Die Eisenblüte
Der Erzberg ist irritierend. Das Windows Rechtschreibprogramm kennt ihn nicht und auch in Los Angeles weiß kein Mensch, was es mit dem Berg auf sich hat. Der Autor Stephan Eibel Erzberg trägt ihn nicht in sich, aber mit sich, und das nicht nur im Namen.
„Ich war 1994 vom Goethe-Institut in L. A. eingeladen. Jetzt haben die mit dem Namen Eibel schon ihre Not gehabt, die haben den immer Aibel ausgesprochen, dann habe ich Erzberg auch noch an meinen Namen angehängt. Dann war es überhaupt aus!" Gegen den Erzberg ist eben kein Kraut gewachsen, und gegen ihn angerannt ist der Autor schon mit 10 Jahren, unabsichtlich. „In meinem Traum haben nur noch 100 Menschen am Erzberg gearbeitet, und den Traum habe ich dann in einem Deutschaufsatz verarbeitet. Für das gab's vom Deutschlehrer vor der Klasse ganz öffentlich eine Watschen! Weil so etwas darf man nicht einmal träumen!" Der Lehrer schlägt also stellvertretend für den Berg eines seiner Kinder. Was man nicht denken darf, gibt's nicht. Zwischen Hilfsarbeiter, Arbeiter, Untersteiger, Steiger, Ingenieur, da hat kein Freidenker Platz, schon gar keiner, der seit dem fünften Lebensjahr an der Existenz des Lieben Gotts zweifelt und trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - Liebesgedichte schrieb. Mit sieben Jahren war dann der Liebe Gott erledigt.
Also lernte der Autor laufen, schnell laufen, schneller als alle anderen. „So entgeht man den Watschen." Am besten gleich nach Wien laufen. „Ich brauchte eine neue, unverbrauchte Welt." Dort machte er die Matura nach und studierte Philosophie, Soziologie und Pädagogik. „In mir war eine universitäre Begeisterung, weil man durch die Ideen auf neue Ideen kommt." Aber immer wieder schreiben. Lyrik, Prosa, Theaterstücke. So wie sich im Erzberg eine Eisenblüte neben dem Erz herauskristallisiert, entwickelte sich im Kopf des Autors ein literarisches Universum, das in Eisenerz seinen Ursprung hat. „Das erste Gedicht war ein Liebesgedicht an meine Angebetete in der Schule, und ein Liebesgedicht kann ja nicht schon nach drei Zeilen fertig sein!"
Mit 18 kam es dann zu den ersten Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. „Beobachtungen über Personen in psychologischer Hinsicht" hieß sein erstes Stück. Es war so kräftig und schillernd wie das glühende Eisen, das man zuvor im Stein aus dem Berg sprengt und danach im Hochofen zu Stahl verarbeitet. Ignaz Kirchner hätte das Stück bei den Wiener Festwochen in der Ära Bachler uraufführen sollen. Doch es kam nie dazu. Man habe es einfach vergessen ins Programm zu geben, so die lapidare Begründung. Und Eibel Erzberg klagte 80.000 Schilling ein. Wahrlich ein heißes Eisen, also.
Ja, klagen, streiten, schimpfen, Stephan Eibel Erzberg nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Eintritt in die GAV, Rauswurf aus der GAV, wieder Eintritt. Diskrepanzen mit dem ORF, den Salzburger Festspielen, Verlage verzweifelten, Zeitungsverleger schnalzt es den Puls in kritische Höhe, wenn sein Name fällt. Eibel Erzberg sagt immer, was er denkt. Er sprengt seine Welt weg und baut immer wieder eine neue auf. Sprengungen eben, wie am Erzberg üblich. Wer aus Eisenerz kommt, weiß, dass Sprengungen mitunter auch das Leben kosten oder der Stollen plötzlich nicht mehr halten kann. Der Berg gibt, der Berg nimmt. Und der Erzberg gibt heute noch ab, mehr denn je, und der Autor produziert auch heute noch, mehr denn je. Stücke, Romane, Lyrik. „Luxusgedichte", „In Österreich weltbekannt" oder „Sofort verhaften!" Und auch heute nicht ruhig: Jeden Donnerstag schenkt er im ORF-Spätabendformat „Gregor Seeberg erklärt das Leben" dem Sonderling und Dichter Anatol Mutri Straub-Stauperl (AMS) ein Gedicht, ein Kleinod, beispielsweise im Gedenk an Herrn Gaddafi: „Mich stört nur / mein Hang zur Diktatur."
Mittlerweile hat der Autor jedoch zu einer Art Übersicht über „seinen" Erzberg gefunden, die seine Kreativität nicht lähmt. Seine wunderbare Familie dürfte dazu beigetragen haben. Seine Frau Betina und seine beiden Töchter Hannah und Marlene. Diese Übersicht bringt ihn jetzt wieder zurück zum Erzberg, nach Eisenerz. Ein Pendler zwischen Wien und Eisenerz ist er. „Ich habe dort noch was zu erledigen", meint er, weil er eben die Leute dort von früher her noch kennt, und dazu die Wege, die er gelaufen ist. Aber heute läuft er nicht mehr weg. „Im Erzberg ist viel geheimnisvolle Kraft drinnen", spricht er und weiß in dem Moment gar nicht, dass er selbst eine blassblaue Eisenblüte aus dem Erzberg ist.
Martin G. Wanko
November 2011
Biographie:
Stephan Eibel Erzberg wurde 1953 in Eisenerz geboren, machte die Lehre zum Bürokaufmann, studierte in Wien Philosophie, Soziologie und Pädagogik. Seit 1979 freier Schriftsteller. Er schreibt Theaterstücke, Lyrik und Romane und lebt zurzeit in Wien und Eisenerz.
Web-Tipps:
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Bericht Kleine Zeitung 21 03 2021>>