„Es ist so schwer geworden, als Star zu starten“
Der Grazer Georg Dinstl stellt Überlegungen an, seinen Weg zwischen Kunst und Wirtschaft zu finden.
In saloppem Anzug sitzt ein sichtlich gefräßiger Typ an einem Tisch, in der Rechten ein Küchenmesser, an dem ein Stück Melone steckt, in der Linken eine Gabel, mit der er in den Rest der Frucht sticht. Wie Blut rinnt der Saft der Melone aus seinem Mund, vom Messer und vom Tisch. Am Tisch, ihm gegenüber, sitzt aber auch ein menschliches Skelett, das sicher nichts von der Melone abbekommen wird. Wozu auch, es wäre ohnehin zu spät. Als Menetekel die Schrift an der Wand: ARE WE REALLY THAT HUNGRY, und dazu findet sich auch noch ein Fragezeichen hinter dem Rücken des Gerippes.
Dieses knapp fünfeinhalb Meter breite Vanitasbild - oder Allegorie des maßlosen Konsums - reichte Georg Dinstl als Diplomarbeit und Abschluss der Meisterklasse für Malerei an der Grazer Ortweinschule zu Beginn dieses Jahres bei Erwin Talker ein. Talker initiierte daraufhin eine Ausstellungsreihe mit dem Titel Ganz Neue Galerie, die noch wenig bekannten Künstlerinnen und Künstlern Gelegenheit geben soll, neue Arbeiten in kleinen Grazer Lokalen zu präsentieren. Ab Frühsommer 2015 fand die erste Ausstellung bei Feinkost Mild in der Stubenbergasse statt, darin zentral das raumgreifende „Tafel"-Bild von Georg Dinstl.
Grafik, Malerei und Entwerfen
1978 in Wien geboren, wuchs Georg Dinstl in Frohnleiten auf. Mit 18 Jahren übersiedelte er nach Graz, „um dort Musik zu machen", wie er es in einem Interview dem Magazin UMBRUCH erzählte. Als Sänger der 1998 gegründeten Band ANTIMANIAX und mit Musik in einer Mischung aus Ska-, Hardcore Punk- und Punkrock-Elementen tourte Dinstl bis 2005 mehrmals durch Europa.
Es gab in der Folge keinen Wechsel des Metiers, vielmehr war da die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Grafik, Malerei und Entwerfen waren auch während der Zeit mit der Band für Dinstl Selbstverständlichkeiten. So gründeten er, Josef Wurm, Simon Lemmerer und Oliver Tomann 2007 die Kooperative Permanent Unit mit Sitz nah dem Grazer Lendplatz. Man nahm Aufträge im Bereich Design und Werbung an. Zudem entstanden mit Permanent Unit zahlreiche Street-Art-Projekte. Davon noch zu sehen etwa ist Yoga-John an einer Hausfassade im Lend. Allerdings, erzählt Dinstl während unseres Gesprächs, ginge es als Street Artist nicht darum, von Bildern zu leben, vielmehr ist Street Art eine Form künstlerischer Äußerung, die die meisten Menschen mit unterschiedlichen Interessen erreichen kann. An der weitgehend unbeschränkten Zugänglichkeit dieser Art von Kunst liegt Dinstls Interesse.
Nachdem Kollege Josef Wurm, der inzwischen in Budapest lebt, die Entscheidung getroffen hatte, das „Werbegeschäft" zu verlassen, um sich seiner Kunst zu widmen, mussten Entscheidungen getroffen werden. Seit 2011 heißt die neue Firma Das Voyeur mit Sitz am selben Ort. Mit im Team sind Gernot Passath, Thomas Pokorn und Mischa Mendlik. Als „Hand- und Kopfarbeit" werden T-Shirt-Siebdrucke angeboten, Raumgestaltung für Geschäftslokale und Aufträge für Grafikdesign im Printbereich übernommen.
Zusehends aber zeigt sich auch Georg Dinstl mit dem Tagesgeschäft als Dienstleister nicht vollends zufrieden und überlegt, in die bildende Kunst respektive „die Kunst" zu wechseln.
