Im leeren Hut des Zauberers (*)
Cordula Simons Vorstellungskunst
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In Cordula Simons Text „Die Unvergänglichkeit des Lichts" geht jedes Mal, wenn die Ich-Erzählerin Sex hat, irgendwo in der Stadt das Licht aus. Und gegen alle Wahrscheinlichkeit besteht da ein direkter Zusammenhang. Nachdem sie von ihrem Liebhaber im Stich gelassen wurde, entdeckt die Erzählerin, dass sie mit ihren sexuellen Geheimkräften sogar Gebäude zum Einsturz bringen kann: „Die Wut ist einfach in die Hüften zu lenken." In einem furiosen Finale legt sie mit einem ausufernden Geschlechtsakt, der ihren Partner - wie das Männchen der Gottesanbeterin - das Leben kostet, die ganze Stadt in Schutt und Asche. „Ich war nicht sicher, ob es nur diese Stadt getroffen hatte oder vielleicht das ganze Land, den Kontinent. Als ich über mir Vögel vorbeifliegen sah, war ich sicher, dass sie nach Norden zogen. Vielleicht hatten die Pole getauscht."
Mit welcher Wucht hier Fleischeslust in Zerstörungslust mündet, hat etwas Schwindelerregendes. In Buñuels Film „Das goldene Zeitalter" gibt es eine ähnliche Verschränkung von Triebstärke und Naturgewalten. Der Regisseur dazu: „In einer hierarchisch geordneten Gesellschaft kann der Sex, der keine Grenzen und kein Gesetz respektiert, jederzeit ein Faktor der Unordnung und eine wirkliche Gefahr werden."
Cordula Simon hat in den „manuskripten" und anderen Literaturzeitschriften einige Proben ihrer Vorstellungskunst gegeben. In ihrer Erzählung „Fritz Schlier" plagt die Hauptfigur die Sehnsucht, ohne einen Platz in der Welt auszukommen. „Ein Kaninchen müsste man sein, in dem Moment, in dem der Zauberer den leeren Hut zeigt." Fritz Schlier führt eine Potemkinsche Existenz, er ist gleichsam reine Fassade - mit nichts dahinter als dem Wunsch zu verschwinden, der ihm zuletzt durch einen Stellvertreter erfüllt wird.
Simon hat für diese erstaunlichen Prosatexte in absurd-phantastischer Tradition unter anderem 2009 den Campus-Preis der „Zeit" und 2010 den „manuskripte"-Förderpreis erhalten. Nun ist ihr Debütroman erschienen: „Der Potemkinsche Hund". Darin steigt ein junger Mann, der einmal Anatol hieß, aus seinem Grab. Die unglückliche Liebe seiner Nachbarin Irina und deren wissenschaftliche Forschungen haben ihn zum Leben erweckt. Aber zueinander können sie trotzdem nicht finden, Frau Dr. Frankenstein und ihr untotes Geschöpf. Wie hier Elemente des Schauerromans mit düsteren Schilderungen des postsowjetischen Alltagselends in der Ukraine verknüpft werden, hat Zug und beweist Mut zum Schrillen, auch im Ausdruck.
Cordula Simon, 1986 in Graz geboren, in der Oststeiermark aufgewachsen, hat im Vorjahr ihr Slawistik- und Germanistikstudium abgeschlossen und lebt zur Zeit in Odessa. Sie sprüht auch im Gespräch vor Einfällen, sie sprudelt über, als hätte sie eine eingebaute Sprechmaschine.
Ihr Humor ist von entwaffnender Direktheit: „Dein Hosentürl steht offen. Hoffentlich wegen mir." (Als Gesprächseröffnung dürfte das ziemlich einmalig sein.) Im Gegensatz zu jungen Schreibenden, die sich betont nüchtern als tadellos (aber nicht „geölt") funktionierende Dichtungsmaschinen präsentieren - vielleicht auch aus Angst, ja nicht einem überkommenen Bohemeklischee zu entsprechen - , stilisiert sie sich als trinkfest: „Ich habe das Komasaufen praktisch erfunden." In ihren Texten gehe immer alles schlimm aus, wie im Leben. Zumindest in ihrem Autorinnenleben wird sie hoffentlich Glück haben. Denn, wie schon Billy Wilder sagte: „Ist es nicht seltsam, dass immer die Begabten das Glück haben?"
