Johnny bleib!
Warum vier Grazer Musiker unter dem Namen „love god chaos“ ganz gelassen durchstarten und wo das Meer am tiefsten ist.
Aus den Trümmern der Band Spuk entstand „love god chaos" rund um den charismatischen Sänger Krempl, auch bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Marcus Heider. Die drei weiteren Musiker heißen Kertz, Kraxner und Krüger und auch sie sind in der Grazer Szene keine Unbekannten. Die Bandnamen My wicked wicked ways und Sado-Maso Guitar Club werden Eingeweihten wahrscheinlich etwas sagen. Die erste CD des Liebe-Gott-Chaos-Quartetts, das sich zuvor zwar kannte, aber noch nie zusammen in einer Band spielte, nennt sich „wo das meer am tiefsten ist". Rock oder Pop mit deutschen Texten also. Gerne etwas epischer angelegt. Und das sieht und hört man gleich: Geschmackvoll durch und durch. Die Grafik ist professionell im besten Sinne des Wortes, detto die Fotos, die Videos und vor allem auch der Sound, den Bandleader Heider als „euphorischen, manchmal dunklen Indie-Rock" bezeichnet.
Die Songs sprengen das klassische 3-Minuten-Format erheblich und funktionieren besonders gut in Kombination mit den entsprechenden Kurzfilmen aus dem Hause Reziprok. „Musik wird heute lieber angesehen als angehört", sagt Krempl-Heider mit erstaunlicher Gelassenheit. „love god chaos" lassen den Dingen ihre Zeit und erwarten sich keine rasanten Höhenflüge. Dazu ist man schon zu lange im „Geschäft", das doch meistens Liebhaberei und nicht rentables Business ist. „Ich bin ein gutes Beispiel dafür, wie man als nicht oder kaum erfolgreicher Musiker nicht oder kaum erfolgreich bleiben kann", sagt Heider. Und weiter: „Es geht mir aber auch nicht um Größe, sondern um Tiefe. Schließlich sind wir weder Roland Emmerich noch Godzilla und schon gar nicht Pink Floyd."
Die Songs haben ihre eigene Dynamik, besonders schön abzulesen an „Johnny bleib", das zuerst lange das Verweilen thematisiert und dann doch endet mit: „Johnny geh". Noch komplexer ist der Song „du suchst das meer" aufgebaut. Als „Krebsgang" sieht der Sänger die Komplexität dieses Tracks. Thematisch geht es auf dem Album vom Nachtzug nach Bangalore bis nach Cottbus, die Liebe ist immer mit an Bord. Die tiefste Stelle des Meeres, der Mariengraben, kommt natürlich auch ausführlich zur Sprache. Apropos Tiefgang: Die Platte verdient das altehrwürdige Attribut „Album", es gibt ganz klassisch eine A- und eine B-Seite, zugegeben auf der CD etwas schwer festzustellen. Aber schließlich ist „wo das meer am tiefsten ist" auch auf Vinyl erhältlich.
Der in die Mitte des Bandnamens gesetzte „god", der auch grafisch deutlich hervorgehoben wird, ist für Heider eher philosophischer Natur: „Ich stehe diesen Dingen skeptisch gegenüber, aber die Idee eines höheren Wesens, an das man sich klammern kann, ist für mich eine sehr mächtige."
Zurück auf den Grazer Boden der Realität. Wird man eigentlich im Supermarkt erkannt und begeistert begrüßt, wenn man wie Marcus Heider bereits in einem guten Dutzend lokaler Musikgruppen gespielt hat? Der Gefragte verneint: „Nicht, wenn man wie wir weitgehend unter der Wahrnehmungsschwelle agiert. Aber natürlich grüßen einen zwischendurch Leute, von denen man nicht genau weiß, woher man sie kennt." Einiges an dieser peripheren Popularität dürfte ausgerechnet auf eine der faulsten Bands des Planeten zurückzuführen sein: Die Trainleaders, die in den vergangenen 12 Jahren genau 1 Konzert spielten und dennoch in Graz und wohl auch darüber hinaus immer noch einen gewissen Kult-Charakter besitzen - auch wenn Sänger Marcus Heider das so wahrscheinlich nicht formulieren würde.
Die ökonomische Situation für „kleinere" Bands in Graz ist in den vergangenen Jahren nicht besser geworden, auch wenn man mit den „neuen" Medien wie Youtube oder Facebook unter Umständen ein deutlich größeres Publikum erreicht. „Das nächste Mal machen wir keine CD-Präsentation, sondern eine T-Shirt-Präsentation", dieses Zitat eines der „Trainleaders" beschreibt für Marcus Heider die Lage am hiesigen „Markt" sehr treffend. Das Comeback der Vinyl-Platte und den sukzessiven Untergang des Mediums CD findet der Sänger irgendwie dann doch grandios: „Wer hätte gedacht, dass wir als bisher wohl einzige Generation die Geburt und den Tod eines Tonträgers aktiv miterleben?"
Wie aber klingt nun „love god chaos"? Sehr unterschiedlich, in vielen Momenten filmisch, weniger zornig als die Vorgängergruppierung Spuk, romantisch zuweilen, sprachverliebt. Das Duo Kid Kopphausen darf man als Vorbild nennen, sagt Heider. Interessenten an heimischer Pop- und Rockmusik täten jedenfalls gut daran, die Möglichkeiten der Technik zu nutzen. Also zuerst auf Youtube nach einem Video von „love god chaos" suchen. Und dann bei Gefallen: Kaufen. Egal, in welchem Format. T-Shirts gibt es übrigens auch.
https://www.youtube.com/watch?v=pqOOvjnaA8M
www.lovegodchaos.at
Wolfgang Kühnelt
Stand: Mai 2014