Wie Sprache aussieht (*)
Stefanie Brottrager liebt Worte und Bilder. Und Wortbilder.
Ihr Thema ist die Sprache. Sie sagt: „Ich kann gar nicht anders, als mich in meiner Kunst mit Sprache zu beschäftigen." Dabei führe sie sich selbst vor Augen, wie Sprache aussieht. Aussieht. Sie lese Text, wie sie Bilder liest, meint ihr Partner schmunzelnd. Und sie finde das normal und gehe doch tatsächlich davon aus, dass auch andere Menschen das genau so können würden wie sie.
Das Zueinander von Sprache und Bild, Sprachverstehen und Bildverstehen, untersucht sie derzeit auch in ihrer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste im Studiengang Fine Arts. Die 1984 geborene Künstlerin begann in ihrer Jugend zu schreiben, u. a. bei der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz. Sie illustrierte ihre Texte, wünschte sich zunehmend, Text und Bild gemeinsam sprechen zu lassen, und wandte sich der Bildenden Kunst zu. An der Wiener Kunstschule besuchte sie ein Jahr lang die interdisziplinäre Klasse und wechselte später an den Studiengang Informationsdesign an der Grazer FH Joanneum. Zwei Semester verbrachte sie am Institut d'arts visuels in Orléans. 2009 schloss sie den Studiengang Informationsdesign mit einer Arbeit zum Vergleich von Sprache und Bild als Ausdrucksformen ab. In der Zwischenzeit war auch das Schreiben aus ihrem Leben nicht verschwunden. 2008 hat sie den Grazer Minna-Kautsky-Literaturpreis in der Sparte Lyrik gewonnen. Viele ihrer Gedichte sind in Mundart verfasst. Ihr Interesse an ursprünglicher Sprache hat sie auch in Zürich zur Performance „mundartverbot" anlässlich der Schweizer Mundart-Debatte angetrieben. Bildnerische Arbeiten konnte sie in der Schweiz, in Österreich und in Italien zeigen.
Stefanie Brottrager bezieht ihre Inhalte aus dem Zeitgeschehen, der Alltag liefert die Impulse. Sie findet, „was es schon gibt", und benennt es mit Wort und Bild. Sie schafft neue Konstellationen und lässt eine Mischsprache entstehen. Die Wort-Bild-Sprachbegabte sieht sich von der Konzeptkünstlerin Jenny Holzer und Barbara Krugers Collage-Kunst geprägt. Als Betrachterin hat man nicht den Eindruck, dass Stefanie Brottrager Wort und Bild aufeinander loslassen würde. Ja, gelegentlich gibt es eine kleine lange Nase für Text- oder Bildebene, ein ironisches Noch-Eins-Drauf, das mal Wort, mal Bild für sich verbuchen könnte, wenn sie denn wollten.
Stefanie Brottragers künstlerische Arbeit beginnt auf der Straße, an den Plakatwänden, bei Redewendungen und Aussprüchen, die wir später aus ihren Bildern neu vernehmen. Denn ja: ihre Bilder sprechen. Sie sagen, was wir alltäglich hören oder überhören und kippen es leicht. Und ein paar Augenblicke später gerät die Sprache langsam ins Rutschen: ein Stück Selbstverständlichkeit hat seinen Ort verändert. So zum Beispiel in ihrer Collage „Da kann ja jede kommen": Im Großformat sind die originalen Coverbilder einer Fernsehzeitschrift aufgeklebt, Kante an Kante, Reihe für Reihe, auf jedem Cover ein Frauenportrait. Sie schauen einander ähnlich: im Reagenzglas der Mediensprache gezeugte Verwandte. Quer über der Montage klebt ein halbtransparentes Schriftband, auf dem zu lesen ist: „Da kann ja jede kommen". Es bezieht sich auf eine in Österreich geläufige Redensart, die meist das Gegenteil von dem bedeutet, was sie sagt: Da kann nicht jede/r kommen. Die Künstlerin hat die mehrdeutige Aussage des Ausspruchs zu den Bildern gestellt: Diese gleichen einander und sind gleichzeitig keineswegs austauschbar. Das Publikum weiß: Normmaße sorgen dafür, dass eben nicht jede kommen kann.
Stefanie Brottragers Kunst verdankt sich auch Augenblickskonstellationen. Denn genau genommen verknüpft sie nicht: Sie stellt zueinander. Sie dreht, magnetisiert, schafft sozusagen Anziehungskraft. Sie lässt den Augenblick mitspielen, den Moment, dem eine Konstellation entspringt. Den Augenblick, in dem ein Bild auf der Straße oder ein Ausspruch ihre Aufmerksamkeit gewinnt, weil sich das Gefundene mit einem Gedanken oder einem Bild verbindet.
