Freiluft-Kunstparcours mit Katze
Über die Wortspiele und Spiegelbilder von Christian Strassegger
Als wir nach dem Ateliergespräch ins Freie traten, um einen Rundgang durch das 5.000 Quadratmeter große Experimentierfeld am Südwesthang des Kulm zu machen, auf dem Christian „Chri" Strassegger viele seiner Arbeiten anfertigt, stieß eine junge, rot-getigerte Katze zu uns und begleitete und auf den eigens für den Kunstparcours angelegten Wegen. Die Katze strich uns um die Beine, erkundete dann wieder das mannshohe Gras zwischen den Wegen und Werken, die der 1967 geborene Künstler hier geschaffen hat.
Strassegger ist gelernter Fotograf und Absolvent der Meisterklasse für Malerei an der Grazer Ortweinschule. Seinem Lehrer Gerhard Lojen verdankt er vertiefte Einsichten in Geschichte und Wesen der Kunst. „Ich habe ab 22, 23 autodidaktisch viel gemalt. Als ich dann mit 29 die Meisterklasse bei Gerhard Lojen und Richard Frankenberger besuchte, habe ich gedacht, ich kenne mich schon aus mit der Kunst; aber dann bin ich draufgekommen, das war noch gar nichts."
Und so erweiterte der Maler seinen Horizont in Richtung Installationen, Land Art, Objekte und temporäre Kunstinterventionen - seine nunmehrigen Hauptbetätigungsfelder -, während die Arbeit mit dem Pinsel seit 2008 ruht. „Es ist einfach nichts mehr nachgekommen", meint er mit Blick auf sein letztes, Op-Art-mäßiges Gemälde, das im Atelier steht. Stattdessen rücken seitdem Strasseggers künstlerische Interventionen in den Vordergrund: Er versetzte beispielsweise ein rundes Stück grüne, saftige Wiese in den nahen Wald und sorgte so für Irritationen der Waldbesucher; er mähte das Copyright-Zeichen mit der Motorsense auf dem Wiesenstück bei seinem Haus aus - gut sichtbar für alle Ballonfahrer, die über das Apfelland schweben; und er färbte den Stamm und die Zweige einer eigenwillig mehr in die Breite als in die Höhe gewachsenen jungen Edelkastanie, die er vom Wald in seinen Kunstgarten verpflanzt hatte (wo sie zwar Wurzeln schlug, aber leider verdorrte), orange an und schuf sich so seinen „Orange Tree", zu Deutsch: Orangenbaum. Womit wir bei einem der Kennzeichen von Strasseggers aktuellen Werken wären: Die Wortspiele, die sich unter anderem in Arbeiten mit organischem Material niederschlagen.
Zum Beispiel „Leben aus dem Koffer" schaut bei Strassegger so aus: Ein alter Koffer, halb geöffnet, innen im Deckel ist ein Leuchtkörper montiert, der das aus dem Koffer wuchernde Gras beleuchtet. Zu sehen war der Koffer während des April-Festivals „kunst-ost" 2012 an verschiedenen Orten der Oststeiermark. Oder: Ein Kreis aus Erde, darin das Wort „Sache" erhaben aus Erde geformt, und im Lauf der der Ausstellung „PUR" anno 2008 am ehemaligen Werksgelände der Druckerei Klampfer in Weiz konnte man mitverfolgen, wie das Gras, das Strassegger auf das Erdrund gesät hatte, langsam über die „Sache" wuchs.
Der Künstler hat diese Reihe von Arbeiten, in denen er herkömmlichen Baumarkt-Rasensamen als Material einsetzt und auch schon mal Gras aus einem Stapel alter Zeitungen wachsen lässt, „GroWing" genannt. Übrigens: „Die Zeitungen hatten zu wenig Nährstoffe, und so ist das Gras nicht lange gewachsen." Aber das nur nebenbei. Und auch nur nebenbei sei erwähnt, dass sich diese Art von Kunst natürlich schlecht bis gar nicht verkaufen lässt - zum einen, weil sie ortsgebunden ist, zum anderen, weil die Werke vergehen. Oder sich zumindest in Strasseggers Kunst-Park weiter verwandeln. Der ehemals begrünte Zeitungsstapel etwa ist in der Zwischenzeit umgefallen und verwittert und dient den Katzen als Kratzbaum. Verwertbar von diesen Arbeiten sind lediglich die Fotografien, mit denen Strassegger seine Werke dokumentiert.
Eine andere Arbeit aus dem Zyklus „GroWing", ebenfalls am Grundstück bei seinem Haus in Reichendorf am Kulm realisiert, zeigt den „Himmel auf Erden": in das Gras eingesetzte Spiegel, die den Himmel reflektieren. Auf einem der Bilder, die die Arbeit festhalten, fallen der lange Schatten des Künstlers und einer seiner Katzen auf Spiegel und Erde. Und damit sind wir beim zweiten durchgängigen Thema, das sich schon länger durch Strasseggers Arbeiten zieht: Die Fotografie im Allgemeinen und die Fotografie von Spiegeln, genauer gesagt: von Verkehrsspiegeln, im Besonderen.
Als er vor acht Jahren nach Reichendorf übersiedelt ist, fiel ihm auf, wie viele Verkehrsspiegel in der Oststeiermark an den Straßen stehen. „Besonders fasziniert hat mich, dass die Spiegel, wenn man sie nicht vom Auto aus sieht, sondern nahe an sie herantritt, völlig neue Blicke auf die Landschaft freigeben." Und so begann Strassegger, die Spiegel der Oststeiermark abzulichten und ihre optische Interaktion mit der Umgebung festzuhalten. Das Ergebnis sind verblüffende Bilder, in denen das Zusammenspiel von Landschaft und Spiegelbild oftmals für Irritationen sorgt. Umberto Eco jedenfalls hätte seine Freude mit diesen Bildern, beschäftigt sich der Semiotiker doch in einem seiner Essays mit der Zeichenhaftigkeit der Spiegel und gelangt dabei zur Einsicht, dass das Spiegelbild stets mit dem Medium verschmilzt. Genau so, wie Chri Strassegger es in seinen Bildern zeigt ... Was die Katze zu solchen Betrachtungen sagen würde? Sie hat sich von uns verabschiedet und sich auf einem Stuhl auf der Freiluftveranda eingeringelt.
Eine Sammlung der über Jahre hinweg gesammelten Verkehrsspiegelbilder soll im Winter 2013/14 in Form eines Fotobandes mit Texten oststeirischer Autorinnen und Autoren über das Unterwegssein in der Oststeiermark erscheinen. Ein anderes Langzeitprojekt Strasseggers ist es, sein Freiluftatelier, in dem neben vielen, hier noch gar nicht erwähnten Land-Art-Installationen und anderen Objekten auch Verkehrsspiegel ihren Platz haben und beispielsweise als „Wolkenanhimmler" dienen, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Aber dafür fehlt noch das Geld. Und außerdem: Wer möchte, kann den Künstler und sein Freiluftatelier, durch das die Katzen streichen, nach Voranmeldung auch schon jetzt besuchen. Anregende Eindrücke durch ein assozationsreiches Schaffen sind garantiert.
Werner Schandor
Stand: September 2013







