Die Zehnkämpferin der Kunst (*)
Punkmusikerin, Videokünstlerin, künstlerische Feministin, Müll-Händlerin: Eva Ursprungs Kunstprojekte überschreiten Grenzen
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Schaut man auf den Kulturserver der Stadt Graz, ist die Künstlerin Eva Ursprung gleich in acht Disziplinen vertreten. In alphabetischer Reihenfolge: Fotografie, Installationen, Medienkunst, Musik, Netzkunst, Neue Medien, Performance und Videokunst. „Das hat sich so ergeben", meint sie dazu im Gespräch fast zurückhaltend. Damit es 10 Disziplinen sind, kommen noch zwei dazu: Einsatz für die gute Sache und ein gewisser Hang zur Natur.
„Angefangen hat alles 1981 mit den Punkbands ‚rosi lebt‘ und ‚Polentabande‘. In der ‚Polentabande‘ habe ich mit Ansgar Schnizer gespielt", erzählt Eva Ursprung und man sieht in ihren Augen die Freude, wenn sie über Menschen spricht, die sie gerne hat und von denen sie etwas hält. So auch, wenn sie auf den 1993 in Japan verunglückten Atomphysiker Ansgar Schnizer, ein Multitalent, zum Reden kommt, dem sie 1999 eine Ausstellung im Forum Stadtpark widmete.
„Das Projekt ‚rosi lebt‘ war schon sehr spannend, das war New Wave, aber immer gepaart mit einem starken Hang zur Performance". Die Konzerte waren keine reinen Konzerte, sondern Happenings und eher im Kontext mit der bildenden Kunst zu sehen, sehr typisch für Graz, mit Auftritten im Forum Stadtpark oder beim steirischen herbst. Zu nennen wären der „rosi lebt"-Auftritt in Gösta Neuwirths Lärm-Oper „Eine wahre Geschichte", uraufgeführt im Grazer Schauspielhaus 1981 - Subkultur im Palast der Hochkultur, eine Risikofreude, die das heutige Graz manchmal vermissen lässt.
Parallel dazu machte Ursprung bereits Super-8-Filme, später dann Videos zu ihren Liedern, beispielsweise zum Song „Chickensquawk", der auch bei den „Österreichischen Film-Tagen" in Wels gezeigt wurde und mit dem European Media Art-Festival durch ganz Europa tourte. „In diesem ganzen Kontext habe ich mir mit 17 eine Glatze geschert." In einer Zeit also, wo der Grazer Kleinbürger graue Staubmäntel, schwarze Regenschirme, korrekte Frisuren und grantige Gesichter trug und die Frau schon noch mit der dampfenden Suppe auf den Hausherren und die Kinder wartete.
„In der Zeit habe ich gemeinsam mit Veronika Dreier und drei weiteren Künstlerinnen die erste feministische Kulturzeitung Europas gegründet." - EVA & CO hat sie geheißen und war Bestandteil der gleichnamigen Künstlerinnengemeinschaft, wo unter anderem die Literatin Margit Kreidl mitwirkte. 1982 war das, doch Graz hatte mit gelebtem Feminismus seine liebe Not: „Die Zeitungen haben uns Klatschreporter geschickt, und die haben über unsere Mode geschrieben und wer zur Präsentation kam, aber nichts über unsere kritischen Inhalte", amüsiert sich Ursprung. Wenn sie in die Vergangenheit blickt, ist an ihr keine Verbitterung zu spüren, vielleicht auch, weil sie den Feminismus nicht wie ein Kreuz mit sich herumträgt, sondern ihn als Arbeitsauftrag sieht, den sie in ihre Kunst einbringen kann.
Aus der Zeit in den 80ern, im Rahmen eines Projektes der Steirischen Kulturinitiative, entsprang auch die „Superfrau", eine Ikone der feministischen Kunst in der Steiermark. Das poppige Bild der muskulösen Superheldin mit blondem Haar, die in die Lüfte steigt, war so stark im Kopf der GrazerInnen verankert, dass sie es auch ins Kulturhauptstadtjahr 2003 schaffte. Wer will, kann die „Superfrau" von Ursprung und Dreier noch im Innenhof des Grazer Rathauses anschauen. Aber die Zeit ist nicht stehengeblieben, schon gar nicht für die Zehnkämpferin der Kunst: „Heute wäre die Superfrau nicht blond und weißhäutig, sondern würde in allen Farben daherkommen, so wie die Menschen halt ausschauen!"
Ihr letztes größeres Projekt nennt sich TO|YS ON TOUR und fand Unter Beteilung von Stefan Schmid, Igor Petkovic, Joachim Hainzl und Maryam Mohammadi und anderen statt. „Das war eine künstlerische Forschungs- und Handelsreise in einem alten Militär-LKW Steyr 680 von Österreich bis nach Nigeria." Zur Finanzierung des Projekts wurde 2009 eine „Aktiengesellschaft" gegründet und Aktien verkauft. „Ziele der Reise war die Erforschung von Wirtschafts- und Müllkreisläufen, Recyclingsystemen und -technologien, der unterschiedlichen Definitionen und Wertigkeiten von Müll. Müll aus Graz wurde auf der Reise gegen afrikanischen Müll eingetauscht. „Der gesammelte afrikanische Müll wird katalogisiert und den Aktionären als Dividende ausgeschüttet", erklärt Ursprung. Bunte Wassersäcke mit Namen wie „Jesus loves you" oder „Princess Water", Kunststoffhaare oder ausrangierte Computer zählen zu den Resten aus Afrika. Zurzeit entsteht ein Katalog mit Fotografien der Reise und des gesammelten Mülls.