Auf meine Frage, warum Kunst, stellt er sofort die Gegenfrage: „Ganz im Ernst?", und er führt aus: „Im Vergleich zur Werbung verspricht Kunst die Möglichkeit, die Dinge abseits jeglichen Themen- oder Formzwangs darzustellen." Man könne sich mit seinen Überlegungen einer Öffentlichkeit mitteilen und findet dabei gleichermaßen Raum für Interpretation: sowohl seitens des Künstlers als auch seitens der Rezipienten.
Dinstl entschloss sich also, die Meisterklasse für Malerei an der Grazer Ortweinschule zu belegen, die - nach einer wirtschaftlich bedingten Unterbrechung - zu besagtem Abschluss führte. Während der Studienarbeiten für den Lehrgang, insbesondere während des Aktzeichnens, fand er die Idee, eine Serie zu erstellen, die vielleicht „Uncuts oder Parts heißen könnte". Einige Blätter dazu entstanden, für die das Modell in Mullbinden gewickelt wurde. Gezeichnet wurden nur die nicht bedeckten Teile des Körpers, damit erscheint der Körper im Bild fragmentiert. Die Wahrnehmung des Betrachters dagegen tendiert zu einer Synthetisierung - man ergänzt also, was sich nicht im Bild befindet.
Von künstlerischen Vorbildern zu sprechen, erscheint zwar überzogen. Dennoch zeigt sich Dinstl einigermaßen angetan von Egon Schiele. Und zwar weniger von dessen Werk, vielmehr von der kompromisslosen Haltung gegenüber der Kritik seiner Zeit. Formale Anklänge finden sich in einer Serie mit dem Titel schielen auf schiele, in Kohle und Guache auf Papier (2015). Durchaus nicht zufällig erinnern Details aber auch an die Manier von Josef Wurm. Und der, erzählt Dinstl, habe nach wie vor wirklich starken Einfluss auf ihn. Vor allem sei es dessen spontaner Zugang zur Malerei während der Zeit der Straßenmalerei, geprägt vom Vertrauen auf das eigene Können. In den gemeinsamen Arbeiten von permanent unit, als Dinstl sich so manches Mal den Kopf zerbrach, wie etwa ein Fassadenbild in Angriff genommen werden sollte, legte Wurm bereits los: ohne langes Vorzeichnen oder Entwerfen, aus dem Kopf über die Hand. Das habe ihn geprägt, sagt Dinstl Musik und bildende Kunst ergänzen einander. Die neue Band mit Special K, Hell G, Jay Thunder und Cle heißt löve ičøns. Unter seinem Nom de Guerre Korkn ist Dinstl Leadsänger, komponiert Songs und schreibt die Texte. Im Vorjahr erschien eine Vinyl-LP mit dem Titel enter the dirt, das Cover stammt von Josef Wurm. Die Musik (Highspeed-Metal-Rock-Punk) dürfe man getrost Rock ´n‘ Roll nennen, meint Dinstl, während er die Bezeichnung „Schweinerock" präferiert. Mag sein, dass der letzte Titel, rotten roads, auf der LP mit den Überlegungen zu Kunst und Wirtschaft zu tun hat, die Dinstl derzeit beschäftigen:
... how do you feel?
with all their tricky moves they discomfort you,
no, you can never be free
offering goods, that we don't need
selling waste advertised to gold
burried alive in a system of greed
we're forced to buy bullshit till we're dead ‘n' old ...
Entsprechend dieser Haltung besteht ein Konzept zu einer Ausstellung, und Dinstl ist auf der Suche nach Partnern beziehungsweise auch räumlichen Möglichkeiten für eine Umsetzung. Nur angedeutet deshalb der Inhalt, nach dem Methoden und Mittel von Werbung respektive Wirtschaft der Kunst und ihren spezifischen Kontexten ausgesetzt werden sollen.
