Wider die Plattitüden (*)
Christoph Dolgan schreibt starke Prosa und verweigert sich den Medien.
Direkt zum *Update 2020
Es ist ein unausgesprochenes Merkmal dieser Porträtreihe, dass Menschen andere Menschen porträtieren, die sie in irgendeiner Weise gut finden. Das vorweg, damit Sie sich, werter Leser, auskennen: vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass ich weniger Christoph Dolgan gut finde, als vielmehr seine Texte - die kenne ich besser. Den ersten dieser seiner Texte hab ich im Korso (das mittlerweile eingestellt wurde) gelesen, im Dezember 2010. Jetzt schreibt er regelmäßig für das Feuilletonmagazin schreibkraft und die Literaturzeitschrift manuskripte.
Dolgans Texte beeindrucken sowohl durch ihre Abstraktion als auch durch ihre Konkretheit. Ich gehe davon aus, dass sie diese Wirkung bei jedem anderen Leser auch hervorrufen. Es kann sein, dass seine Texte nicht jedermann gefallen, aber das müssen sie auch nicht: Vielleicht faszinieren sie einen jeden, der sie liest, das wäre wichtig und schön. Dolgans Texte üben einen Sprachsog aus. Ihr Inhalt ist zumeist düster. Die Sprache wirkt, als hätte er sich die Worte eigenhändig aus dem Handgelenk geschnitzt. Konkretheit und Abstraktion bedeutet natürlich gar nichts: Plattitüden. Was meint Konkretheit? Dass die Beschriebenheiten sich einem unmittelbar (nackt) ins Hirn wuchten. Was heißt Abstraktion? Dinge, die wir nicht verstehen. Je konkreter die Beschreibung, umso abstrakter die Dinge.
Christoph Dolgan ist ein Zurückgezogener. Als er im November 2011 den neuen Grazer Literaturpreis Rothahorn (zusammen mit Monique Schwitter) erhält, schaut er, bevor er seine Dankesworte sagen soll, aus, wie (man entschuldige den südsteirischen Regiolekt) „Hingschbiebn". Letztendlich bedankt er sich trotz seiner Nervosität artig, danach rauchen wir seine Selbstgewuzelten. „Ich fürchte, völlige mediale Verweigerung kann sich wohl nur jemand vom Kaliber Thomas Pynchon leisten". Schade eigentlich, dieses vielleicht verfrühte Resümee in einer Stadt zu hören, in der so manche Künstlerexistenz ihr aufgeplustertes Ego spazieren führt. „Außerdem habe ich (‚als Warnung‘) eh nicht viel zu sagen." Aber das stimmt nicht ganz. Christoph blüht zum Beispiel auf, wenn es um Soma Morgenstern geht. Kennen Sie nicht? Kannte ich auch nicht. Soma Morgenstern, Schriftsteller aus Galizien, K.u.K., Zeitzeuge einer untergegangenen Welt, wie man so schön sagt. Eine Leseempfehlung Dolgans.
Was ihn noch interessiert, entnehme ich mehr seiner Biographie: Schwab, Sacher-Masoch, über Letzteren hat er promoviert. Doch Interessen machen noch keinen Menschen aus, und ich bemerke eine gewisse Hilflosigkeit an mir, aber auch das Gefühl, dass ein Porträt mit Leerstellen den Porträtierten deutlicher darstellt. Manchmal entfalten sich die Bedeutungen aus dem Ungesagten.
Die Texte, die Dolgan schreibt, sagen mehr. In ihnen beschreibt er Menschen, mit denen man, man weiß vielleicht gar nicht gleich warum, lieber nichts zu tun haben möchte. Den Voyeurismus der Leser verpflegt er mit der nötigen Distanz: So lässt er zu, dass sowohl dieser als auch die Beschriebenen einen nötigen Rest an Würde und an Menschlichkeit behalten dürfen. Als wäre dieser Weg gangbar. „Eine Welt, die solche Texte möglich macht (ohne dass man groß erfinden müsste), ist wohl zum Kotzen. Zugleich aber vielleicht auch ein Grund, warum ich überhaupt zu schreiben versuche."
Christoph Dolgan wird schon allerorten nach „etwas Fertigem" gefragt. „Was Fertiges" meint in der Verlagssprache ein möglichst druckreifes, in sich geschlossenes Romanmanuskript. Es gibt nichts Schlimmeres als die Frage nach etwas Fertigem, wenn man so gut schreibt wie Christoph Dolgan. Es muss und soll nicht immer gleich ein Roman sein.
