Gemeinsam abwärts nach vorn
Um die Dead End Friends, das Quintett aus der steirischen Landeshauptstadt, ranken sich viele Mythen.
Ursprünglich anno 2008 von Markus Hirczi (Bassgitarre) und Daniel Windisch (Schlagzeug) als Duo gegründet, haben sich diese Sackgassenfreunde im Laufe der Jahre seit ihrer Genese nach zahlreichen personellen sowie instrumentalen Besetzungswechseln zu jenem wohlig ohrenbetäubenden Powerquintett gemausert, dem man inzwischen auf ausgewählten nationalen und internationalen Bühnen begegnet. Gleichgesinnte, ja sogar begeisterte Mitstreiter fanden die beiden Gründungsmitglieder bald in den Stromaxt-Schwingern Christoph Szalay (Gitarre) und Michael Jud (Bass), damals gemeinsam aktiv unter dem Namen „Faster, Pussycat! Kill! Kill!" Der Bandname war dem gleichnamigen Russ Meyer Exploitation-Film aus dem Jahre 1965 entliehen, der sich provokant mit Geschlechterrollen und Rollen-Geschlechtern der 60er, sowie zeitgenössischer Gewaltinszenierung Kultfilm-Status erspielte. Die Band traf sich - wie so oft - bei einem Konzert, der Rest ist Geschichte. Seit etwa 2013 besteht die nun aktuelle Formation aus drei Gitarren, Bass und Schlagzeug (Philip Prader, Christian Baranyai und Marco Mühlhaus ersetzten inzwischen Michael Jud und Daniel Windisch), mit welcher sich die Deadendfriends durch energiegeladene Live-Performances, dystopische Koketterie und einer in Rockmusik fundierten, dort jedoch nicht hängengebliebenen Ästhetik inzwischen auch über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht haben.
Es muss stampfen
Ganz anders als die Beteiligten selbst - Philip Prader (Schlagzeug) und Christoph Szalay (Gitarre, Gesang) gehen höchst reflektiert auf gestellte Fragen ein und entpuppen sich als äußerst feinsinnige und kopflastige Gesprächspartner - lässt sich der musikalische Output der Dead End Friends durchaus als entfesselt, roh und zutiefst intuitiv, ja gar impulsiv beschreiben. Authentizität, Ausdruck, stilistische Offenheit und künstlerische Gegenseitigkeit, sprich: ein expressiver Konsens, stehen beim Schaffensprozess im Vordergrund. Trotz anspruchsvoller Arrangements und unbestreitbaren musikalischen Kompetenzen liegt den Beteiligten dennoch nichts ferner, als sich als Virtuosen in Szene zu setzen. Die songwriterische Prämisse lautet: „Mach weniger, aber lass es dafür stampfen!" Worte, die besonders bei Schlagzeuger Philip, welcher „eigentlich erst für diese Band richtig zum Schlagzeugspielen begonnen" hatte, einen besonders bleibenden Eindruck hinterlassen haben. „Sich gegenseitig inspirieren, kritisieren oder auch einfach nur auf gewisse Dinge hinweisen, ist dabei superwichtig und sehr wertvoll, immerhin ist der Grundstock für das gemeinsame Schaffen immer noch das Musikmachen mit Freunden, also Menschen, mit denen man etwas teilt." Ihre martialische Musik und klangliche Gewalt konterkariert die Band immer wieder gerne durch verschiedene Arten der Inszenierung, beispielsweise durch Performances in Frauenkleidern und Make-up. „Wenn sich darüber heute noch jemand aufregt, ist das doch gut, dann eröffnet die Provokation ja die Möglichkeit zum Diskurs", ist man sich einig. Auf gezielte Provokation habe man es aber nicht abgesehen, vielmehr konzentriere man sich darauf, bereits im kleinsten Rahmen die zwischenmenschlichen Gemeinsamkeiten zu propagieren: „Seltsamerweise scheint der gesellschaftliche Blick immer eher auf das gerichtet, was uns voneinander trennt. Wir versuchen es einfach von der anderen Seite zu sehen und den Fokus auf die Gemeinsamkeiten zu setzen."
