Nur mehr Musik über die Ohren
Der Geiger Kurt Bauer hat die klassische Musik verlassen, um sich als musikalischer Freelancer den unterschiedlichsten Stilen und Kulturen widmen zu können.
Kurt Bauers Lebenslauf hat für einen Geiger nahezu klassisch begonnen: zuerst der Besuch des Grazer Musikgymnasiums Dreihackengasse, anschließend das Studium der Violine an der hiesigen Universität für Musik und darstellende Kunst. Zur Geige hingezogen fühlte er sich vor allem, weil schon sein großer Bruder Geige lernte. „Wir haben sehr viel miteinander musiziert", erinnert sich Bauer. Das wäre auch sein Glück gewesen. Das Violine-Studium auf der Kunstuniversität hat er dann abgebrochen und damit auch die klassische Musik hinter sich gelassen. Das letzte klassische Konzert, das er vor über zwanzig Jahren gespielt hat, war Felix Mendelssohns Bartholdys Violinkonzert in e-Moll. Zu dieser Zeit, zu Beginn der 90er Jahre, wandte sich Bauer einem Massenstudium zu und begann sich in die Rechtswissenschaften zu vertiefen. „Das war eine gute Abwechslung", sagt er rückblickend. Und auch in der Musik hat er mit der Abwechslung begonnen, die sein berufliches wie auch künstlerisches Leben nach wie vor beherrscht.
Bauer ist ein musikalischer Freelancer, der im Moment zehn unterschiedliche Projekte am Laufen hat, und dessen Kalender - selbst gemacht aus DIN-A4-Zetteln, die jeweils einen Monat überblicken - vollgeschrieben ist. Ethno, Folk und irische Musik waren seine ersten Steckenpferde nach der Klassik. Genres, die er auch mit seiner ersten Band „deishovida" bespielte. Mit Lothar Lässer (Akkordeon) und dem Komponisten und Musikwissenschaftler Joshua Horowitz, dem Gründer der Gruppe Budowitz, tauchte Bauer in die Klezmer-Musik ein. Von 2000 bis 2002 absolvierte der Geiger ein Studium am Jazzkonservatorium in Linz.
Schon bald nach seiner Abkehr von der klassischen Musik begann Bauer, Musik ausschließlich über die Ohren zu erfassen und dann zu transkribieren. „Noten sind ein Superhilfsmittel", sagt er; aber das Notenlesen und das Vom-Blatt-spielen-Können macht für ihn noch keine Musik aus. Bauer interessiert sich für alle möglichen Arten der Musik, möchte sie lernen, spielen und spüren. Für ihn ist in der Kunst der Weg wesentlich: „Kunst sollte immer ergebnisoffen sein. Wenn ich das Warum kenne, dann hätte ich auch schon ein Ziel formuliert. Dabei ergibt sich auf dem Weg dorthin so viel."
Und weil sich Bauer in seinem Leben von einem zum anderen weiterhantelte, kam als Nächstes das „Sandy Lopicic Orkestar" (SLO), mit dem Bauer einen intensiven Weg beschritt - auch weil er gleichzeitig der Geschäftsführer der multikulturellen Musiktruppe war: „Ich habe damals sehr viel Zeit auf Botschaften verbracht", erzählt er schmunzelnd. Es sei gar nicht so einfach gewesen, Visa für das jeweilige Tourneeland für die den unterschiedlichen Staaten angehörigen MusikerInnen zu bekommen. Doch auf Dauer konnte man das hohe Tempo und den finanziellen Druck nicht mehr aushalten - man habe sich im SLO klassisch auseinandergelebt. Hinzu kamen noch kompositorische und musikalische Produktionen, die Kurt Bauer für die Vereinigten Bühnen Graz, den steirischen herbst oder dramagraz abwickelte. Richtig „Vollgas" und turbulent wurde sein Musikerleben dann mit „Shantel's Bukovina Club Orkestar". 2007 startete er mit der Truppe um Stefan Hantel eine Reise durch ganz Europa mit einem Ziel, jeden Abend die perfekte Show abzuliefern. Das habe funktioniert wie eine Firma. Bauer war bis 2010 viel unterwegs und in ganz Europa auf der Bühne: vom Glastonbury & Roskilde Festival über das Paléo Festival Nyon, das Donauinselfest und das Wiener Burgtheater, das Paradiso in Amsterdam bis hin zum Palais de Festival in Cannes.
Um musikalisch weiterzukommen, ist Bauer nach Graz zurückgekehrt. Ein breites musikalisches Spektrum, gespickt mit zahlreichen Gastauftritten, so sieht sein Leben jetzt aus. Ob Bossa nova, Klezmer, Balkanmusik oder Jazz - für ihn gibt es keine „Lieblingsrichtung". „Jede Musik hat ihre eigenen Schönheiten. Es macht gar keinen Sinn zu werten." Üben im klassischen Sinne tut er nicht mehr, umso mehr probt er, um Stilelemente herauszuhören, und um dann aus seiner Geige noch vielseitigere Klänge herauszuholen. Er spielt auf einem Instrument der Geigenbauerin Anna Wagner mit einem Tonabnehmersystem, über das er seiner Geige experimentelle, innovative und auch effektvolle Klänge, Töne und Sounds entlockt.
Musikalisch wandert er gerne gegen Osten. Sein nächster Halt wird Griechenland sein. „Es gibt so viel spannende Musik, und es gibt noch so viel zu entdecken." Zukunftsängste kennt Bauer nicht, im Gegenteil, es ergeben sich immer wieder neue musikalische Betätigungsfelder für den 43-jährigen Vollblutmusiker.
Petra Sieder-Grabner
Stand: März 2014