So nimmt sie die Zeit in ihre Arbeiten auf. Doch nicht als Zeitablauf, als Zeit, die vergeht und Farbe ausbleichen und Eisen Rost ansetzen lässt. Als Augenblick. Als der Moment, in dem Verbindung möglich wird und versäumt werden kann. Nein, hier frisst dennoch niemand die eigenen Kinder, niemand verschlingt den glücklichen Zufall. Und wo der Wind absolut nicht wehen mag, bleibt das Kunstwerk liegen, wie die Künstlerin es nicht geplant hatte. Etwa bei ihrer Fotografie „Seligkeit": Als einen riesigen textilen Schriftzug hat Stefanie Brottrager „selig" aus hellfarbiger leichter Baumwolle genäht und auf einem Frühlingsfeld platziert: auf die Erde gelegt. Eigentlich meint sie „Sölichkeit", gut oststeirisch für Glücklichsein. Sie wollte die „Seligkeit" dem Wind aussetzen, wollte zulassen, dass die Bewegung der Natur die von ihr geschaffene Form verändert oder gar auflöst. Sie wartete umsonst, der Wind hat sich nicht blicken lassen: Die „Seligkeit" blieb auf dem Boden und wurde schließlich von der Künstlerin komplett unverweht fotografiert. Wir können nun Glück auf dem Feld betrachten, filigran wie textiles Material in der Witterung, unbeständig wie die Form von leichtem Baumwollgewebe im Wind. Der auch die „Sölichkeit" manches Mal verschont.
Im Jahr 2009 hat Stefanie Brottrager im Rahmen eines Praktikums bei dem Berliner Künstler Thomas Kilpper an seinen Projekten „state of control" und „Leuchtturm für Lampedusa" mitgearbeitet. Die gesellschaftskritische Dimension dieser Projekte hat sie interessiert. Sie findet es wichtig, dass Künstler und Künstlerinnen zu aktuellen Themen kritisch arbeiten und Stellung beziehen. „Die Welt braucht nichts weniger als schöne Bilder", sagt sie. „Weil es schon genug davon gibt und weil es der heutigen Gesellschaft nicht entspricht." Das klingt ähnlich groß und uferlos wie das Sprach- und Bildverstehen-Thema, das sie bearbeitet und von dem sie sagt: Man muss konkrete Beispiele anschauen, analysieren und herausfinden, was hier passiert. Und nicht, wie es in ihrem Gedicht „kommentar" heißt, bei der „Denkerei" bleiben: komm // entar // mach, tu, sag // mir // IRGENDWAS // von deiner // denkerei // hab ich // nichts!
Was Stefanie Brottrager weiter vorhat? Zunächst die Masterarbeit fertigstellen: Metapher, Anti-Metapher, Sprache und Bild. Und dann das Thema weiter bearbeiten. Mit ihrer Wort- und Bild-Bildnerei.
Elisabeth Wimmer
Dezember 2011
* Update 2023: Rahmen und Resonanz des Sprachbildes
Auch in ihrer Doktorarbeit an der Universität für angewandte Kunst setzte sich Stephanie Brottrager mit der Bildhaftigkeit der Sprache auseinander: „Weiche Schablonen. Rahmen und Resonanz des künstlerischen Sprachbildes" lautete das Thema ihrer 2018 vorgelegten Dissertation.
2021 folgte das in Süditalien und Wien entstandene Buche „Wildwuchs und Methode / Macchia e metodo. Sprachbilder von unten / Immagini linguistiche dal basso" in der Reihe „Edition Angewandte" im Verlag De Gruyter. „Das zweisprachige Buch ist ein vielstimmiges Archiv von Sprachbildern und lotet die Themen Identität, Übersetzung, Erwartung, Fremdheit, Scham und Material aus", heißt es im Klappentext. „Persönliche Aufzeichnungen, Essays, Redewendungen, wild aneinandergereiht oder anhand poetischer und alltäglicher Orte methodisch geordnet, werden zu einem Band voller Erinnertem und Imaginiertem verdichtet."
2013 und 2014 hatten Brottragers Wortbilder Wiesen in der Oststeiermark geschmückt, z. B. das Wort ALLMENDE im mittleren Feistritztal. 2014 ließ sie in Siegersdorf bei Herberstein WACH auf eine Wiese sprühen. 2022 hat sie im Rahmen des H. C. Artmann-Festivals „pfingstART" das Kellergewölbe der Basilika am Weizberg mit ihren Wort-Interventionen bereichert.
Ihren Hauptwohnsitz hat die Künstlerin mittlerweile in Wien aufgeschlagen.
ARTfaces-Redaktion
August 2023