Sprache im Mittelpunkt
Video, Installation, Fotografie, Skulpturen, Medien: Die 27-jährige Susanna Flock verwendet verschiedene kreative Sprachrohre, um die Kunst als Kommunikationsmedium zu nutzen.
Der Grundstein für ihr künstlerisches Leben wurde in der HTBLVA Graz-Ortweinschule, Sparte Kunst und Design, gelegt. Größten Gefallen fand Flock dabei an den freien Fächern, in denen es ausschließlich um die künstlerische Arbeit ging. Ein besonderes Erlebnis und ausschlaggebend für ihren weiteren künstlerischen Weg war der Besuch der „documenta12“ im Jahr 2007 mit ihrer Schule: „Das war spannend, prägend und eine tolle Sache, weil ich mich damals offen für Kunst fühlte und mich total begeistern konnte“, erinnert sich Flock. Im selben Jahr gewann sie auch den „Terragas Artprice“, einen Förderpreis für junge NachwuchskünstlerInnen zwischen 14 und 19 Jahren. Ihre Tante – selbst Kunsterzieherin – empfahl ihr, mit dem Preisgeld die „Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg“ zu besuchen. Gesagt, getan: 2007 besuchte Flock die Klasse des italienischen Künstlers Andrea Fogli mit dem Schwerpunkt Zeichnung. In den darauf folgenden Jahren nahm sie an Sommerakademiekursen in Fotografie, Intermedia und Installation sowie Skulptur im öffentlichen Raum teil.
Und so kam es, dass sie nach der Matura 2008 nach Linz ging, um dort an der Kunstuniversität Experimentelle Gestaltung zu studieren. Ihre Diplomarbeit (2015) mit dem Titel „W-A-S-D“ beleuchtet den Tod und dessen Sichtbarkeit und Reflexion. In einer Videoinstallation imitieren ein Computerspieler, eine Tänzerin, ein Sportler und ein Stuntman über ein Bewegungskaraoke die Sterbeszenen von Avataren aus Computerspielen. Der Titel beschreibt jene Buchstabenkombination der Computertastatur, mit denen ein Avatar gesteuert wird. Der Avatar wird hier aber nicht von außen bewegt, sondern gibt Bewegungen für die vier DarstellerInnen vor: Sie stürzen individuell nieder, richten sich auf, stürzen wieder und begeben sich damit in eine Schleife des ständigen „Sterbens“ und „Wiederauferstehens“. „Der Tod im Computerspiel ist nicht gleichzusetzen mit einem absoluten Ende, sondern lässt einen häufig als Konsequenz eines Spielfehlers ein Level beziehungsweise die Aufgabe wiederholen, eine digitale Wiederauferstehung passiert“, sagt Flock. Der Tod bedeute für uns einen emotionalen Prozess und sei immer endgültig. In ihrer Arbeit werde dieser ins Gegenteil verkehrt und zudem über das Medium Karaoke auf einer weiteren Ebene unterwandert. Flock beschäftigt sich mit den Fragen, was ein gespielter Tod in einer die Lebensrealität simulierenden digitalen Wirklichkeit bedeutet und mit welchen Methoden die digitale Kultur den Unendlichkeitsbegriff umschifft. Seit ein paar Jahren studiert Flock auch an der Akademie der bildenden Künste in Wien Videokunst. Für ihre Abschlussarbeit nimmt sie den Begriff „Teamwork“ unter die Lupe, einen Begriff des modernen Unternehmertums, der ein zentrales Anliegen der einzelnen Personalentwicklungs- und der Human-Resources-Abteilungen ist. Flock legt einen kritischen Fokus auf das Thema und zerrt das Ambivalente, das Teamwork-Spiele und gruppendynamische Übungen in sich tragen, ans Tageslicht. Geplant ist eine Zwei-Kanal-Videoinstallation mit verschiedenen Bausteinen, für die sie gruppendynamische Spiele erfinden und dann derart überhöht darstellen will, dass es für den Zuschauer unangenehm werden könnte.
Im Zentrum ihrer Konzeptkunst steht die Sprache, die künstlerischen Ausdrucksmittel und Medien richten sich ganz nach der inhaltlichen Ausrichtung eines jeden Projektes: Sei es, ob Liebeserklärungen über die Ansage-Lautsprecher des Bahnhofs von Attnang-Puchheim ertönen („Chatting Up Poetry“) oder ob bei „Room Tour“-Videos Youtube-Videos von Zimmern junger Mädchen zum Vorbild eines 3D-visualisierten Projekt werden.
Begegnet Flock einem für sie spannenden Thema, beginnt sie auch gleich zu überlegen, wie eine künstlerische Über- und Umsetzung aussehen könnte. Manche Themen benötigen eine lange Recherchevorarbeit, andere nennt sie „Fingerschnipp“-Ideen, die plötzlich da sind. All ihre Kunstwerke gehen in einer ganz speziellen und individuellen Weise auf das Thema der Digitalität und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft ein, doch die junge Künstlerin ist sich klar: „Ich kann keine künstlerische Laufbahn machen, in dem ich immer das Gleiche in unterschiedlichen Variationen umsetze.“
Ein ganz spezielles Projekt ist „Can One Mark This Sky“ mit der Frage: Wie sendet man eine verschlüsselte Botschaft über ein Massenmedium in die Öffentlichkeit?
