Martin Maierl, die Kathedrale der Illusionen und der Rote Keil
oder Why should I follow the american dream when I have my own
Das Papiergeschäft Braun in der Ungergasse in Graz ist meist der Anfang aller persönlichen Geschichten über bildende und anwendende Künstlerinnen, Bildhauerinnen, Metallgestalterinnen, Keramikerinnen - aka jener jungen Ortweinschüler, die dorthin geschickt werden, um sich Farben, Pinsel, Spachteln, Papier, Werkzeug zu kaufen. Martin Maierl ist zwar kein Mädchen, trotzdem hat er sich in eines jener als "brotlos" verrufenen Ateliers begeben, die meist nur (noch) von jungen Frauen aufgesucht werden - die Buben gehen dann doch eher in die vermeintlich etwas prestige-, einkommens- und karrieretechnisch einfacheren Ateliers wie Grafik, Fotografie & Film & irgendwas mit Medien.
Nun: Das Papiergeschäft Braun in der Ungergasse in Graz gibt es nicht mehr, Papiergeschäft Braun heißt nun Bösner. Als ehemalige Ortweinschülerin muss ich das mit Nostalgie, einer Träne im Auge und ewiggestriger Miene sagen, denn beim Papiergeschäft Braun war alles besser und hat nur zwei Schilling gekostet, fast schon Einkaufspreis. Macht aber nix - jetzt hat dieses Ding die Tochter übernommen, und nun befinden sich in der ehemaligen Halle des Kauflagers Galerieräume, Ateliers und ich glaube, auch so eine Art Büro, aber mit Badewanne.
Seit das Symposion „Transformation bzw. STAHL" stattgefunden hat, ist auch das Kollektiv Roter Keil aktiver denn je, und in diesem lebt und arbeitet Martin Maierl aus Frohnleiten, Absolvent der Meisterklasse Ortweinschule für Bildhauerei, der wahrscheinlich liberalsten und politischsten Meisterschule in Graz. Kollektiv Roter Keil ist eine Arbeits- und Werkstättengemeinschaft in der Idlhofgasse, unweit der Ungergasse im wunderschönen Bezirk Gries. Wichtig ist zu erwähnen, dass das BAUHAUS, jene deutsche Meisterinstitution der Bauhütten und Ateliers, Designstätten und Materialbesprechungen, auch im Sinne der Ortweinschule für den Roten Keil Vorbild und wichtiger Impulsgeber war und ist. Und: Im wohnzimmerartigen Hauptraum des ebenerdigen Gebäudes gibt es auch eine Art Herrgottswinkel: eine Skulptur hängend im Eck des Vereinshauptraumes, die ich als sehenswert bezeichnen würde. Nur soviel: Am unteren Ende der Skulptur befindet sich ein Gefäß zur Abgabe von Bierkapseln.
Da der Rote Keil ein Verein mit klaren Statuten ist, befinden sich diese ebenso kurz und prägnant lesbar im Hauptraum und prinzipiell finden sogar die Nachbarn den riesigen Schrottplatz und die Materialsammlungen vorm Haus, die lauschigen Feste am Abend, die fallweisen Rohrbrüche, krachenden Tore, ein- und ausfahrenden Dreitonner-Transporter und die im Sommer draußen am Betonhof sitzenden und rauchenden jungen Leute eigentlich sehr lustig und sympathisch - nur: Abends nicht allzu laut sein, dann gibt‘s auch Marillen geschenkt. Kaffee gekocht wird in der Küche im Bus, die E-Herdplatte im gemieteten Haus ist nicht effizient genug für die Espressokanne. Etwa 20 Leute hat der Verein als Mitglieder; wer mitmacht, muss weder Meister noch HTLer sein. Viele kommen vorbei und fragen, ob sie für einige Zeit Platz und Werkzeug benutzen dürften, wenn sie etwas vorhaben und technisch umsetzen wollen. Gast-Studenten der technischen Physik aus Bolivien, die Assemblagen anfertigen wollen, tauchen ebenso plötzlich auf wie junge Gymnasiasten, die gerne über Cannabis und ihre Väter in der Midlifecrisis reden (da Letztere sowohl Cannabis als auch Motorräder plötzlich cool finden und sich einen Chopper kaufen oder ähnlichen Schabernack) oder wie 300 m Absperrband, angefertigt in Holland: GELB mit sich wiederholendem Aufdruck „TAZ" (Temporäre Autonome Zone). Themen wie „Recht auf Stadt", „In Göd we trust", „Stadt Eisenerz Rostfest", „Genetisch gesehen bin ich halb Broccoli" oder „Iran: Would this message go through" schwirren durch die Gegend, und manchmal hat man den Eindruck, als würden kleine Schrottfeen da und dort geheime Dinge machen, während ein Goldschmied Münzen zu Schmuckstücken formt oder zwischendurch jemand Mirabellen, Pfirsiche, Marmeladetaschen, Tabak oder Mineralwasser vorbeibringt.
In diesem Kosmos ist Martin Maierl anzutreffen. Und wenn er nicht auf der Bank vorm Haus sitzt und seinen Terminkalender bekritzelt, erledigt er entweder gerade einen Rohrbruch im Vereinsgebäude oder restauriert mit seinen Kollegen klassische Altbauten, erneuert Stuck in einer Villa in Eggenberg, in welche ein Kindergarten reinkommen soll, oder er restauriert die Kuppel-Kirche am Zentralfriedhof. Aber meistens sitzt er auf der Bank vor der Kollektiv-Werkstatt, repariert Werkzeug oder kocht Café im Bus am Gaskocher für Leute, die spontan vorbeikommen. Einfach mal in seine Ausstellungen gehen und schauen. Oder hingehen in die Grazer Idlhofgasse 87a zum Roten Keil und einfach nachfragen. Reden Sie Klartext.
Oder geben Sie sich einer Illusion hin. Denn vielleicht muss die Illusion wieder bewusst eingesetzt werden und braucht wieder eine Kultur. Sie ist wichtig, um die Wirklichkeit zu schmücken und um sie ertragbar zu machen.
Weiters kann empfohlen werden: „Du fängst die Leute oder nicht", Film von Leonhard G. Rabensteiner; „Lysis", Kurzfilm von Stefan Krische.
http://kunstverein-roter-keil.at
Sahra G. Foetschl
Stand: Juli 2014