"Scheißaufwändig"
Manfred Stocker leitet den Verein „gottrekorder e.v.“ und somit eine „Gesellschaft für Angewandte Kunst“. Nicht nur: In seiner eigenen Kunst – Musik, Film, Ausstellungen und Installation – schöpft er derzeit aus den Tiefen des Handwerks, mit vollem ästhetischen Anspruch.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Robert Gruber, der die künstlerische Leitung des Vereins innehat, stellt Stocker einen ganz besonderen Kunstbetrieb auf die Beine. In seinem Portfolio finden sich kleine, unaufgeregte Projekte selbstverständlich neben künstlerischen Groß- und Langzeitprojekten. Jedes Projekt der beiden und des KünstlerInnenkollektivs, das sich hinter „gottrekorder" verbirgt, wird mit einer tiefen Ernsthaftigkeit und einer umfassenden thematischen und in der Folge inhaltlichen Auseinandersetzung verfolgt und umgesetzt. Oder auch nicht umgesetzt und dafür gibt es unterschiedliche Gründe: technische, finanzielle oder persönliche.
„gottrekorder", gegründet 2002 von vier engagierten KünstlerInnen, war von Anbeginn an fokussiert auf musikalische Themen wie Filmmusik, Programmmusik, Bandprojekte und audio-visuelle Experimente inklusive Installation und Performance. Im Jahr 2009 haben Gruber/Stocker ihre inhaltlichen Schwerpunkte um die Fotografie und die Architektur erweitert. „gottrekorder" ist seitdem ein mehrspartiges KünstlerInnenkollektiv, das in seinen Räumlichkeiten seit Herbst 2015 Ausstellungen, oder wie sie es nennen: „Showprojekte", präsentiert und dafür verschiedene regionale wie auch internationale Künstler einlädt: „Wir haben qualitative Auswahlkriterien, die sich nicht zwingend an Kunst orientieren. Hier zählt z. B. auch Handwerk, das wir gleichberechtigt zeigen."
Stocker ist daneben noch Generalmusikdirektor und tritt in bestimmten Projekten und Fällen unter dem Pseudonym r.j.sattler auf bzw. gemeinsam mit Gruber unter „sattler - glockner". Musik spielt in seinem Leben eine feste Rolle. Mit acht Jahren startete er seine musikalische Laufbahn mit Waldhorn, einem ungewöhnlichen Instrument, das er auf Anregung des Kapellmeisters seiner Heimatgemeinde zu lernen begann. Stocker erinnert sich an das Argument des Kapellmeisters, dass es Klarinetten- oder Trompetenspieler für die örtliche Musikkapelle genug gäbe. Stocker besuchte im Admonter Stiftsgymnasium den musikalischen Zweig, lernte zusätzlich Gitarre und Klavier und übte sich auch in Komposition für elektronische Musik. Nach der Matura versuchte er sich im Studium der Technischen Mathematik, stieg dann auf Philosophie und Altgriechisch um - doch dann kam ihm die Kunst dazwischen.
„Ich arbeite mit Robert Gruber seit Urzeiten zusammen", sagt Stocker und erzählt, dass Gruber an der Universität für angewandten Kunst in Wien Film und Bühne studierte, und besonders vom Film fühlte sich Stocker stark angezogen. So kam es, dass bei all ihren gemeinsamen analogen Filmprojekten, die zwischen 2000 und 2005 entstanden, Gruber die Regie und Stocker die Produktion übernahm. „Es waren Kunstkurzfilme mit dem inhaltlichen Schwerpunkt Kunstmärchen", erinnert sich der Künstler und Produzent. Schon damals waren die zwei in ihrer Arbeit vom skandinavischen Raum beeindruckt und beeinflusst. Dies gipfelte in einem durch und durch kulturanthropologischen Projekt, „Inari-Wort-Bild-Buch", in dem die beiden eine ausgedehnte Forschungs- und Dokumentationsreise in den Norden Finnlands unternahmen, um das Volk der Samen, und hier insbesondere die Inari(see)-Samen, näher kennenzulernen und ihre Lebensweise, ihre Kultur und ihre Interessen in Form eines Buches, eines Filmes und eines musikalischen Projektes zu präsentieren. Das Projekt entsprang auch der Sorge, dass diese Samen aussterben könnten, da es nur mehr 300 von ihnen gibt.
