Die Fasern, die die Welt bedeuten
Ehe sie sich mit Textilkunst zu beschäftigen begann, hatte Michaela Mayer-Michnay bereits als Bühnen- und Kostümbildnerin an einigen legendären Theater- und Operninszenierungen mitgewirkt.
Ihre textilen Objekte - oft Miniaturen - sind nicht nur räumlich oft vielschichtig, sondern inhaltlich höchst anspielungsreich, etwa die standartenförmige Arbeit „Anyway/Myway", in der sie das Geschichtslabyrinth Mitteleuropas mit den Familienbiografien ihrer eigenen und der Familie einer Schweizer Freundin verwob: Wimpeln aus traditionell bedruckten Stoffen kommen dabei ebenso zum Einsatz wie der konsequente Kreuzstich, der mit einander kreuzenden Wegen ebenso korrespondiert wie mit dem Schweizer Kreuz, das in der Mitte der Arbeit angedeutet und in der Mitte und am Fußende des Kreuzes mit kleinen, dia-artigen Fotofolien hinterlegt ist. Die Arbeit war 2002 in der Berliner Galerie „Kulturgucker" im Rahmen der Ausstellung „Kunst : Schweiz" zu sehen.
Raffiniert ist auch die Installation eines tanzenden Tangopaares, die Mayer-Michnay 2001 in Gleisdorf zeigte: „Der Austausch zwischen männlicher und weiblicher Energie im Tanz fasziniert mich am Tango", sagt die Künstlerin. Ihr lebensgroßes Tango-Paar bestand aus Stoffen und einem stützenden Korsett sowie aus Metallfedern, die von Magneten in einer dynamischen Schwebe gehalten wurden. In einer weiteren Tango-Arbeit verwandelte sie ein Foto eines tanzenden Paares in eine Kreuzstichvorlage, indem sie das Bild aufpixelte. Daraus entstand ein Triptychon, bei dem sich die Strukturen in jedem der drei Bilder stärker auflösen, bis sie schließlich nur noch Rot-Abstufungen zu erkennen sind. „Als ich daran arbeitete und in der Nacht kaum mehr zwischen den Rottönen unterscheiden konnte, erkannte ich, dass Stickerei - wie sie beispielsweise in Klöstern praktiziert wurde - eine Form der Meditation sein kann." Womit sich der Kreis zum Tango für Mayer-Michnay schließt, denn auch bei diesem Tanz kommt es nicht so sehr auf die Schrittfolge an als vielmehr auf das Sich-Einlassen-Können bzw. Aufgehen in dem, was man gerade tut.
Hinter ihren textilen Kunstwerken steht eine solide handwerkliche Ausbildung mit akademischem Hintergrund. Michaela Mayer-Michnay stammt aus einer Grazer Künstlerfamilie - die Mutter Malerin, der Vater Bildhauer. Sie selbst studierte Bühnenbild an der damaligen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz (heute Kunstuniversität). 1977 gehörte sie zum ersten Jahrgang der Absolventen für Bühnenbild. Nach einem Engagement in Basel kehrte Mayer-Michnay 1980 nach Graz zurück, wo sie am Grazer Schauspielhaus an legendären Produktionen wie Kurt Josef Schildknechts „Faust"-Inszenierung oder 1985 an der Umsetzung von Günther Brus‘ opulenten Bildwelten für Gerhard Roths „Erinnerungen an die Menschheit" mitwirkte. Über 122 Ausstattungen für Schauspiel, Kinderstück, Ballett, Musical, Operette und Oper gehen auf ihr Konto. In den 1990er-Jahren begann ihre Zusammenarbeit mit Peter Konwitschny. Für etliche seiner legendären Opern-Inszenierungen entwarf sie die Kostüme, unter anderem für Produktionen in Berlin, Wien, Basel, Antwerpen, Leipzig und Tokyo.
Mayer-Michnay kann auf eine beeindruckende Bühnenvita als Kostümbildnerin verweisen, und dennoch fällt ihr Blick auf die Bretter, die ihr 22 Jahre lang die Welt bedeuteten, ernüchternd aus: „In den letzten Jahren wird bei den Kostümen extrem gespart", weiß sie. Da viele Theaterinszenierungen in einem diffusen Jetzt angesiedelt seien, decke man sich bei manchen Produktionen gleich beim H&M ein, die Bühnenwerkstätten schrumpfen zusehends, und auch der Bedarf an erfahrenen Kostümbildnerinnen scheint nicht mehr gegeben.
Michaela Mayer-Michnay macht aus der Theater-Not eine künstlerische Tugend und widmet sich verstärkt dem künstlerischen Aspekt der textilen Produktion. Angefangen hat sie in den 1990ern mit artifiziellen Trachtenmodellen, die - anders als heutige Modedirndln - fundiert in die Geschichte und ursprüngliche Bedeutung der Kleidung eintauchten und diese vieldeutig aufgriffen. Es folgte 2000 die textile Outdoor-Installation „Ariadne" in Gleisdorf, die die zerrissene antike Heldin als zunehmend von Wind und Wetter zerfetzte Figur inszenierte. 2011 wurde diese Installation als „Ariadne in den Bäumen" im Grazer „Kunstgarten" wiederbelebt. Auf Mayer-Michnays Tango-Arbeiten folgten moderne Interpretationen historischer Mieder-Stecker, die fester Bestandteil alter Gewandungen waren, sowie die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen oder literarischen Themen in dreidimensionalen Modellminiaturen; darunter die Arbeit „Felas Tag des Glücks", basierend auf Isaac Bashevis Singers bitterer Erzählung über den Missbrauch eines jungen Mädchens durch einen Offizier. Mayer-Michnays Miniatur war 2012 bei der renommierten Textiltriennale in Szombathely zu sehen.
Textilkunst ist ein vielschichtiges und traditionsreiches, aber mitunter auch stiefmütterlich behandeltes Teilgebiet der bildenden Kunst. Neben der Triennale in Szombathely gibt es in Mitteleuropa weitere wichtige Biennalen für „Fiber Art" in Venedig und Bratislava, bei denen Mayer-Michnay bereits vertreten war, die aber in Österreich kaum Resonanz erfahren. Und im Grazer Steiermarkhof findet seit 30 Jahren eine anerkannte Biennale internationaler Textilkunst statt, die im Vergleich mit anderen steirischen Kunstausstellungen in der öffentlichen Wahrnehmung oft ein wenig kurz kommt. Auch heuer ist Michaela Mayer-Michnay wieder mit einer anspielungsreichen und gewitzten Textilkompositionen bei dieser Schau vertreten: mit einem Traghimmel, zusammengenäht aus Krawatten.
Werner Schandor
Stand: Juni 2014