Im Übrigen spricht Dinstl immer wieder davon, den Mut zu finden, vom Gewerbe in die Kunst zu wechseln, auch im Wissen um die Gefahr des Verzichts auf notwendiges Einkommen. Während des Lesens der Briefe von Hunter S. Thompson adaptierte Dinstl die Attitüde des „Durchgeknallten vom Dienst", der mit 20 Jahren nach New York zog, um „ein Schriftsteller wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald zu werden" (Der Tagesspiegel, 29.04.2015). Dinstl hielt also in seinem Notizbuch, in dem auch die Texte seiner Songs wachsen, fest: „Es ist so schwer geworden, als Star zu starten" - als wäre es jemals schon leicht gewesen, ergänzt er lachend, „aus dem Nichts mit KABUMM in der Kunstszene aufzutauchen".
Gerade aber ist ihm ein beachtlicher Coup gelungen. Zur Ausschreibung um künstlerische Fassadengestaltung des italienischen Pavillons, Cibus e Italia, auf der Expo in Mailand, reichte er das eingangs beschriebene Tafelbild, entsprechend dem Expo-Motto Feeding the Planet, Energy for life, ein. Neben weiteren elf KünstlerInnen und -Gruppen, die jeweils im Zeitraum von zwei Wochen ihre Arbeiten auf reversible Panele von 20 x 7 Metern aufbrachten, war auch Dinstl - unterstützt von Yvonne Nickl und Josef Wurm - mit seinem Vorschlag von Kurator Felice Limosani ausgewählt worden. Nochmals präsentiert werden die entstandenen Werke und eine Videodokumentation auf der Fiere di Parma 2016.
Wenzel Mraček
September 2015
Georg Dinstl:
2007:
- Einzug in ein Stadtatelier der Stadt Graz
(Monsbergergasse 5)
- Gründung der Werbeagentur „Permanent Unit" in Graz
- Ausstellung im Forum Stadtpark (Graz)
- Installation beim Elevate07 im Dom im Berg
- Installation und Workshop im Forum Stadtpark
- Wandgemälde beim steirischen herbst 2007
2008:
- Ausstellung beim „Wängl Tängl" in Mayrhofen
- Teilnehmer und Gewinner des Schaufenster-Wettbewerbs der Diagonale 08 in Graz
- Teilnahme am Kunstfestival „Lendwirbel"
- Installation beim Spring 08 im Dom im Berg
- Teilnahme bei Assembly - Designfestival (Graz)
- Ausstellung im Forum Stadtpark (Graz)
- Projekt „Paint'n' Roll" Ausstellung und Arbeit mit internationalen Künstlern (Forum Stadtpark)
2009:
- Ausstellung im Landesmuseum Joanneum Graz, „Absolutely Free"
- Projekt „Ink on your Floor", Ausstellung und Arbeit mit internationalen Künstlern (Forum Stadtpark)
Nachfolgeprojekt von Paint'n'Roll(Streetart vs. Gallery)
2010:
- Ausstellung bei Art.com Wien (Absolut Vodka)
- Kosmopolite Art Tour Brüssel, 07-15.Mai
- Projekt „Ink on your Floor", Ausstellung und Arbeit mit internationalen Künstlern (Schaumbad Graz)
2011-2012:
- Neugründung der Firma und des Vereins zur Förderung von Kultur, „Das Voyeur"
- Siebdruck und diverse Raumgestaltungen
- Gruppenausstellung „Sicher?", Wien (KAVN)
2013:
- Beginn der Ausbildung an der Meisterklasse für Malerei an der Ortweinschule Graz
- Ausstellung und Workshops beim Rostfest Eisenerz
- Lendwirbel
- diverse Raumgestaltungen und grafische Arbeiten
- Gruppenausstellung „Unsicher?", Kombüse Graz (KAVN)
2014:
- „Asphalt Oasen", Organisation und Kuratierung des 3D-Streetart-Festivals, Graz Annenstraße
- Gruppenausstellung Alpengarten Rannach (KAVN)
- Meisterklasse Malerei
2015:
- Einladung zur EXPO 2015 in Mailand: The pavilion „Cibus" will present on his faced a WALL ART curated by Felice Limosani.
- Diplomarbeit Ausstellung GanzNeueGalerie/ Mild
- Art meets Music, im Wilden Mann, Graz
- Der3Krieg (Roter Keil) Designhalle Graz
- Galerie Ursula Stross (Gruppenausstellung)