Dieses Projekt ist eines jener nicht final umgesetzten, da die finanziellen Hindernisse nicht zu überwinden gewesen waren.
Anders war alles mit dem Großprojekt „Station Ø", einer Großinstallation in Gaishorn am See (Obersteiermark), das im Rahmen der „Regionale 10" umgesetzt wurde. Hier ging es um die inhaltliche Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen, mit Lawinen im Winter und Murenabgängen im Sommer, beide Naturgewalten können lebensgefährlich sein. „gottrekorder" nahm Tausende von aufgeblasenen roten Wasserbällen, die in einem riesigen Netz meterhoch gebändigt wurden und die als überdimensionales Gebilde quer durch den Garten eines Einfamilienhauses, zwischen Wirtschaftsgebäude und über den Gartenzaun bis mitten auf die Straße gelegt wurden. Diese riesige rote Ballmasse wirkte wie eine erstarrte Lawine. Rot waren die Bälle deshalb, um Gefahr und ausgewiesene rote Zonen zu verdeutlichen.
Ein anderes Projekt war die Barockoper „San Ignacio de Loyola", um 1760 von einem unbekannten Komponisten in Bolivien verfasst, die in Mitteleuropa bis dato (2012) noch nie aufgeführt worden war. Der junge Dirigent Roman Alex Lemberg führte Regie, die Gesamtleitung hatte Susanne Scholz, Barockgeigerin und Professorin an der Grazer Kunstuniversität (KUG) inne. Gruber und Stocker waren für die Bildregie und die Tonaufnahme verantwortlich. Die Oper wurde in Graz und in Leoben aufgeführt.
Das momentane „gottrekorder"-Herzstück sind die Showprojekte in den eigenen Atelierräumlichkeiten in der Grazer Rechbauerstraße. Seit 2015 werden hier kuratierte Ausstellungen gezeigt, deren Projekte mindestens zwei künstlerische Sparten umfassen. Dazu eingeladen werden KünstlerInnen aus dem Verein, aber auch regionale und internationale Kunstschaffende. „Uns geht es nicht um politische Statements, sondern stark um Ästhetisches und Inhaltliches." Die grundsätzliche Ausrichtung dieser Showprojekte beschreibt Stocker:„ Wir arbeiten mit den Schichten, die weit unten in der Wahrnehmung liegen, die den Rezipienten auffordern, sich in und mit der Tiefe, nahe dem Unbewussten, auseinanderzusetzen". Die ausgestellten Objekte erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Stocker spricht von einem mehrschichtigen Erlebnis. Das Ausstellungskonzept wird gemeinsam mit den KünstlerInnen erarbeitet. Wichtig ist dabei die Begleitung durch Texte, weil auch diese die Entwicklung des Showprojektes bedingen und beeinflussen. „Das ist scheißaufwändig, aber geil!" Einmal wurde der ganze Boden eines Raumes mit Steinen, Sunker Chlorit aus Hohentauern, ausgelegt. Oder ein andermal wurde der ganze Raum oben, unten und an allen Wänden mit Papier ausgekleidet und danach mit ausgewählten Objekten befüllt. Das Betreten war nur barfüßig erlaubt. „Das Werk muss mit dem Publikum verbunden werden", sagt Stocker.
Im Mai 2017 gab es wieder ein Showprojekt von „gottrekorder". Man darf gespannt auf das nächste sein. 2017/18 ist Stocker Stipendiat des KUNSTRAUM STEIERMARK-Programms, denn neben der umfassenden, über den Begriff Geschäftsführer hinausgehenden Organisationsleitung von „gottrekorder", beschäftigt sich Stocker überwiegend mit Holz und widmet sich - wie er es selbst nennt - dem Kunst-Handwerk.
Petra Sieder-Grabner
Juni 2017








