Der Umgang mit finalen Destinationen
Warum in Clemens Kranawetters Bildern das Jüngste Gericht bereits stattgefunden haben könnte.
Bereits in seinen ersten Ausstellungen hat Clemens Kranawetter Rahmenbedingungen geschaffen, die seiner Arbeit in Breite und Tiefe Entwicklungsfelder eröffnen. So hat er erstens einen Typus formuliert, der trotz seines reduzierten Duktus ebenso individualisiert variierbar ist wie er ihm auch ermöglicht, bezeichnende Situationen darzustellen. Dabei entsteht für den Betrachter der Eindruck, als würde er einen Blick in eine Welt werfen, die der unseren verwandt ist, deren Bedingungen aber extremer und beunruhigender sind. Das Urbane scheint zerstört, und verstört wirken die Figuren, die sich auf diesen Bildern zeigen.
Clemens Kranawetter, Jahrgang 1978, stammt aus Bad Aussee, studiert in Graz Kunstgeschichte und schreibt gerade an seiner Diplomarbeit über Höllendarstellungen.
Ein solches Thema sucht man sich nicht von ungefähr aus. Vergegenwärtigt man sich, wo in der Geschichte der Kunst der Typus am offensichtlichsten Stellvertreterfunktion für die Menschheit zeigt, so findet man ihn auf den Darstellungen des Jüngsten Gerichts.
In Indien beispielsweise kommt der Typus gehäuft als variantenreiches Alphabet lustvoller Geschlechtsakte vor, in Ägypten als Funktionsträger der Alltags- und Götterwelt, im frühen Griechenland als halbgöttlich verkörperte Aggregatzustände ... und sowohl in diesen als auch in der final dramatischen Zuspitzung der christlichen Ikonografie ist der Typus immer gestalthafter Ausdruck dessen, dass wir alle aus dem gleichen Nest stammen und unsere gegenseitigen Alter Egos verkörpern.
Als zweite Bilddisposition zeigt uns Clemens Kranawetter innerweltliche Auslagerungen traumhafter, aber auch traumatischer Bildmotive, die an das erinnern, was C. G. Jung Archetypen der Traumsymbolik nennt, was er im Sinne einer angeborenen Tendenz meint, die individuell ausformuliert, zum exemplarischen Stillstand gebracht werden kann.
Nehmen wir nun (als Arbeitshypothese) an, eine finale Zuspitzung der Charaktergewichtung, ähnlich einem Jüngsten Gericht, bloß ohne Pomp und Trara, hätte in dieser Bilderwelt bereits stattgefunden, einfach als eine diffus geahnte, aber gänzliche Abwägung, als vehement, aber vage empfundene Zurückweisung in eine säkularisierte Welt, so erfüllt sich der Titel der aktuellen Ausstellung von Clemens Kranawetter, „Behind", als Sinnsuche und Antriebsfeder, als Frage nach dem, was und ob denn noch etwas hinter allem steckt, oder ob einfach ein So und nichts weiter einzig noch die tägliche Administration der Anforderungen übrig lässt.
Auch dabei bricht Clemens Kranawetter die Frage zuerst einmal auf den kleinsten Nenner herunter, auf das Element des Gitterspiegels, in dessen Abspiegelungen er seinen vertrauten Weg durch Graz, vorbei an Sehenswürdigem und Verborgenem, fotografisch dokumentiert. Dieser „vergitterte Blick" gerät dann aber auch selbst in Bewegung, so entwickeln sich aus den Gittern auf seinen Bildern rhythmisierte Zwischenräume, wodurch Bildstreifen entstehen, die dem Betrachter einen farbigen Barcode suggerieren.
Aber auch, und das korrespondiert wieder mit dem Themenfeld Zeit - Wachstum - Erinnerung, wirkt unter den dunkel überdeckenden Streifen das zugrunde liegende Bildmotiv nach, nun aber einzig als weiter präsentes Relief. Die ursprüngliche Malerei, (oft abstrahierte Landschafts-, Natur-, Baum-, Felsdarstellungen aus einer früheren Arbeitsphase) verstärkt durch Strukturpaste, lässt sich, absichtsvoll, nicht gänzlich unterkriegen. Somit ist auch das thematische „Behind" in diesem Fall ein zeitliches Davor, das nach dem Eingriff der „Vergitterung" eine gestalterische Einheit mit dem Jetzt als weiterwirkenden Ist-Zustand eingeht. Ja, das ist eine symbolistische Annahme, von der ich hier ausgehe und dafür gibt es Indizien. Man kann nämlich nicht gegen sich selbst Schach spielen, genauso wenig kann man eine echte Bedrängnis erfinden, ohne tatsächlich bedrängt zu sein. Kurz, es gibt keine schöne Lösung für ein essentielles Problem. Würde Clemens Kranawetter daran glauben, hätte er als Thema für seine Diplomarbeit wohl Himmelsdarstellungen gewählt.
Bemerkenswert bei den Arbeiten von Clemens Kranawetter ist aber vor allem, dass er sich keine postmodernen Vertraulichkeiten erlaubt und auch keine augenzwinkernden Distanzierungen, sondern dass er einen ganz eigenständigen Zugang zu seinem eindringlich fordernden Welterlebnis sucht, in einem malerischen Prozess zwischen Stetigkeit und Sturheit, schwermütig und kraftvoll, langsam und konsequent. Und es wird interessant sein, wie er diese neuen Bausteine in seine Figurenwelt integriert, sie weiter verstört, konterkariert oder differenziert.
http://www.clemenskranawetter.at/
Erwin Michenthaler
Stand: Jänner 2014






