kulturlebens. In einer seiner vielen Kunstaktionen taufte Posarnig eine Ecke in der Grazer Innenstadt in „Jörg-Schlick-Ring" um. Ohne Wissen der dafür zuständigen Behörde. Trotzdem erfreute sich Graz einige Zeit lang über diesen „Ring", allerdings, so erzählt Posarnig, „wurde das Straßenschild zweimal gestohlen". Über den Wolfgang-Bauer-Park darf sich Graz heute noch freuen, er wurde auch offiziell in Kooperation mit dem Grazer Literaturhaus in der Nähe der Institution eröffnet. Der 1955 in Klagenfurt geborene Künstler arbeitet also mit Vorliebe im öffentlichen Raum. 1977 ist er als Schlossergeselle nach Graz gekommen, bei einem Ribiselwein-Rausch im Beisl „Zur schiefen Laterne" fasste er den Entschluss, Künstler zu werden. Das Land Steiermark dankte es ihm Mitte der Neunziger mit dem Förderungspreis für zeitgenössische bildende Kunst.
An Posarnigs sozialkritischer Aktionskunst kommt man im wahrsten Sinne des Wortes nicht vorbei. Allseits bekannt ist er nämlich vor allem durch seine Aufkleber, man kann sie als Multiples bezeichnen, die mit ihren gesellschaftskritischen Statements („Das Aufstellen und Anbringen von Kunstwerken jeder Art ist nicht gestattet!") immer wieder im Grazer Stadtbild auftauchen. Voriges Jahr hat er auch Rasenstecker in Form einer Sprechblase mit derartigen Sprüchen in Umlauf gebracht. „Temporäre künstlerische Implantate", die zum Mitnehmen in einigen Kunstinstitutionen auflagen und so zu einem „legalisierten Vandalenakt" aufriefen. Dass der gebürtige Kärntner einmal das Grazer Forum Stadtpark mit einer Stinkbombe attackierte, daran können sich heute noch viele erinnern. Und als sich einer seiner Aufkleber mit dem Spruch „Es wird Tote geben" auf das Amtstürschild des einstigen Landesrates Herbert Paierl verirrte, da schaltete sich gar die Kriminalpolizei ein.
Heuer lancierte Erwin Stefanie Posarnig (Pliant) - das „Pliant" in Klammer, englisch für „geschmeidig", sollte seinem Namen korrekterweise eigentlich immer hinzugefügt werden - eine Kunstreihe in Kaindorf an der Sulm. Für die Installation von Kunstwerken im dortigen Naturbad „Zum Steinernen Wehr" konnte er namhafte Künstler wie Christian Eisenberger, Flora Neuwirth oder Markus Wilfling gewinnen. Allerdings wurden ihre Arbeiten Wind, Wetter und Badegästen ausgesetzt. „Man muss natürlich damit rechnen, dass manche Werke im Laufe der Zeit verschwinden, etwa wenn die Sulm Hochwasser führt. Aber keiner der Künstlerinnen und Künstler hat sich davon abschrecken lassen", erzählt er. Jetzt stehen die Kunstwerke dort, bis Mensch oder Natur sie zerstören. Einige Monate im Jahr übrigens, bald ist es wieder soweit, muss Graz allerdings ohne Posarnig auskommen. Wenn es bei uns bitterkalt wird, dann verabschiedet er sich nämlich in sein Künstlerquartier im indischen Goa.
Tiz Schaffer
Oktober 2011
*Update 2024: Arbeiten an der Lebensperformance
2017 entwickelte Erwin Stefanie Posarnig im Kunstverein für Kärnten in Klagenfurt die Ausstellung "Styrian Power", die Dutzende zeitgenössische steirische Künstlerinnen und Künstler präsentierte, die prägend für die Entwicklung des Kunstbiotops des Landes sind.
2019 war Posarnig „Part of the Game" und zeigte in der gleichnamigen Ausstellungsreihe der Grazer Kunsthalle aktuelle Arbeiten. Seither hat er sich schrittweise aus der Kunstszene an die Ränder zurückgezogen und nimmt nun rezipierend-aktiv am Geschehen teil. „Künstlerische Agitation findet zum Großteil intern, selbstreferentiell innerhalb der Institutionen statt", beobachtet der Künstler, der „abseits vom Netz" Kunst stets auch als soziale Intervention mit Außenwirkung verstanden hat.
Seine in den 1990ern ins Leben gerufenen, sich weiterentwickelnden Skulpturen, wie das Kunstprojekt ABSEITS VOM NETZ am Leonhardplatz 900 (Vinzidorf) und die künstlerische Intervention und Entwicklung des Ressidorfes, haben den Begriff der Skulptur erweitert, indem sie soziale und künstlerische Dimensionen miteinander verschmolzen.
2020 entwickelte Posarnig für die Steirische Kulturinitiative eine Aktion auf den Grazer Reininghausgründen, bei der vor dem Umbau der ehemaligen Mälzerei zu einem Kultur- und Kunstort Werke von 28 zeitgenössischen steirischen Künstlerinnen und Künstlern - von Jörg Auzinger bis Zweintopf - in einer Zeitkapsel versenkt wurden. Diese Aktion trug erneut den Titel "Styrian Power" (2020). Kuratorin Edith Risse von der Steirische Kulturinitiative schrieb damals: „Eingeschlossen in eine Zeitkapsel ruhen die Exponate jetzt in der Erde des künftigen Stadtteils als archäologische Hinterlassenschaft für die Zukunft." Und der Künstler erklärte: „Seit Jahrhunderten werden Zeitkapseln unter anderem im Grundstein sakraler Gebäude vergraben - und oft vergessen. Die Entdeckung dieser Behältnisse bringt Gründungsdokumente und andere wichtige Artefakte zutage." Die Vorstellung, eines fernen Tages bei der Wiederentdeckung und Begutachtung der Kunstwerke dabeizusein, ist nicht nur für ihn höchst reizvoll.
Erwin Stefanie Posarnig, der 2025 sein 70. Lebensjahr vollendet, sieht den aktuellen Kunstbetrieb von einer gewissen Selbstgenügsamkeit geprägt. Er arbeitet weiterhin an seiner „Lebensperformance". Ein zentraler Fixpunkt seines künstlerischen Schaffens bleibt die Untersuchung des Begriffs „sicher", an den seine Arbeiten seit mehreren Jahrzehnten mehr oder weniger explizit anknüpfen, unter anderem mit seiner Plakat-Intervention „Die endgültigen Verbote stehen noch nicht fest!"
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2024