Die Geheimnisse der Erwachsenen
Gabriele Kögl gelingt es in ihren Büchern so beiläufig wie überzeugend, den Eindruck des wirklich Gelebten aus ihren Geschichten sprechen zu lassen. Eine kritische Würdigung.
„Karla ist grad zehn Jahre, sie will aber schon Extrawürste. Auf dem Kaffee darf keine Milchhaut sein, aus dem Striezel klaubt sie die Rosinen heraus und weil ihr der Most zu sauer ist, will sie lieber Zuckerwasser. Die Eltern drohen ihr, sie ins Erziehungsheim zu stecken, weil sie nicht fertig werden mit ihr. Seit Karla beim Schlachten hat zuschauen müssen, will sie auch kein Fleisch mehr essen. Dabei wollten sie die Eltern nur abhärten, wie sie Karla an den Nußbaum gebunden haben. Karla wollte wegrennen, wie der Vater der Sau dreimal mit der Hacke auf den Kopf geschlagen hat, bis sie endlich umgefallen ist. Die Mutter hat der Sau mit einem großen Messer in den Hals gestochen. Zweimal ist sie abgerutscht und hat sich fast in die eigene Hand geschnitten, weil das Schwein so arg gestrampelt hat und sich ums Verrecken nicht hat wollen abstechen lassen. Beide haben geschrien wie am Spieß. Die Karla, wie sie der Vater mit dem Kälberstrick am Baum festgebunden hat, damit sie einmal zuschaut, wie das Abstechen geht. Und die Sau, wie die Mutter sie am Strick gehalten hat. Das Blut ist aus dem Schweinehals geschossen wie ein Wasserfall vom Berg. Es hätt den ganzen Hof überschwemmt, wenn die Mutter nicht einen Topf unter den Hals der röchelnden Sau gehalten hätt, um den schaumigen Saft für die Blutwurst aufzufangen."
Gabriele Kögls 1994 erschienenes Romandebüt „Das Mensch" ist trotz seiner überschaubaren Seitenzahl von 120 Seiten ein ebenso kraftvolles wie wirkungsmächtiges Prosakunstwerk. Darin wird anhand der Gefühlswelt der zehnjährigen Karla das Aufwachsen als jener Prozess erfahrbar, wo sich aus Ungewissheit und Unwissenheit, Neugierde und Naivität, Wut und Trauer, Hoffnung und Sehnsucht eine Persönlichkeit entwickelt, die versucht, aus all dem ein richtiges Leben zu machen.
"Eigentlich habe ich eine schöne Kindheit." Kögl nimmt die Perspektive der zehnjährigen Karla ein, und der Blick des Mädchens erlaubt ihr all die Facetten und Etappen einer Persönlichkeitsentwicklung zu beschreiben und von einer sich Schritt für Schritt entwickelnden (Über-)Lebensstrategie zu erzählen. Indem Kögl bzw. Karla alles ernst nimmt, die Erwachsenen beim Wort nimmt und das Erwachsenwerden als langsame Befreiung von Ängsten und Erfüllung von Wünschen begreift und beschreibt, gelingt Kögl eine lebensnahe, nie moralisierende Darstellung von Kindheit und Landleben. Dumpfe Rohheit und Gefühlskälte werden von Momenten echter Zuneigung und Geborgenheit abgelöst, neben großer Brutalität erfährt das heranwachsende Mädchen auch mitunter verstörende Nähe. Ein wenig undurchschaubar und oft unerklärlich ist diese Erwachsenenwelt, mit der Karla konfrontiert wird. Sie weiß am Ende des Romans nur eines ganz sicher: Sie will auf keinen Fall so werden wie die Erwachsenen.
Stinknormale Kindheit
Die ebenso authentische wie atmosphärisch-präzise Beschreibung des Dorflebens in „Das Mensch" ist wohl der eigenen Kindheit der Autorin geschuldet. Kögl selbst spricht in Interviews von einer „stinknormalen Kindheit der 60er Jahre auf dem Land". 1960 in Graz geboren, wuchs Gabriele Kögl in der zwischen Graz und Weiz gelegenen Ortschaft Krottendorf auf, absolvierte in Graz ein Lehramtsstudium, ehe sie an der Filmakademie Wien studierte und Drehbücher für Kurz- und Dokumentarfilme verfasste. Heute lebt Gabriele Kögl als freie Schriftstellerin in Wien und schreibt auch fürs Theater.