Vita
Eva Ursprung geboren in Köflach, lebt und arbeitet in Graz. Studium der Psychologie und Sprachwissenschaft, seit 1986 freischaffende Künstlerin. Arbeit mit Musik, Video und konzeptioneller Fotografie. Installationen, Aktionen, Kunst im elektronischen, öffentlichen und sozialen Raum.
Homepage: http://ursprung.mur.at/
Martin G. Wanko
Jänner 2012
*Update 2023: eine Übersicht
Publikation
- Schaumbad - Freies Atelierhaus Graz: Die ersten 13 Jahre. Herausgeberinnen: Eva Ursprung, Alexandra Gschiel, Bibliothek der Provinz (2022)
Musik (Auszug)
- 2023 PhonoFemme Festival Wien, mit Notorious Noise Brigade [AT] aka Reni Hofmüller x Eva Ursprung
- 2022 Grotto Trails Memory, Komposition: Seppo Gründler, Robert Lepenik, Eva Ursprung. Abgeschottet von den Stadtgeräuschen bewegt sich die Grazer Märchenbahn anhand einer genau definierten Partitur in vier Etappen durch den Stollen. Uraufführung bei Musikprotokoll 2022.
- 2019 Elevate Festival, Impro-Konzert, Forum Stadtpark Keller.
- seit 2015 Bassistin bei Lonesome Hot Dudes
- Freie Improvisation mit Annette Giesriegel, Nina Wurz, Maloya Malotti, Jamika Ajalon, Thomas Rottleuthner u. a.
Residenzen
2014 APO33, Nantes (FR); 2015 Stadt Judenburg (AT); 2016 Flux Factory, New York (US), 2017 Galerie Eugen K., Brsec (HR), Das weiße Haus Wien (2020)
Funktionen
- 2008 bis 2021 Gründungsmitglied und Präsidentin des Vereins Schaumbad - Freies Atelierhaus Graz
- Seit 2011 Vorstandsmitglied bei Xenos - Verein zur Förderung der Soziokulturellen
- Seit 2007 Vorstandsmitglied der IMA - Institut für Medienarchäologie
Ausstellungen und Performances (Auszug)
- 2024 DigiDic - Die Ausstellung, Volkskundemuseum Graz
- 2023 TO|YS ON TOUR, Weißes Afrika- Schwarzes Europa, Kunst Klub Kräftner, Graz
- 2023 Insurgent Flows. KiG! Kultur in Graz. Kooperation mit steirischer herbst'23. Ausstellungskuration mit Anita Hofer.
- 2023 DigiDic - Die Ausstellung, Stadtmuseum St. Pölten. Aufruf zur digitalen Selbstverteidigung. Interdisziplinäre Ausstellung zum Thema digitale Diktatur, der Frage nach Autonomie und der Entwicklung von Strategien zur digitalen Selbstverteidigung
- 2020 Styrian Power, Beerdigung einer Zeitkapsel mit Kunst in den Reininghausgründen Gruppenausstellung, Kunst-Kulturraum -1,40 Tennenmälzerei, Graz
- 2020 ALL IS IN THE FLOW, HOCHsommer 2020, Pavel Haus
- 2018, Parallel 2018 / Initiative Sarajevo - Graz, Galerie Centrum
- 2017 Styrian Power, Gruppenausstellung im Kunsthaus Klagenfurt
- 2016 Mit der Post ans Meer, Galerija Kortil, Rijeka; Kunsthaus Weiz; Galerija Makina, Pula. Eine künstlerische Recherche von Maja Franković, Hassan Abdelghani, Christine Kertz und Eva Ursprung über ein halbes Jahrhundert Bus-Tourismus in die Kvarner Bucht und nach Istrien.
- 2015 Heritage. Ausstellung im Schaumbad mit steirischer herbst 2015. Ein Projekt um Herkunft, Identität und Besitz. Bei "Schwammerlbad" begaben sich Eva Ursprung und Myriam Thyes gemeinsam mit Bewohner*innen auf die Suche nach einem demontierten Betonpilz aus einem Kinderschwimmbecken in der Gemeindebausiedlung.
- 2015 Töxhter Judenburgs. Ausstellung im Kunstatelier Kasernstraße, Judenburg. Ergebnis eines Residency-Aufenthalts in der Stadt Judenburg, in der sie sich gemeinsam mit der Bevölkerung auf bemerkenswerte Frauen aus der Region machte.
- 2014 Imaginary Archive Gregory Sholette, Les Kurbas National Theatre Arts Center Kyiv, Ukraine
- 2014 Balkanize it!, Ausstellung und Performance, APO33, La Fabrique, Nantes (FR)
- 2014 Frauen tragen - Ihr Standpunkt (Beteiligung). Künstlerische Interventionen und Stadtperformance im Sonderbus entlang der Linie 67 durch die Geschichte von Graz und die vielen ungehörten/unsichtbaren Geschichten von Frauen.
ARTFaces-Redaktion
Dezember 2023