Andrea Stift
Dezember 2011
*Update 2020: Zurück zum Ursprung
Auswirkungen des Corona-Lockdowns: Er selbst hat seine jüngste Roman-Idee „abgeschossen“. Seither widmet er sich wieder verstärkt Erzählungen. „Für ein Stipendium bewirbt man sich normalerweise, und wenn man es bekommt, ist ein Arbeitsauftrag daran geknüpft“, denkt Christoph Dolgan laut nach. Beim Literaturstipendium des Landes Steiermark läuft das Procedere etwas anders ab: In einer Jurysitzung wird vorgeschlagen, diskutiert, beraten und abgestimmt, wer den jeweiligen Preis bzw. artverwandte Stipendien bekommt. Daher war es für Dolgan eine ziemliche Überraschung, als er über seinen Preis informiert wurde. Christoph Dolgan sieht diesen Preis aber als „singuläre Sache“, da er sich selbst kaum für Preise und oder Stipendien bewerben würde. Das wiederum liegt in seinem bescheidenen Naturell: Obwohl er sich über dieses Stipendium - gerade in dieser schwierigen Zeit - freut, fragt er sich selbstzweiflerisch, ob es nicht andere LiteratInnen geben würde, die dieses Stipendium mehr verdient hätten.
Mit dem gängigen Literaturbetrieb möchte der 41-jährige Autor möglichst wenig zu tun haben. Daher hat er auch einen Brotberuf, der ihm Freiheit im Schreiben und die Prämisse, „so wenig Kompromisse wie nötig“ zu machen, erlaubt. Denn durch den Verlust von Unschuld verliere man auch die Kompromisslosigkeit. Es gebe ohnehin genug Kompromisse, die man im Leben schließen müsse, und sei es nur durch den Lektor, die Lektorin. Jurymitglied Andreas Unterweger sieht in der Begründung der Jury Parallelen zu Bob Dylan, was für den Literaten schmeichelhaft ist, da er ein großer Dylan-Fan ist. Über die Texte des Albums „Time Out Of Mind“ ist Dolgan ins Dylan-Universum eingedrungen: Pop-Zitate und Musik. Ob diese ihn in seiner literarischen Arbeit beeinflussen, kann Christoph Dolgan selbst nicht sagen. Er beschreibt sein Schreiben als „unkoordinierte Vorgehensweise“.
Was auf den ersten Blick vielleicht zutrifft, doch begibt man sich tiefer in Christoph Dolgans Welt, spürt man viel Nachdenklichkeit, Tiefgründigkeit und ein hohes Maß an Selbstkritik. Zu Beginn seines Schreibprozesses assoziiert Dolgan. Daraus entsteht ein Erzählgerüst, über das sich die Hauptfigur herausschält. Man müsse dem Text selbst vertrauen, damit er eine Eigendynamik entwickeln könne. Das Gegenteil davon sei eine Sackgasse. Keine Sackgasse allerdings ist das Literaturstipendium: „Ich gewinne dadurch Zeit und Freiraum im Kopf“, betont der Autor, der am Abend eher assoziativ, schriftstellerisch arbeitet und am Vormittag am Computer ordnet. Corona bewirkte, dass diese „eindringliche Stimme der Gegenwartsliteratur“ seinen Roman abgebrochen hat und sich wieder mehr auf Erzählungen zu konzentrieren begann. Dabei werden schon bestehende Texte wie ein bereits geknüpftes Seil aufgedröselt und wieder zusammengeknüpft: „Ich weiß relativ früh, wo das Ende sein soll.“ Ein schwieriger Begleiter bleibe dabei die „Textabschlussschwelle“, die überschritten werden müsse. Dazu geselle sich die Angst, ob der Text „inhaltlich tragfähig ist“. Um diese Angst einzudämmen, sei die Außensicht wesentlich, weil die nötige eigene Distanz zum Text nicht da sei.
Seine Kurzprosa „Ab-Orte“ wird von eindringlichen Schwarz-Weiß-Fotografien begleitet. Diese geben Ruinenästhetik in einem sozialdokumentarischen Kontext frei. Die detektivische Recherche und das Finden von „Ab-Orten“ oder „Lost Places“ ist seine Leidenschaft und bleibt sein wohlgehütetes Geheimnis als „Urbexer“ (kurz für „Urban Explorer“). Ebenso wie jenes, was nach seinem 2019 erschienenem Roman „Elf Nächte und ein Tag“ nun literarisch konkret folgen wird.
Text aus der Publikation zu den steirischen
Landes-Kunst- und Kulturpreisen 2020
Kurzbio Christoph Dolgan
Geboren 1979 in Graz, studierte Germanistik und schloss sein Doktorat mit einer Arbeit über Leopold von Sacher-Masoch ab. Sein Prosadebüt gab er 2013 mit dem Roman „Ballastexistenz" im Droschl Verlag. Seither sind dort erschienen: "Elf Nächte und ein Tag". Roman (2019) und "Die Blitzeisidentität". Erzählungen (2024).