Ihr Leben besteht aus Improvisation (*)
Die Jazzsängerin Vesna Petković belebt Graz mit multikulturellen Tönen
Im Leben dieser Sängerin ist viel vom Zufall geprägt. Viele Dinge haben sich in ihrem Leben einfach so ergeben, geht es aber um Entscheidungen, trifft sie diese bewusst und zukunftsorientiert. Hinzu kommt die Vielfalt, die sie in ihrem Leben braucht, viele Parallelitäten und Gleichzeitigkeiten, die ihr Leben so richtig rund machen.
Vesna Petković kam 1996 nach Graz - „ein Zufall", wie sie es selbst beschreibt. In ihrer Heimatstadt Niš in Serbien waren die Lebensumstände in den 90er Jahren äußerst schwierig. Durch Krieg und Notstand haben die Menschen nur mehr an das Lebensnotwendige denken können. „Wo bekomme ich ein halbes Kilo Brot her?" Die Musik war aber immer schon ein sehr wichtiger Teil in ihrem Leben: Der Vater Gitarrist, die Mutter Tänzerin, insgesamt eine große musikalische Familie, mit vielen unterschiedlichen kulturellen Musikeinflüssen von Mazedonien über Griechenland bis nach Ungarn. Ihre Sangeskarriere startete sie im Universitätschor und als Rhythm-&-Blues-Sängerin.
Ein Freund machte ihr den Vorschlag, nach Graz zu gehen. Hier machte sie die Aufnahmeprüfung an der Jazzabteilung der Kunstuniversität. Erst als ihr Prüfer, der weltberühmte Jazzsänger Mark Murphy, zu ihr sagte: „You did it, honey!", dämmerte es Petković langsam, welche Weichenstellung das für ihre musikalische wie auch private Zukunft war. „Ich habe immer schon gewusst, dass ich stimmlich etwas Richtung Jazz und Improvisation machen möchte", sagt die aufgeweckte, lebenslustige Sängerin. Aber das mit der bestandenen Aufnahmeprüfung habe sie im ersten Moment nicht so ernst genommen. Aber ihre Realität sah dann sehr ernst aus: Zwei Jahre lang spielte Petković auf der Straße, um sich ihr Studium zu finanzieren. Es war eine dunkle Zeit in ihrem Leben. Musikalisch musste sie singen, was kam, ging es schließlich um ihren Lebenserhalt. Ihr Studentenheim war voll von Menschen, die durch den Krieg oder dessen Folgen geschädigt waren. Das Studentenwohngemeinschaftsleben war „wie eine psychiatrische Abteilung mit viel Alkohol" - der Krieg damals war ein wesentliches Thema. „Ich habe in dieser Zeit sechs Mal meine Taschen gepackt", erinnert sie sich. „Es war eine sehr harte Zeit am Anfang". Dabei hatte sie hier endlich die Gelegenheit, die Musik ihrer Vorbilder aufzusaugen: Sarah Vaughan, Dianne Reeves oder Ella Fitzgerald. Dann sei das Leben endlich heller geworden. Während ihres Studiums sang sie in Big Bands und Dixie Land Bands, Andre Jean Quartier und Ewald Oberleitner waren ihre wichtigen Förderer. Durch die Produktion von Tom Waits‘ „Black Rider" am Grazer Schauspielhaus und dem damit verbundenen Kennenlernen von Sandy Lopičić bekam ihr musikalisches Leben einen neuen Impuls. In ihrer Heimat hat sich in den 90er Jahren der sogenannte „Turbo-Folk" etabliert: Eine musikalische Zumutung mit schnellen Rhythmen, oberflächlichen Technoelemente und seichtem Text. „Wenn es einem Land politisch schlecht geht und die Menschen immer ärmer werden, dann wird nur schlechte Musik gehört", schließt Petković daraus. Dadurch hat auch sie ein bisschen ihre Liebe zur Volksmusik verloren.
Mit dem multikulturellen Sandy Lopicic Orkestar und dessen musikalischer Ausrichtung in Richtung Funk und Jazz vermischt mit Ethno-Elementen bekam das Thema Volksmusik eine völlig neue Bedeutung. „Wir haben die traditionelle Bigband durch Drehleier, Akkordeon, Geige erweitert". Die drei Sängerinnen Petković, Natasa Mirkovic-DeRo und Irina Karamarkovic gaben der Band mit ihren Jazz, Blues, Rock, Musical und Klassik erfahrenen Stimmen diesen unverwechselbaren Klang. Nicht nur für die MusikerInnen, sondern vor allem für das Publikum war diese Art von Musik neu: Jede Kultur kann sich in dieser Musik wieder finden. Gleichzeitig studierte Petković auch noch und hatte ihre eigene Band, in der sie sich ganz dem Jazz widmen konnte. Ihr Gesangstudium hat sie 2003 mit dem Würdigungspreis der Republik Österreich abgeschlossen. Nach Sandy Lopičić hat Petković mit den „braven Buben", dem Sandala Orkestar, gespielt. Wieder spielte das Geld eine Rolle: Die neunköpfige Truppe war den Veranstaltern zu teuer, deshalb musste die Band auf sechs Köpfe schrumpfen. Ein sehr intensives musikalisches Erleben war die Zeit mit DJ Shantel zwischen 2004 und 2008. DJ Shantel, Stefan Hantel, gründete den Bukovina Club und ist ein wichtiger Vertreter des sogenannten Balkan-Pop. Vesna Petković war jahrelang mit seinem Bukovina Live Club als Sängerin mit unterwegs.
