„Nichtstun kann ich nicht“
Ein Gespräch mit Gerald Brettschuh (74) über Diana und Aktaion, über Boxer, Indianer, Frauenbilder, Höhlenmalerei und überhaupt: Älterwerden hat seine Vorteile. Eine gelassene Konversation in Brettschuhs Atelier in Arnfels gibt darüber Auskunft.
Im Prinzip ist bei Gerald Brettschuh Wesentliches seit jeher gleich geblieben: „Ich bin ein literarischer Maler. Ich erfinde Geschichten, Szenen mit einer Person oder vielen, das erfüllt mich mit Freude und Lust." Genauer gesagt geht es aktuell um die Aktaion-Sage: Aktaion sah der nackten Göttin Diana beim Baden zu. Als diese das bemerkte, verwandelte sie ihn als Strafe in einen Hirsch, der daraufhin von seinen eigenen Hunden zerrissen und gefressen wurde. „Die Frau und der Mann, der nach und nach zu einem Tier wird - die Metamorphose. Etwas Dramatischeres kann es gar nicht geben." Im Jahre 2007 entstanden die ersten vom griechischen Mythos inspirierten Gemälde.
Aber Brettschuh wäre nicht Brettschuh, würde es keine „Nebenschauplätze" geben, die er zur Bühne seiner Kreativität macht. Der Fels am Fuß des Arnfelser Schlossberges weckte, weil er darunter aufwuchs, von Kind an sein Interesse. Er erwarb das Nachbargrundstück seines Geburtshauses, mit der hinter Bäumen und Gestrüpp verborgenen Felswand (Arnfelser Konglomerat, Opok und Sandstein), und begann, wie sehr oft, ein gemeinsames Projekt mit seiner Frau, der Künstlerin Christiane Muster: „Von 2010 bis 2015 erfolgte die Rodung, mit Caterpillar und händischer Arbeit, dann wurden Terrassen angelegt - schräge und gerade Wege - und zu bepflanzen begonnen. Mit Granatäpfeln, wilden Zitronen, Giuggiole, Khaki, und Mandeln, aber auch mit vielen mediterranen Pflanzen wie Rosmarin, Lavendel, Heiligenkraut und Artischocken als Verweis, dass sich vor Jahrmillionen hier das Ufer eines Urmeeres befand." Ein Land-Art-Projekt als Bereicherung für seinen Heimatort. Das sind Arbeiten, die im erweiterten Sinn mit Kunst zu tun haben und Brettschuhs weiten Horizonts zeigen. Ein von Künstlern angelegter Garten ist eben ein Kunstwerk. Beispiele gibt es viele: Claude Monet, Derek Jarman, Vita Sackville-West, Nicky de St. Phalle, Daniel Spoerri ...
Natürlich kostet dies Zeit, aber gut investierte: „Seit 13 Jahren sind wir ohne Fernseher, deshalb habe ich Zeit zum Lesen. Ich lese wieder Bücher, die ich vor 20, 30, 40 Jahren gelesen hatte, spannend und neu."
Gerald Brettschuhs künstlerischen Weg zu beobachten, bedeutet auch einen Blick in seine Vergangenheit zu werfen. Eines der Themen, die ihn ein Künstlerleben lange begleiten, sind beispielsweise Indianer: „Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Kanu-Bilder gemacht, fast nur Aquarelle, bemannt mit Indianern und anderen." Die Inspiration dafür holte er durch Fahrten mit einem vom Architekten Rolf Rauner gebauten Kanu auf den Seen der Steiermark und Kärntens, sehr oft auch zum nahen Sobother Stausee. „Ich fahre dort immer zu einer einsamen Bucht, die könnte in Kanada sein. Diese Bucht ist Huronengebiet, stelle ich mir vor." Durch die Verarbeitung dieser Situationen haben auch Coopers Indianer wieder Einzug in seine Bilderwelt gefunden.
Die Indianer leben also noch - leben auch Brettschuhs Boxer noch immer? „Thematisch kommen sie selten mehr vor. Ich denke aber oft an die Bilder, an die Zeichnungen und meine Boxkämpfe. Es ist schön, wenn man nach all den Jahren daran denken kann, was man mit viel Mühe und Aufwand gemacht hat, dann begreift man besser, was man wirklich getan hat. Ich bin froh, dass ich sechs Jahre geboxt habe. Das erste Boxbild ist nach meinem letzten Turnier 1974 entstanden. Ab 1977 dann hier in Arnfels die großen Boxbilderserien."
Aber die unzähligen Landschaftsbilder aus „seinem" Land? - Eine andere Geschichte.
Welche Art von Malerei elektrisiert den Maler Brettschuh, der einen so weiten Blick in die Vergangenheit werfen kann, noch immer? „Die Höhlenmalerei. Weil meine Malerei ähnlich primitiv geblieben ist. Ich verehre Höhlenmaler mehr als Dürer, van Gogh, Munch, Picasso ... Der Bogenschütze, ein Tiger, ein Wildpferd, das was von den Menschen damals mit den primitivsten Mitteln auf die unebenen Wände gebannt wurde." - Daraus leitet Brettschuh eine ewige Gültigkeit ab. Der Maler wirkt in diesem Moment des Erzählens sehr entspannt, als ob er in diesem Leben schon vieles gefunden hat, wonach er gesucht hat.
Hat der Interviewpartner ein gewisses Alter erreicht, erlaubt man sich als Autor auch die Frage, wie es demjenigen mit dem Älterwerden geht: „Jetzt arbeite ich überlegter und mehr, auch schneller. Die Frucht des Älterwerdens: Man geht die Dinge mit mehr Durchdachtheit an. Das Zeichnen: Ich zeichne dreißig Blätter in drei Tagen. Die kommen mir jugendlicher und kraftvoller vor als früher."
Und aufhören? Aufhören zählt nicht. Auch nicht mit 74 Jahren. Brettschuh macht weiter. Er kann gar nicht anders. „Nichtstun ist das Schwierigste für mich."
Martin G. Wanko
Stand: August 2015
GERALD BRETTSCHUH
Am 8.April 1941 in Arnfels geboren, zwei ältere Schwestern, der Vater wird 1944 zum Kriegsdienst geholt, kehrt nie heim.
Volksschule und Hauptschule in Arnfels, Akademie für angewandte Kunst in Wien. Reisen nach England, Schweden, Deutschland, Frankreich, Italien, Schweiz, wo sich die Museen der Welt befinden. Dazwischen ein Stipendienjahr in Warschau an der Akademie der Schönen Künste. Später Einladungen zu Symposien nach Kroatien, Polen und Russland. Fünf Wochen in Kanada auf der Suche nach Huronen („The Canadian Scetchbook" als Beute heimgebracht, 1990), Durchquerung der Sierra Madre mit Clemens Luser, Gerald Hartwig u. a. (2005).
2016, zum 75. Geburtstag, eine Personale im Steiermarkhof in Graz.