Familie und Fremdheit
Ist es in „Das Mensch" die Sicht eines Kindes auf das Leben und die Welt, die einen als Leser packt, berührt und mitunter abstößt, so ist es in „Mutterseele" eine alte Frau und deren Tirade, die einen fesselt. Das Leben der fast achtzigjährigen Erzählerin ist quasi gelaufen. Sie ist aus ihrem Heimatdorf kaum einmal hinausgekommen, hat das Meer nie gesehen und sogar die Landeshauptstadt Graz ist ihr mit ihrer vermeintlichen Größe und Hektik immer fremd geblieben. Alle Kinder sind erwachsen und die alte Frau - deren Gedanken sich zwischen Erinnerungen an ihren sich als Haustyrann gebärdenden Mann, enttäuschtem Wehklagen über die Lebenswege ihrer Kinder und Tagträumen über den Blumenschmuck am eigenen Grab im Kreise drehen - resümiert ihr bisheriges Leben und versucht so eine Art Lebensrechnung zu erstellen. Auch wenn ihre Lebensbilanz auf den ersten Blick dunkel grundiert und der Verlust den Ertrag zu überwiegen scheint, schwingt bei aller Tragik immer auch eine gewisse Heiterkeit in den monologisierenden Erzählungen der alten Frau mit.
In ihrem jüngsten, im Frühjahr 2013 erschienen Roman „Auf Fett Sieben" verknüpft Gabriele Kögl auf ebenso kluge wie amüsante Art und Weise eine Coming-of-Age-Story mit einem gutbürgerlichen Entwicklungsroman. Dabei bedient sie sich einer überaus originellen und sich an diversen Jugendjargons orientierenden Kunstsprache, die dem Roman nicht nur seinen ganz eigenen Ton, sondern auch viel Schwung verleiht. Die Ich-Erzählerin Phigie ist bald sechzehn und heißt eigentlich Iphigenie und führt ihre Eltern so ins Romangeschehen ein: „So lebten sie, meine Alten, in der totalen Virtualität. Er zog sich das Leben über den Computer rein, sie über die Bücher, die Einzige in der Familie, die noch Menschen brauchte, war ich."
Phigie wohnt nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Mutter, Typus Kulturtante mit pseudoliberaler Attitüde, und sieht ihren Vater, früher erfolgreicher Unternehmensberater, jetzt arbeitslos mit ersten Anzeichen von Depression, wie rechtlich vereinbart alle vierzehn Tage. Phigie versucht mit Erfolg aus dem Elternkonflikt materiellen Nutzen zu ziehen und konzentriert sich ansonsten auf ihre Katze, ihre muslimische Freundin und ihr Dasein als rebellierende Jugendliche, die die Erwachsenenwelt mit Vehemenz ablehnt.
Gabriele Kögl erwies sich in den vielen Jahren ihres bisherigen schriftstellerischen Daseins als verlässlich resistent gegenüber diversen Seilschaften, die sich, ausgestattet mit Ehrgeiz, Geduld und großer Anpassungsfähigkeit innerhalb des sogenannten Literaturbetriebs sehr geschickt in Position bringen, um so ihrer Karriere den nötigen „Rückenwind" zu sichern. Sie ist eine stille Künstlerin, die sich nicht über das Außerliterarische definiert. So besticht Gabriele Kögl weniger durch ihr Bild in der Öffentlichkeit, als durch ihre literarischen Texte.
Gabriele Kögls 1994 erschienenes Romandebüt „Das Mensch" ist trotz seiner überschaubaren Seitenzahl von 120 Seiten ein ebenso kraftvolles wie wirkungsmächtiges Prosakunstwerk. Darin wird anhand der Gefühlswelt der zehnjährigen Karla das Aufwachsen als jener Prozess erfahrbar, wo sich aus Ungewissheit und Unwissenheit, Neugierde und Naivität, Wut und Trauer, Hoffnung und Sehnsucht eine Persönlichkeit entwickelt, die versucht, aus all dem ein richtiges Leben zu machen.
"Eigentlich habe ich eine schöne Kindheit." Kögl nimmt die Perspektive der zehnjährigen Karla ein, und der Blick des Mädchens erlaubt ihr all die Facetten und Etappen einer Persönlichkeitsentwicklung zu beschreiben und von einer sich Schritt für Schritt entwickelnden (Über-)Lebensstrategie zu erzählen. Indem Kögl bzw. Karla alles ernst nimmt, die Erwachsenen beim Wort nimmt und das Erwachsenwerden als langsame Befreiung von Ängsten und Erfüllung von Wünschen begreift und beschreibt, gelingt Kögl eine lebensnahe, nie moralisierende Darstellung von Kindheit und Landleben. Dumpfe Rohheit und Gefühlskälte werden von Momenten echter Zuneigung und Geborgenheit abgelöst, neben großer Brutalität erfährt das heranwachsende Mädchen auch mitunter verstörende Nähe. Ein wenig undurchschaubar und oft unerklärlich ist diese Erwachsenenwelt, mit der Karla konfrontiert wird. Sie weiß am Ende des Romans nur eines ganz sicher: Sie will auf keinen Fall so werden wie die Erwachsenen.