„Das war eine sehr wichtige Erfahrung, wir spielten auf riesigen Bühnen vor 120.000 Menschen", erzählt Vesna Petković. Als sie merkte, dass das Musikalische immer mehr in den Hintergrund trat, und dass das Showbusiness dominierte, kündigte sie. „Ich merkte, dass es völlig egal war, wer als Sängerin auf der Bühne zweieinhalb Stunden herumhüpft". Es war ihr zu einfältig. Petković wollte etwas anderes: Sie wollte ihr Musikpädagogikstudium abschließen und musikalisch wieder ihren eigenen Weg gehen. Aber: „Zuerst fiel ich in ein tiefes Loch" - ein Jahr brauchte die Jazzsängerin, um das Showbiz-Leben wegzustecken: „Das Leben wurde entspannter, und ich wusste auch wieder, wo die Werte im Leben liegen." Die Aufnahme ihrer ersten CD sah sie dann als Experiment: „Ich habe das, was mir am Herzen liegt und in dem Moment musikalisch wichtig war, nach außen getragen und aufgenommen" - und das ohne jeden kommerziellen Gedanken. Jetzt singt sie in unterschiedlichen Projekten mit und hat einiges in Planung. Daneben gibt sie Privatstunden, komponiert, arrangiert und dirigiert einen multikulturellen Frauenchor: „SoSamma", ein Projekt des Vereins Omega, bei dem mittlerweile 46 Frauen aus 17 Ländern mitwirken. Damit fühlt sie sich wieder ihren Wurzeln näher: Weil eigentlich hat sie nach der Schule in ihrer Heimatstadt Niš mit dem Chordirigier-Studium begonnen. Und dann kam Graz ...
Aktuelle Projekte: Vesna Petkovic Band, Reinhard Ziegerhofer Group, Raphael Meinhart Trio, „SoSamma" - multikultureller Frauenchor-Graz
www.vesnapetkovic.com
Petra Sieder-Grabner
Februar 2012
*Update 2023: Grenzen überschreitende Inspiration
Im Mai 2022 wurde Vesna Petković als Leiterin des multikulturellen Frauenchores „SoSamma" mit dem Grazer Frauenpreis ausgezeichnet. Seit 2009 leitet sie diesen einzigartigen Chor von bis zu 50 Frauen aus aller Welt, die in Graz ihre Heimat gefunden haben. „Wie verbinden unsere Stimmen jede Woche aufs Neue. Nehmen uns Zeit auch für Zwischentöne, für Zwischenmenschliches. Überall Begegnung, Bewegung, mit offenen Ohren und offenem Geist", schreibt Petković auf ihrer Website.
Das multikulturelle Element hat sich auch in Petkovićs zweiten Album, „3 Secrets" (2017) niedergeschlagen. Darauf finden traditionelle Balkanklänge und zeitgenössischer Jazz zusammen, angereichert mit einer Brise Klassik und Pop und musikalischen Einflüssen aus Afrika.
2022 überraschte Petković dann mit einem Projekt, das völlig anders gelagert war als alles, was sie davor gemacht hatte: Gemeinsam mit Sandy Lopičić und Werner Radzik an zwei Klavieren interpretierte sie Songs aus dem reichen Œuvre des wandelbaren Pop-Heroen David Bowie und hielt das Ergebnis im Album „Pure" fest. „Ein Tribut an Pop-Ikone David Bowie, dessen Songs Petković in genial reduzierten Arrangements stimmgewaltig umsetzt", hieß es dazu auf Ö1. Auch bei dieser Produktion gibt es eine soziale Komponente, denn der Reinerlös aus dem CD-Verkauf spenden die Künstler an den Dachverband Hospiz Österreich.
In ihrer ersten Heimat Serbien hat Petković seit 2013 eine Lehrverpflichtung an der Musik-Fakultät der Belgrader Kunstuniversität: Am Institut für Jazz und Populärmusik gibt sie als Assistenzprofessorin für Jazzgesang ihr Know-how und ihre Grenzen überschreitende Inspiration weiter.
ARTfaces-Redaktion
August 2023