Die Farbenfinderin
Ein Atelierrundgang bei der Malerin Gisela Grill.
Sie spielt eine Farbe aus. Wie einen Trumpf, so darf man sich das vorstellen. Ab diesem Moment ist nicht mehr alles möglich. Die erste Farbe auf der Leinwand stellt die Anforderung für den nächsten Schritt. Bis schließlich Betrachterinnen und Betrachter vor einem der 2 mal 1,70 Meter großen Ölbilder stehen und vom Bedürfnis erfasst werden, in diese Farbräume hineinzugehen. Gisela Grill hat oft selbst das Gefühl, in die Farbe eintauchen zu wollen. Sich ganz mit Farbe zu umgeben.
Im Abstrakten liegt eine Offenheit
Das Arbeitsjahr der Künstlerin beginnt im Frühjahr, wenn das Tageslicht ihre Atelierräumlichkeiten in der Südsteiermark mit genügend Sonne flutet. Die Wintermonate nützt die Autodidaktin, um Keilrahmen doppelt zu stecken und zu schrauben und Leinwände zu spannen. Eine Knochenarbeit, die dann für die kommenden Monate getan ist. Spricht Gisela Grill von „Arbeiten", so bezieht sie sich allein auf ihre Malerei, die sie seit dreißig Jahren konsequent forciert. Im Abstrakten liegt eine Offenheit, die sich über Jahrzehnte den Reiz bewahrt. Ein offenes Geheimnis ihrer Arbeiten bestätigt sich auf neugierige Nachfrage: Nein, diese Bilder sind nicht mit dem Pinsel entstanden. Die Feinteiligkeit ist aus der Nähe betrachtet außergewöhnlich, mit Abstand sind es Ruhe und Bewegung, die in diesen Bildern zusammenfinden. Unvereinbares existiert zusammen. Manche Elemente scheinen dem Klaren entrissen. Seit Gisela Grill auf Pinsel verzichtet, arbeitet sie mit Schaumstoff, der je nach Bedarf zugeschnitten wird. Jene Linien, die sich in jüngere Arbeiten stets wie von selbst einzuschreiben scheinen, werden in einem Zug gesetzt. Im Vorjahr entstanden fünf Arbeiten, in denen diese Linie das alleinige Gestaltungsprinzip war. Die großen Bilder erfordern zudem Körpereinsatz: Mit einem Balken auf Rädern kann sich die gebürtige Deutschlandsbergerin über die liegende Leinwand bewegen.
Zulassen und sich nicht anpassen
„Lebt man am Land, an der Peripherie, muss man sich bewusst sein, dass man sehr schnell in einen Bereich abrutschen kann, wo man sehr zufrieden mit allem wird und nur noch Interesse an allem Schönen rundherum findet", mahnt Grill, „und wo man sich ansonsten um nicht mehr viel kümmert und dadurch die eigene Entwicklung bremst." Die herrlich hügelige Umgebung vor ihrer Haustüre im südsteirischen Sausal erscheint verlockend. Doch Gisela Grill ist nicht aufs Land gezogen, um die Welt außen vor zu lassen. Vielleicht gerade weil sie nicht in der Stadt lebt, vermutet sie, verfolge sie die Ausstellungen in den Metropolen. Mit wenigen Klicks betritt man online Galerien und unternimmt Museenrundgänge. Man müsse als Künstlerin offen sein und den Vergleich suchen. Wo stehst du mit deinen Arbeiten im Kontext? Diese Frage dürfe man sich nicht stellen, um sich in Folge anzupassen. Der Zeitgeist der Kunstwelt schlägt zunehmend kürzere Wellen. Doch dass die Marktmechanismen im Bereich der Bildenden Kunst so unberechenbar wie in kaum einer anderen Kunstsparte seien, das lässt Grill nicht gelten. „Ich denke, es hängt alles sehr eng zusammen. Unsere Gesellschaft ist eine sehr schnelllebige, sie fordert ein und bewirkt, wie sich was entwickelt. Alle spielen eine Rolle", so Grill.
Ein Bild tritt in Gespräch
Wird Grill oft gefragt, ob das, was man als Betrachterin zu sehen vermutet, tatsächlich in ihren Bildern ist? „Das Eigenartige ist ja, dass ich total im abstrakten Bereich arbeite", antwortet sie freundlich. Es geht um Farbräume. Mit ihren Bildern erzähle sie weder eine Geschichte noch behandle sie ein vorgegebenes Bild. Dennoch spüren viele Betrachter in Grills Werk die Natur. Ein Bild trete immer in ein Gespräch mit einem Betrachter, weiß Grill. „Zu diesem Zeitpunkt bin ich nicht anwesend, also muss die Malerei so stark sein, dass sie das Gespräch selber tragen kann. Da kommen meine Fragen: Wie verhalten sich Arbeiten? Breiten sie sich aus oder falten sie eher einmal die Schultern zusammen?", lacht Grill. Als Betrachterin jedenfalls wird einem sehr weit angesichts der Intensität der Farben und Kombinationen. Durch Grün und Rot werde sehr vieles in unserer Schau-Erinnerung in Bewegung gesetzt, weiß die Künstlerin. Farbtöne mischt sie stets für eine Arbeit - unwiederbringlich manche Farbklänge, doch es kommen immer wieder neue -, auch sammelt sie permanent Farbe. Das kann in Form etwa von wunderbarem kleinem, gerundetem Lavagestein in verschiedenen Grautönen sein oder sich aus ihrer Vorstellungskraft ergeben. „Die letzte Aufgabe für den Maler ist es, einen Farbzauber, ein Farbgeheimnis auf die Leinwand zu legen. Ob er das mit Pinseln, Fingern oder wie auch immer macht. Es ist das Ziel, den Betrachter in die Farbe hineinzuziehen", sagt Grill. Und da ist man schon ganz drinnen in diesen betörenden Farbräumen.
www.giselagrill.at
Maria Motter
Stand: April 2015