Ein Indianer kennt keinen Schmerz
Für das Prinzip Hoffnung fühlt sich Harald Darer nicht zuständig. Trotzdem ist ihm mit seinem Debütroman ein lakonisch-aufklärerisches und derb-humorvolles Buch der Aufmüpfigkeit gelungen.
Harald Darer, geboren 1975 in Mürzzuschlag, legte nach einer Lehre die Berufsreifeprüfung ab und zog nach diversen Weiterbildungen 1997 mit einem Freund nach Wien. Gelegenheitsjobs hielten ihn über Wasser, das Schreiben (seit 2005 Veröffentlichung von Texten in Zeitschriften - Kolik, Podium, Sterz, schreibkraft - und Anthologien) und die Bassisten-Tätigkeit für diverse Bands waren seine Leidenschaft, und nachdem er 2009 und 2010 die Akademie für Literatur in Leonding absolviert hatte, begann das Feilen an seinem Debütroman „Wer mit Hunden schläft".
Der im Februar 2013 vom Picus Verlag veröffentlichte Roman beeindruckt mit seiner gelungenen Mischung aus radikaler Subjektivität, absurder Drastik, derbem Humor und aufklärerischem Impetus. Das Relativierende und Abwägende ist nicht Darers Sache - zu radikal ist seine Literatur in ihrem Anspruch. Damit und mit dem beschriebenen Alltag, den leitmotivisch eine unbewältigte Kindheit und Familien-Vergangenheit durchzieht, passt sein Schreiben gut in die Tradition von Franz Innerhofer, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Gernot Wolfgruber. Wobei Harald Darers Literatur nie belehrend oder verbissen wirkt, sondern stets eine präsente Hoffnung auf ein anderes Leben mitschwingt.
„Wie jeden Freitag sitzt der Herr Norbert bei seiner vom Gericht verordneten Therapiesitzung im kleinen Therapieraum der ihm zugewiesenen Männerberatungsstelle auf dem abgewetzten Drehsessel. Ihm gegenüber lehnt sein Lebensberater schief in einem für diese Therapieräume typischen schwarzen Ledersofa und kaut an der Spitze eines Kugelschreibers herum. ‚Kreisky, sag ich zu meinem Hund, geht doch alle scheißen, hab ich mir seinerzeit beim Abschied gedacht, wirklich wahr‘, sagt der Herr Norbert."
Der Anti-Held in Darers Romanerstling wächst als lediges Kind einer Dienstmagd in Pichlberg auf einem entlegenen steirischen Bauernhof auf und lernt zu überleben: Von der Mutter geliebt, von der Familie geduldet, vom patriarchalischen Hofherrn und seinen heimtückischen Söhnen drangsaliert. Während der Leitenbauer Sonntag für Sonntag seine Kinder mit dem Rindsledertrachtengürtel verdrischt, um sie zum Verzehr des verhassten steirischen Brennsterzes zu zwingen, schneiden seine Buben den Katzen die Schwänze und den Kröten die Köpfe ab und verspotten Norbert als unnötiges Bankert von der Bauerndirn.
„Die Gemeinheit ist die einzige Möglichkeit um zu überleben. Je hinterfotziger die Gemeinheiten sind, die du dir ausdenkst, umso weiter kommst du im Leben, Kreisky, wirklich wahr."
Originelle Erzählstimme
Auch nachdem Norbert, der liebe kleine Norli, wie er von seiner Mutter genannt wird, von ihr in das Arnautovic Kinderheim nach Wien abgeschoben wird, weil er sie beim Pudern mit dem Leitenbauer beobachtet und diesem aus lauter Verstörung fast den Schädel eingeschlagen hat, bleibt sein Dasein vom (unerfüllten) Verlangen nach Menschlichkeit und dem anhaltenden Kampf um ein Selbst in einer Welt der Missachtung bestimmt. Kaum im Heim angekommen, wird Norbert durch einen Brief des Pichlberger Pfarrers Probodnig, laut Herrn Norbert von allen Pichlbergern der größte Ungustl, vom Tod seiner Mutter unterrichtet.
„Ein tragisches Unglück, welches in ihrem Tod resultierte, hat er geschrieben, Kreisky, sag ich zu ihm. Nur ein Schwein kann so einen gemeinen Satz einem Zehnjährigen schreiben, oder?"
Herr Norbert verkraftet und übersteht auch das, später auch den blauen Brief, wie das Entlassungsschreiben alltagssprachlich genannt wird, das der Straßenbahner von seinem langjährigen Arbeitgeber, der Wiener Linien Gmbh & Co KG, nach einem tragischen Unglücksfall erhält. Harald Darer schildert all das Ungemach sehr eindringlich und unverwechselbar, in einem ganz eigenständigen Tonfall, frei von Pathos, aber schonungslos und mit viel (schwarzem) Humor.
Harald Darer ist ein Mit-Leidender geblieben, er weiß um die verletzten Seelen und abseits stehenden Habenichtse. Nichtsdestotrotz ist sein Roman „Wer mit Hunden schläft" keine bloße literarische Fallstudie eines modernen Verlierers oder wehrlosen Opfers - zu gewitzt, lebensnah und beharrlich-menschenfreundlich lässt Darer seinen Roman-Protagonisten von seinem Leben erzählen. Von einem Leben, das man nehmen muss, wie es ist, und für das man immer bereit sein muss, mit ein bisschen Mut, etwas mehr Gleichmut und sehr viel Humor.
„Alles löst sich auf, Kreisky. Nur nicht in WOHLGEFALLEN, wie die Mutter immer gesagt hat, sondern in gar nichts. Wie sich auch die Therapiesitzungen bald in gar nichts auflösen werden. Es ist sowieso nie alles gesagt. Nie ist alles ausgesprochen. Erst das Ausgesprochene kann bewältigt werden, sagen sie mir, Kreisky. Ein Neustart ist durchaus im Bereich des Möglichen. Eine Abgrenzung von dem. Eine Befreiung, eine Zukunft durchaus auch, sagen sie mir, Kreisky. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. (...) Da ist es doch viel gescheiter, du wartest bis morgen, wegen der VORFREUDE, die ja das SCHÖNSTE IST, und weil du dir denkst MORGEN IST JA AUCH NOCH EIN TAG, wie die Mutter immer gesagt hat, Kreisky, wirklich wahr, sagt der Herr Norbert."
Mit seinem Debütroman hat sich Harald Darer als ebenso originelle wie dem harten Realismus verpflichtete Erzählstimme vorgestellt. Szenen von verstörender Grausamkeit stehen neben solchen voll von trockenem Witz und großer Zartheit - in dieser Mischung liegt der Reiz seines ersten Buches. Derzeit arbeitet Harald Darer gerade an seinem zweiten Roman. Man darf gespannt sein.
Heimo Mürzl
Stand: Oktober 2013