Wir sind viele
Kernelement in den gelebten Gemeinsamkeiten bildet ein zeitgenössisches Wertemodell sowohl zwischen den Musikern als auch nach außen. Zahlreiche gesellschaftspolitische Themen, wie Feminismus, alternative Lebens- und Überlebensstrategien sowie die Reflexion einer Welt, auf die man als empathisches Wesen reagiert, bilden einen weitreichenden Kanon ideologischer Friktionen und Konvergenzen, deren gemeinsame Aufarbeitung und Bewusstmachung ein generelles Anliegen der Band darstellt. „Eigentlich sehen wir uns als Kollektiv, das sich je nach Umständen um ein Vielfaches erweitern kann. Das gemeinsame Bemühen so vieler Leute, die mit uns Videos drehen, Taschen machen oder einfach nur mithelfen und sich engagieren, zusammen etwas zu erschaffen, das letztendlich mehr ist als die Summe seiner Teile, ist ein klares Leitmotiv und eine treibende Kraft hinter dem Projekt." So fungiert letztendlich auch der Name als äußerst assoziatives Postulat eines modernen Kollektivismus, der einer immanent postfaktischen, neoliberalen Abwärtsspirale mit Guerilla-Techniken die Stirn zu bieten versucht. Gemeinsam in einem Boot sitzend, die Reise in die Sackgassen der Perspektivenlosigkeit antretend, bemitleidet man sich jedoch nicht, sondern zelebriert eine romantische Gemeinsamkeit im Angesicht der Trübsaal. „Wir lieben zwar die Dystopie, musizieren aber sehr lebensbejahend. Auch wenn das jetzt so trist wirkt, glauben wir trotzdem irgendwie an die Erlösung - die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt."
Schraubenschlüssel und Verlust - live
Das aktuelle Album erschien auf den Labels NUMAVI und PANTA R&E und trägt den schillernden Namen Wrench, der sich mit so unterschiedlichen Begriffen wie „Schraubenschlüssel", „(Abschieds-)Schmerz", „reißen" und „verrenken" ins Deutsche übersetzen lässt. Der Titel „Wrench" wirkt ebenso wie der Bandname assoziativ in viele Richtungen und wird vom Kollektiv als latent autobiographisch gedeutet. „Das Album manifestiert Gefühle aus einer Zeit, in der es einige Leute in unserem Umfeld sehr schwer hatten. Schmerz, Verlust und eine gewisse Katharsis fungieren als vage Leitgedanken und korrespondieren auch mit der Artwork - dazu kann man sich aber nur schwer eindeutig äußern, schließlich sind wir fünf Menschen mit fünf vermutlich verschiedenen Meinungen", erläutert Gitarrist Christoph Szalay lächelnd und betont damit erneut die interne Synergie im Sinne eines wohlwollenden „agreeing to disagree". Der obligaten Frage nach musikalischen Einflüssen begegnet man erwartet genreübergreifend: Von klassischer Musik wie Bruckner und Wagner, über die lautmalerischen Untermalungen der Foleys und Cartoon-Music, Ragtime und Hip-Hop, den signifikanten Noiserock der 90er und Blues, bis hin zur Trancehaftigkeit sogenannter Slave-Songs, die mit ihren Call-and-response-Formen das gemeinsame Joch zu lindern versuchen, bekennt man sich auch in diesem Zusammenhang zur Vielschichtigkeit des eigenen Zugangs. Erlaubt ist, was gefällt. Prinzipiell sieht man sich gemäß eines gemeinsamen Verweilens im Moment kollektiver Energie eindeutig als Live-Band. „Ein Konzert ist immer ein intimer Moment der Entladung, mitunter losgelöst vom bewußten Akt und deshalb auch nicht zynisch, sondern roh und unbeschönigt. Wir haben schon auch das mitunter egozentrische Bedürfnis, unsere Reflexion der Welt und den inhärenten kathartischen Moment mit anderen Leuten zu teilen. Prinzipiell waren und sind wir auch einfach Fans und stellen in Konsequenz einfach unsere Sicht der Dinge zur Schau. Der Tonträger muss deswegen auch nicht im konventionellen Sinne perfekt produziert erscheinen, es muss einfach das WIR bzw. UNS dieses Moments darstellen - Perfektion ist ja sowieso eine Illusion", einigt man sich schmunzelnd.
Irgendwie vorgreifend Retro-Postmodern
Trotz ihres musikalischen Konzepts, das bei oberflächlicher Betrachtung angestaubt anmuten kann, gelingt es den Dead End Friends - anders als vielen ihrer zahlreichen artverwandten Zeitgenossen -, mit ihrer speziellen Interpretation dem antiquierten Männer-Rockband-Format einen adäquaten zeitgenössischen, soziopolitischen Impetus zu verleihen, der sie zu einer der relevantesten hiesigen Vertreter einer neuen Zunft moderner Gitarrenmusik werden lässt. Teilhaben an dem speziellen Live-Erlebnis eines Dead End Friends-Konzerts kann man spätestens wieder im Herbst 2017 auf ihrer Europatournee, die sie Ende September in Graz beschließen werden. Eine explizite Empfehlung sei hiermit ausgesprochen. „Echte Musik passiert eben einfach im Moment."
Patrick Wurzwallner
Stand: April 2017