Flock verteifte sich dafür ganz in die Materie der Wetterkarten: Ausgeprägte Hoch- und Tiefdruckgebiete bekommen immer einen Namen. „Aber wer benennt die verschiedenen Wettergebiete? Was wäre, wenn ich diese Namen entscheiden könnte?“, fragte sich die Künstlerin.
Bei ihrer Recherchetätigkeit fand sie heraus, dass das Institut für Meteorologie der Universität in Berlin seit 2004 die Benennung der Wetterkarten für ganz Europa übernommen hat. Und seitdem kann sich jeder „ein Wetter kaufen“ – wobei Hochdruckgebiete mehr als Tiefdruckgebiete kosten. Das Datum, wann man seine Wetterpatenschaft antreten kann, kann man aber nicht bestimmen.
Und auch welche Namen verwendet werden dürfen, ist genau festgelegt: Es muss sich um Vornamen handeln, die standesamtlich anerkannt sind und die vom meteorologischen Institut akzeptiert werden. Eine Besonderheit gibt das Institut vor: „In geraden Jahren tragen Hochdruckgebiete männliche und Tiefdruckgebiete weibliche Namen. In ungeraden Jahren ist es genau umgekehrt.“
Flock entschied sich schließlich für diese fünf Namen (Can, One, Mark, This, Sky) – auf den ersten Blick englische Wörter, die aber im Grunde aus verschiedenen Sprachen stammen und unterschiedliche Bedeutungen haben. „Can“ ist zum Beispiel auch ein türkischer Vorname.
Für die Darstellung reduzierte sie ihr umfangreiches Material auf fünf Satellitenbilder und die dazugehörigen Wetterkarten – deren Darstellung von Hoch- und Tiefdruckgebieten sie ebenfalls auf ein Minimum reduziert hat – und arrangierte alles auf einem fragil anmutenden Stahlgestell.
Im Zuge dieser Recherchen stellte sich für Flock natürlich auch die Frage, was schon alles käuflich ist oder was gekauft werden kann.
Die Vorarbeiten zu ihren Projekten bringen – je nach Konzept – oft eine Menge Material zutage, das Flock entweder so wie es ist verarbeitet und für die Projektumsetzung verwendet oder gestalterisch weiterentwickelt.
Flock, die heuer als Auslands-Atelier-Stipendiatin des Landes Steiermark zwei Monate in Zagreb war, setzte sich dort mit einem speziellen Phänomen der Youtube-Generation auseinander:
In sogenannten „food diaries“ präsentieren Menschen, das was sie essen, ohne dass man ihnen beim Essen zusieht. Einerseits stellen diese Youtuber unterschiedliche Ernährungsweisen und variantenreiche Gerichte vor, andererseits werden Themen wie etwa „gesunde Ernährung“ oder „Fitness“ oft schon fast fanatisch-ideologisch in Blogs, Videos und dergleichen abgehandelt. Flock geht es nicht um eine Kritik an sich, sondern um Folgendes: „Die Videoarbeit ,Fetish Finger‘ vereint experimentelle Videoclips, die sich mit der Komplexität von haptischer Wahrnehmung in digitalen Bildschirmmedien befassen. Online ist es uns möglich, virtuelle Handlungen auszuführen, ohne unseren Körper zu gebrauchen. Die Bewegtbilder befassen sich assoziativ mit Berührungen an der Schnittstelle ins Virtuelle.“
Für ihren Zagreb-Aufenthalt war auch das Kennenlernen und der intensive Austausch mit der kroatischen Kuratorin Branka Benčič, die im Vorjahr als Styrian-Artist-in-Residence in Graz zu Gast war, sehr wichtig: „Sie gab mir ein sehr gutes Feedback zu meiner künstlerischen Arbeit.“
Die Konzeptkünstlerin Flock hat in ihrem künstlerischen Leben einige wichtige Preise und Stipendien erhalten, die ihr ein relativ unabhängiges künstlerisches Arbeiten ermöglichen:
Darunter waren 2010 der Henkel Art.Award – Nachwuchspreis Österreich, 2011 das Ö1 Talentestipendium, 2010/11 und 2013 das Leistungsstipendium der Kunstuniversität Linz und 2016 der Pfann-Ohmann-Preis im Bereich bildende Kunst.
„Der Weg der professionellen künstlerischen Arbeit ist vor allem zu Beginn finanziell herausfordernd. Es ist aber eine prinzipielle Entscheidung, sich vorerst auf ein prekäres Feld einzulassen“, so die offene, begeisterte, reflexive und hintergründige Künstlerin.
Petra Sieder-Grabner, August 2016