Mut-Aktionen
Die bildende Künstlerin Kathrin Velik blickt auf bewegte Jahre zurück. Jetzt hat sie im zum Wohn-Atelier umgebauten Kopfbahnhof in Bad Gleichenberg das Gefühl, angekommen zu sein.

Aufgrund der familiären Situation hat sie bereits mit 15 Jahren Kärnten verlassen - eine der ersten, wie sie es nennt, „Mut-Aktionen" in ihrem Leben. Katharina Velik besuchte in Graz den Zweig für Bildhauerei an der Ortweinschule Bildhauereizweig und belegte nach der Matura die Meisterklasse für Malerei. Die künstlerische Arbeit erfuhr sie als heilsam - was den Keim legte für ihren späteren Beruf der Kunsttherapeutin.
Aktionen im FOND
Anfang der 90er Jahre war Katharina Velik an der Gründung der legendären Grazer Künstlergruppe FOND beteiligt, die vor allem durch ihre Performances Aufmerksamkeit erregte. Velik steuerte Happenings bei und begann in dieser Zeit auch, ihre künstlerischen Aktivitäten in den Dienst sozial Schwächerer und Randgruppen zu stellen. „Es war mir wichtig, innerhalb unserer Leistungsgesellschaft das Scheitern und persönliche Schwächen zu enttabuisieren und Auswege aus persönlichen und gesellschaftlichen Sackgassen aufzuzeigen", erzählt sie. Sie setzte sich zum Beispiel für Grazer HausbesetzerInnen ein und versuchte, ihnen durch künstlerische Arbeit und Renovierung zu einem legalen Wohnstatus zu verhelfen. „Mehrere Jahre habe ich Verhandlungen mit der Stadt Graz geführt - bis ich erkennen musste, dass kommerzielle Interessen den sozialen leider überlegen waren."
Viele Wege führen zur Kunsttherapie
Die darauffolgenden Jahre waren sehr bewegt: Velik arbeitete aushilfsweise in einer Tischlerei (wo sie auch erstmals Möbel umgestaltete und zu Dada-Objekten zweckentfremdete), studierte Umweltsystemwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität in Graz, freute sich 1999 über die Geburt ihrer Tochter und arbeitete als Gemälderestauratorin bei der Künstlerin und Restauratorin Erika Thümmel. Nach drei Jahren beschloss sie, sich wieder neu zu orientieren. „Ich wollte meinem Anliegen, die Kunst als Mittel zur Erweiterung von Handlungs- und Entwicklungsspielräumen einzusetzen, auf anderem Wege wieder näher kommen", sagt Velik - und begann eine Ausbildung für multimediale Kunsttherapie beim ÖAGG (Österreichischer Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik) Wien. Als Kunsttherapeutin arbeitet sie mit Seniorinnen und Senioren im Pflegeheim, mit Menschen mit Behinderungen (Nahtloskunst Kindberg), mit Asylanten (Baodo mit Veronika Dreier) und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen (Caritas Graz). Aber auch Kurgäste in ihrem Wohnort Bad Gleichenberg gehören zu ihrem Klientel. Parallel zu dieser Tätigkeit hat sie bei größeren Ausstellungen in der Organisation mitgearbeitet, darunter „Absolutely free" 2009 im Universalmuseum Joanneum und 2012 „Heimsuchung" im „schaumbad - Freies Atelierhaus Graz", welches von ihr 2008 mitbegründet wurde.
You're at home
„Mit dem ‚schaumbad‘ habe ich - lange nach dem FOND - wieder eine künstlerische Familie gefunden, in der zu gemeinschaftlich gestellten Themenkomplexen nach Antworten gesucht wird", sagt die vielseitige Künstlerin. Sie war in den Jahresausstellungen im „schaumbad" mit Arbeiten wie dem „Hörsessel" zu sehen, der interaktiv auf den Besucher reagierte und akustisch das wiedergab, womit man ihn jeweils „befüllte". 2011 zeigte sie in der Schau „homeRun" ihre Fotoarbeit „verbundlinie": Zwischen dem „schaumbad" in Graz und dem „schaum bad gleichenberg" hatte Velik alle 100 Meter ein Foto geschossen; die Spur nach Gleichenberg war damit ausgelegt. - „Damit mich wer besuchen kommt", erklärt sie schmunzelnd.
Kopfbahnhof und Bilderrausch
Ein großer Brocken Arbeit und auch eine echte Mut-Aktion war der Umbau des stillgelegten Kopfbahnhofes von Bad Gleichenberg, den Velik 2008 günstig erstanden hat. Beim Kauf war das Gebäude zwar denkmalgeschützt, aber in erbärmlichem Zustand. Hier bildet sich nun ihr Lebensmittelpunkt. Der Bahnhof ist Wohnung, Atelier, Ausstellungsraum und ein Ort der Begegnung, wie sie ihn sich stets erträumt hat. Der persönliche Einsatz und die finanziellen Aufwendungen, die das ermöglicht haben, haben sie aber auch an ihre Grenzen stoßen lassen, und mit dem Wunsch, diesen Kraftakt zu verarbeiten, auch wieder dazu gebracht, sich ihrer eigenen Kunst zuzuwenden: Allein im Jänner und Februar 2015 hat sie 300 Zeichnungen angefertigt, denen acht großformatige Gemälde folgten. Als „wild und schiach" hat sie vor vielen Jahren ihre Bilder bezeichnet, weil sie so impulsiv waren. Jetzt entstehen ihre Werke ähnlich direkt und ungeschönt, haben aber klar erkennbare, wenngleich rätselhafte Inhalte. Velik bezeichnet ihre Malerei als eine Art figuralen Surrealismus. Ihre neuen Arbeiten, durch deren Lebendigkeit sie den Betrachter treffen will, hat sie bei der Präsentation in ihrem „kopfbahnhof" gezeigt. Gemeinsam mit Stoffobjekten der Künstlerin Andrea Schlemmer und einem „Harmoniumautomaten" des Klangkünstlers Winfried Ritsch.
Ihre Bilder wird sie 2015 auch im „Reflektor" in Wien bei der Ausstellung „maniac, Kunst im Kontext von Psyche, Wahn und Besessenheit" zeigen, weil sie das Thema gut treffen, wie sie meint.
Ihre Zukunft sieht sie darin, ihr künstlerisches Werk zu erweitern, mit der Kunsttherapie auch in Bad Gleichenberg noch mehr(ere) zu erreichen und den „kopfbahnhof" als kleine Kulturdrehscheibe in der Südoststeiermark zu etablieren.
Petra Sieder-Grabner
Stand: Oktober 2015