Kunst gibt Kontra
Der gebürtige Steirer Oliver Ressler ist Künstler, Filmemacher und Aktivist. Seine kapitalismuskritischen Arbeiten sind weltweit zu sehen.
Als die Finanzkrise 2008 unser Wirtschaftssystem in seinen Grundfesten erschütterte, entstand ein Bewusstsein für Themen, an denen sich Oliver Ressler bis zu diesem Zeitpunkt schon mehr als ein Jahrzehnt lang abgearbeitet hatte. Es stellte sich damals das Gefühl ein, dass etwas, um es salopp zu formulieren, nicht mehr in Ordnung ist - mit unserem Gesellschaftssystem, mit politischen Prozessen, mit dem undurchschaubaren Agieren der Finanzwirtschaft. „Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es bei den meisten Menschen in den Industriestaaten, im globalen Norden, fast eine mehrheitsfähige Meinung geworden, dass der Kapitalismus nicht zum Wohle aller da ist. Es herrschte eine große Unzufriedenheit über das gesellschaftliche System und die Ansicht, dass es nun an der Zeit sei, über etwas anderes nachdenken", sagt der 1970 in Knittelfeld geborene Künstler, der stets auch Aktivist war. Zuletzt fungierte Ressler, er lebt seit vielen Jahren in Wien, als Sprecher einer Initiative der Wiener Secession, die sich solidarisch mit den Flüchtlingen im Servitenkloster erklärte.
Tatsächlich ist ein gewisses Krisenbewusstsein schon länger in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und Resslers künstlerischer Erfolg, quantitativ betrachtet, nahm in den letzten Jahren kontinuierlich zu, was wohl nicht zuletzt auch auf diesen Umstand zurückzuführen ist. Er blickt derzeit auf sein bislang erfolgreichstes Ausstellungsjahr zurück. „Das alles zu koordinieren und abzuwickeln", meint er, „ist mitunter schon ein richtiger Managementjob." Aber sein Arbeitscredo, politisches Engagement mit bildender Kunst zu verschränken, war nicht immer salonfähig. Mitte der neunziger Jahre hat er noch des Öfteren zu hören bekommen: „Interessant ist das schon, aber Kunst ist es nicht." Nur nach den Antiglobalisierungsaufmärschen, der Occupy-Bewegung oder den Demokratiebestrebungen in Nordafrika und dem Nahen Osten sind diese Themenfelder viel stärker auch in der zeitgenössischen Kunst angekommen. So richtete hierzulande etwa der steirische herbst letztes Jahr ein einwöchiges Camp für Künstler und Aktivisten ein, an das sich Ressler gerne zurückerinnert: „Ich war wirklich begeistert. Da ist etwas gewagt worden, das auch aufgegangen ist. Und es war eine Idealsituation für ein Kunstverständnis, wie auch ich es pflege." Er nahm nicht nur am Camp teil, sondern kuratierte für das Festival im Kunstverein < rotor > die Schau „Absolute Democracy". Auch heuer war Ressler bei der Festivalausstellung „Liquid Assets", die den globalen Finanzkapitalismus zu durchleuchten suchte, mit an Bord.
Seine Aktivitäten und künstlerischen Arbeiten hat Ressler auf seiner Homepage umfangreich dokumentiert. Man erfährt über seine Projekte im öffentlichen Raum, seine Kunstinstallationen, und bekommt auch Zugang zu seinen Videos und Filmen. So hat er sich etwa über Jahre hinweg mit Arbeitswelten in Venezuela beschäftigt. Die Filme „Venezuela von unten" (2004) oder „5 Fabriken - Arbeiterkontrolle in Venezuela" (2006) sind gemeinsam mit dem italienischen Politikwissenschafter Dario Azzellini entstanden und dokumentieren Akte der Selbst- oder Mitverwaltung in dortigen Papier- oder auch Kakaofabriken. Voriges Jahr war seine Videoinstallation „Take The Square" beim steirischen Kulturfestival Regionale zu sehen, die danach ins GrazMuseum wanderte und in der Protagonisten der Occupy-Bewegung in Madrid, Athen oder New York über ihr Demokratie- und Widerstandsverständnis referieren. Eine besondere Ehre wurde Ressler zuteil, als er 2002 mit dem Karlsruher Medien-Kunstpreis ausgezeichnet wurde. Für „This is what democracy looks like" war Ressler mit der Videokamera beim World Economic Forum das Jahr zuvor in Salzburg und dort mit rund tausend Demonstranten mehrere Stunden lang von der Polizei eingekesselt. Zuletzt entstanden filmische Arbeiten, die sich unter anderem mit der radikal auseinandergehenden Einkommensschere in Georgien und Armenien beschäftigten, aber auch mit der Klimaerwärmung - „Leave It in the Ground" (2013) ist, wenn man so will, ein einziges Horrorszenario. Eine inszenierte Fotoserie, wie etwa „We have a situation here", die 2011 auch in der Kulturpension Feuerlöscher in Prenning zu sehen war, bildet allerdings die Ausnahme in seinem Œuvre.
Aber Ressler ist nicht nur auf der Suche nach den Systemfehlern des Kapitalismus, sondern auch nach Alternativen - nach Wegen und Möglichkeiten, wie sich eine Gesellschaft erneuern könnte. Anschaulich dargelegt etwa in „Alternative Ökonomien. Alternative Gesellschaften" (2008), eine Publikation, die auf einem über die Jahre stetig angewachsenen Ausstellungsprojekt fußt, das 2003 in Ljubljana begann und danach etwa in São Paolo, Berlin oder Taipeh zu sehen war. In dem Band kommen zahlreiche Theoretiker und Ökonomen zu Wort, die über Gesellschaftsmodelle für eine Zeit nach dem Kapitalismus nachdenken. Über Modelle, die etwa auf Gleichheit und Solidarität, vielleicht auch auf Tausch und Geschenk, zumindest nicht auf Kapitalanhäufung basieren könnten.
Ob ihn die Beschäftigung mit systemimmanentem Ungemach über die Jahre nicht auch ermüdet, gar frustriert hätte? „Überhaupt nicht", sagt er. „Ich beschäftige mich ja mit Formen des Widerstandes, die haben etwas extrem Inspirierendes und sind auch mit sehr freudvollen Erfahrungen und Aktivitäten verbunden. Wenn du etwa beim Generalstreik in Madrid mit dabei bist, wenn du 20 Kilometer herumläufst und dann so müde bist, dass du zwei Tage schlafen möchtest, gibt mir das gleichzeitig extrem viel Kraft. Weil ich sehen kann, was mit Gemeinschaft, politischem Willen und Organisation alles möglich ist."
Tiz Schaffer