Stinknormale Kindheit
Die ebenso authentische wie atmosphärisch-präzise Beschreibung des Dorflebens in „Das Mensch" ist wohl der eigenen Kindheit der Autorin geschuldet. Kögl selbst spricht in Interviews von einer „stinknormalen Kindheit der 60er Jahre auf dem Land". 1960 in Graz geboren, wuchs Gabriele Kögl in der zwischen Graz und Weiz gelegenen Ortschaft Krottendorf auf, absolvierte in Graz ein Lehramtsstudium, ehe sie an der Filmakademie Wien studierte und Drehbücher für Kurz- und Dokumentarfilme verfasste. Heute lebt Gabriele Kögl als freie Schriftstellerin in Wien und schreibt auch fürs Theater.
Familie und Fremdheit
Ist es in „Das Mensch" die Sicht eines Kindes auf das Leben und die Welt, die einen als Leser packt, berührt und mitunter abstößt, so ist es in „Mutterseele" eine alte Frau und deren Tirade, die einen fesselt. Das Leben der fast achtzigjährigen Erzählerin ist quasi gelaufen. Sie ist aus ihrem Heimatdorf kaum einmal hinausgekommen, hat das Meer nie gesehen und sogar die Landeshauptstadt Graz ist ihr mit ihrer vermeintlichen Größe und Hektik immer fremd geblieben. Alle Kinder sind erwachsen und die alte Frau - deren Gedanken sich zwischen Erinnerungen an ihren sich als Haustyrann gebärdenden Mann, enttäuschtem Wehklagen über die Lebenswege ihrer Kinder und Tagträumen über den Blumenschmuck am eigenen Grab im Kreise drehen - resümiert ihr bisheriges Leben und versucht so eine Art Lebensrechnung zu erstellen. Auch wenn ihre Lebensbilanz auf den ersten Blick dunkel grundiert und der Verlust den Ertrag zu überwiegen scheint, schwingt bei aller Tragik immer auch eine gewisse Heiterkeit in den monologisierenden Erzählungen der alten Frau mit.
In ihrem jüngsten, im Frühjahr 2013 erschienen Roman „Auf Fett Sieben" verknüpft Gabriele Kögl auf ebenso kluge wie amüsante Art und Weise eine Coming-of-Age-Story mit einem gutbürgerlichen Entwicklungsroman. Dabei bedient sie sich einer überaus originellen und sich an diversen Jugendjargons orientierenden Kunstsprache, die dem Roman nicht nur seinen ganz eigenen Ton, sondern auch viel Schwung verleiht. Die Ich-Erzählerin Phigie ist bald sechzehn und heißt eigentlich Iphigenie und führt ihre Eltern so ins Romangeschehen ein: „So lebten sie, meine Alten, in der totalen Virtualität. Er zog sich das Leben über den Computer rein, sie über die Bücher, die Einzige in der Familie, die noch Menschen brauchte, war ich."
Phigie wohnt nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Mutter, Typus Kulturtante mit pseudoliberaler Attitüde, und sieht ihren Vater, früher erfolgreicher Unternehmensberater, jetzt arbeitslos mit ersten Anzeichen von Depression, wie rechtlich vereinbart alle vierzehn Tage. Phigie versucht mit Erfolg aus dem Elternkonflikt materiellen Nutzen zu ziehen und konzentriert sich ansonsten auf ihre Katze, ihre muslimische Freundin und ihr Dasein als rebellierende Jugendliche, die die Erwachsenenwelt mit Vehemenz ablehnt.
Gabriele Kögl erwies sich in den vielen Jahren ihres bisherigen schriftstellerischen Daseins als verlässlich resistent gegenüber diversen Seilschaften, die sich, ausgestattet mit Ehrgeiz, Geduld und großer Anpassungsfähigkeit innerhalb des sogenannten Literaturbetriebs sehr geschickt in Position bringen, um so ihrer Karriere den nötigen „Rückenwind" zu sichern. Sie ist eine stille Künstlerin, die sich nicht über das Außerliterarische definiert. So besticht Gabriele Kögl weniger durch ihr Bild in der Öffentlichkeit, als durch ihre literarischen Texte.
Heimo Mürzl
Stand: September 2013