Günter Eichberger
Juli 2012
*Update 2024: Widerspenstige Stimme des Humanismus
„Ich bin im Kreis gesprungen vor Freude", erinnert sich Cordula Simon, wie sie auf den Erhalt des E-Mails mit der Zusage für das Literaturstipendium des Landes Steiermark 2024 reagierte. Es reiht sich in eine ansehnliche Preis- und Stipendienliste der Autorin, darunter ein „Writer in Residence"-Stipendium der One World Foundation auf Sri Lanka (2014) und das Kurd-Laßwitz-Stipendium der Residenzstadt Gotha (2022).
Cordula Simon ist eine viel beschäftige Frau, die nicht nur schreibt, sondern in unterschiedlichen Formaten und Einrichtungen ihr Wissen pädagogisch weitergibt. Sei es als Workshopleiterin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz, als Leiterin der Roman-Werkstatt an der Grazer Universität oder als Mitglied des ACIPSS, Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies, mit dem Schwerpunkt Medienlinguistik, wo sie Seminare zu Fake News und Propaganda gibt. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Stefan Auer hat sie 2024 ein wissenschaftliches Buch mit dem Titel „Politische Korrektheit, Wunschdenken und Wissenschaft. Das Versagen der Universitäten im Diskurs um Sprache" vorgelegt.
In ihrer vermittelnden und unterrichtenden Tätigkeit geht es ihr darum, das Bestmögliche aus einem Text herauszuholen. Zum Beispiel werden bei den von ihr geleiteten Werkstätten in den Kritikrunden zu den einzelnen Texten, wo alle Teilnehmer gleichberechtigt sind, die diversen Kritikpunkte eingeordnet. Die Letztentscheidung zum Text liegt aber bei den Autorinnen und Autoren selbst. Cordula Simon beschreibt ihre Art zu arbeiten folgendermaßen: „Die nächste Baustelle geht schon los, wenn das Lektorat der anderen Baustelle noch gar nicht beendet ist." Auf die Frage, woher sie ihre Schreibideen nimmt, sagt die wortgewandte Autorin: „Mir fällt viel ein, wenn ich Zeit habe, das Gehirn rotieren zu lassen. Leider wird das Denken oftmals vom Alltag erstickt."
Ihre Kreativität lässt sie gestalten und kreieren, das Schreiben ist für sie wie Komponieren, die richtig guten inhaltlichen Ideen setzen sich fest. Sie hat aber auch einen pragmatischen Zugang: Man verdient mit Schreiben Geld, um wieder schreiben und wieder Geld verdienen zu können. Sie schreibt durchwegs Prosa und veröffentlicht im Durchschnitt alle zwei Jahre einen neuen Roman, doch sie denkt auch darüber nach, an einem Drehbuch zu arbeiten, für das ihr aber noch das Thema fehlt. Für Cordula Simon bestimmt der Inhalt die Form. Daher plant sie beispielsweise auch ein Rezeptbuch in zehn Sprachen, mit Bildern und je einem Rezept aus einem Land. Es soll ein multikulturelles Buch mit Wirkung werden. Zu guter Letzt erzählt sie über ihren Versuch, ihren Nebenberuf als Bestatterin beim Grazer „Kleinkunstvogel" kabarettistisch zu präsentieren. In der Selbstreflexion meint sie dazu: „Ich blubbere so dahin, und auf der Bühne frage ich mich: Wohin mit mir?"
Aus ihren vielen Ideen greift sie noch eine auf: Sie hätte gerne einen digitalen Privatsekretär, implantierte „Logs", die ihre Ideen ordneten und verknüpften. - Ob sie das ganz ernst meint, sei dahingestellt, denn genau vor diesem Implantat warnt Simon in ihrem lesenswerten dystopischen Roman „Die Wölfe von Pripyat" (2022), ihrem fünften Roman. 2014 debütierte Simon mit „Der Potemkinsche Hund", als Prosabuch Nr. 6 ist 2024 das surreale Texttableau „Mondkälber" erschienen, ein Buch wie ein Traum, aus dem es kein Erwachen gibt. Simon bleibt sich in ihren Büchern treu, was das Denken in Möglichkeitsformen und die Kritik an modischen Geistesströmungen betrifft. Auf den Punkt bringt es der Kulturredakteur Christoph Hartner in der Jurybegründung zum Literaturstipendium des Landes Steiermark: Cordula Simon sei eine unerlässliche und wunderbar widerspenstige Stimme des Humanismus.
ARTfaces-Redaktion
Oktober 2024