Gertrude Grosseggers poetisches Universum
Seit sie 2003 den ersten Gedichtband veröffentlichte, gehört Gertrude Maria Grossegger zu den Lichtgestalten der heimischen Literaturszene. Wie musikalisch ihre Texte sind, dass sie einen ganz eigenen Sound haben, ist bei ihren Lesungen besonders eindrücklich zu erleben. Sie schreibt nicht nur Lyrik, sondern betrachtet die ganze Welt durch die Augen einer Poetin.
Dass aus ihr, die in der ländlichen Obersteiermark aufgewachsen ist, eine Dichterin werden würde, ahnte wohl niemand, auch wenn sie ein Kind mit deutlich sichtbaren musischen Begabungen war. Die Ausbildung zur Lehrerin führte sie nach Graz, danach ließ sie sich in einem umgebauten Bauernhaus auf einem idyllisch anmutenden Hügel in der Oststeiermark nieder und unterrichtete bis 2008 an einer Hauptschule in Gleisdorf. Sie brachte ihren Schülerinnen und Schülern das Theater nahe, entwickelte mit ihnen Stücke und führte diese u. a. bei den Jugendtheatertagen und im Gleisdorfer Kellertheater auf.
„Vielschichtigkeit ist das Spannende am Leben"
Als sie aufhörte zu unterrichten, begann sie ein Philosophiestudium, weil es für sie lebensnotwendige Themen behandelt, wie sie sagt. Wie alles, was ihr im Leben begegnet, beeinflusst auch das Studium ihr Schreiben. „Schreiben funktioniert bei mir nur auf diese Art und Weise, dass ich aus allen Eindrücken etwas transformiere." Schreiben sei auch Reflexion, das Leben würde immer ein Teil des Werkes sein, auch wenn man nicht autobiografisch schreibt: „Ich kann ja nur aus mir schöpfen".
Sieben eigenständige Publikationen und viel Verstreutes
Sieben Bücher hat Gertrude Grossegger bis jetzt veröffentlicht und viele Beiträge für Anthologien und Literaturzeitschriften verfasst. Der ORF und die freien Radios brachten ihre Texte, zuletzt in der Reihe „Schirmgedichte", die im ORF-Teletext zu lesen waren. Sie ist gern gesehener Gast bei Literaturfestivals und wurde mit etlichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet.
Kritiker geraten ins Schwärmen
Es sei „die pure Schönheit der Sprache, welche in die lyrische Komposition zieht, ein starker Sprachfluss, ein wahrer Sog der Wörter und der Bilder hinter den Wörtern:
‚wenn ich alles zusammenzähle/ die reime abschlage und verheize/ das astauge zudrücke/ kommt unterm strich das meer heraus‘ oder ‚libellenaugen aufgescheucht/ von hier nach da/ aufgebauschte tobsuchtsflügel‘", schrieb Walter Titz in der Kleinen Zeitung über Grosseggers 2013 erschienenes Buch „grasfischen".
„Die Sprache mutet mitunter wie Geflüster an, rhythmisierte, gewisperte Wirklichkeit, die an den Rändern von Sein und Nicht-Sein gesprochen wird. Manche der Verszeilen bestehen aus lediglich ein, zwei Worten - gerade dies macht die Textur so fragil, als ob sie ziseliert wäre oder das Leben in seiner ganzen Verletzlichkeit spiegle." (Petra Ganglbauer, Gangway Reviews, 25.07.2013)
Schreiben als Prozess
Es gehe beim Schreiben immer um den Prozess, davon ist Gertrude Grossegger überzeugt. Orte, die sie beeindrucken und inspirieren, kann sie verinnerlichen, sie muss sich nichts notieren, kann die Bilder abrufen, wenn sie am Schreibtisch sitzt. „Entscheidend ist die Kontinuität, dass ich dranbleibe und nicht immer wieder von vorne beginnen muss. Wenn ich zu viel Abstand habe, braucht es lang, bis ich die Atmosphäre wieder aufgreifen kann und drinnen bin."
Dranzubleiben ist nicht immer einfach, denn Gertrude Grossegger hat eine große Familie, zwei Enkelkinder, die sie oft betreut, sie ist gastfreundlich, reist gerne und betätigt sich seit einigen Jahren auch als Imkerin. Um Garten, Bienen und Honig kümmert sie sich gemeinsam mit ihrem Mann.
Ruheinseln
Wenn eine neue Idee zur Verwirklichung drängt oder ein Buch kurz vor der Fertigstellung ist, geht sie immer wieder in Klausur und widmet sich ausschließlich dem Schreiben. Das kann zuhause sein, aber auch ein Ort weit weg von daheim, an dem sie isoliert ist. Die Wohnungen in Wien, Venedig oder Rom, die die Literarmechana wochenweise als Stipendium an Autoren vergibt, bieten solche Rückzugsmöglichkeiten, die Gertrude Grossegger gerne nützt.
Dann entstehen Gedichte, oft in vielen verschiedenen Versionen. Sie schreibe immer zu viel, sagt sie, und so sei eine der wichtigsten Arbeiten das Reduzieren.
Mit wenigen Sätzen spazieren gehen
Durch das Studium liest Gertrude Grossegger viele philosophische Texte. Für längere fiktionale Prosa fehlten ihr die Geduld und der „Freiraum in den Geschichten", wie sie meint.
„Ich liebe verdichtete Sprache, liebe wenige Sätze, mit denen ich einen ganzen Tag spazieren gehen kann. Für mich sind Gedichte Kleinode. Sie können mir zu jeder Zeit Begleitung sein, ich kann Gedichte immer neu erfahren. Ein gutes Gedicht, das ich vor zehn Jahren gelesen habe, wird mir heute etwas anderes sagen. Es wird Platz haben für das, was damals war, und für das, was jetzt ist."
Wenn sie selbst von Leserinnen und Lesern Rückmeldungen auf ihre Gedichte bekommt, macht es sie glücklich: „Dann hab ich das Gefühl, dass mir dieser Mensch etwas zurückschenkt. Es ist sehr bewegend zu erfahren, was ein Gedicht in jemandem ausgelöst hat."
Neue Wege
Zuletzt hat Gertrude Grossegger zwei Texte fürs Theater geschrieben. Den einen, „am anfang der punkt", wollte Ernst M. Binder von dramagraz inszenieren. Elisabeth Harnik sollte die Musik dazu komponieren, die Uraufführung war für Dezember 2017 geplant. Dazu wird es nun nicht kommen, da Ernst Binder Ende Jänner überraschend gestorben ist.
Auch zwei längere Arbeiten sind abgeschlossen: „Foxtrott", ein (beinahe) konventioneller Roman, und das Vers-Epos „zwirnen", also lyrische Prosa. Dafür sucht Gertrude Grossegger derzeit einen Verlag.
Barbara Belic
Stand: April 2017