Sein und Schein im Rampenlicht
Christine Teichmann sucht als Akrobatin, Poetry Slammerin und Kabarettistin das „Auftrittsadrenalin“. In ihren beiden Romanen stehen die Schattenseiten des Zirkus- und Gauklermilieus im Mittelpunkt.
„Ich behaupte immer, dass ich kein Lampenfieber habe, aber meine Umgebung würde dem widersprechen." - Christine Teichmann liebt es, im Rampenlicht zu stehen. Als Kabarettistin kam sie mit ihrer Bühnenpartnerin Elli Bauer ins Finale der Talenteshow des Wiener Kabarettfestivals 2017. Als Slam-Poetin performt sie ihre Texte live und hat auch schon den einen und anderen Slam-Pokal mit nach Hause genommen. Und als Akrobatin, Mutter und Ehefrau jongliert sie gemeinsam mit ihrem Mann - laut eigenen Angaben - „7 Keulen, 2 Kinder, Brotberuf und Haushalt". Als wäre das noch nicht genug, ist Teichmann Romanautorin, Gründungsmitglied der Artistengruppe „Compagnie fantastique" und Mitglied im KünstlerInnenkollektiv „Peace Babies", das einmal im Monat die Bühne in der Grazer „Brücke" bespielt und auch Auftritte im „Kristallwerk" absolviert. Zudem war Christine Teichmann langjährige Obfrau der 1. Grazer Lesebühne „Gewalt ist keine Lesung".
Wettbewerb und Weiterentwicklung
Teichmanns Bühnenliebe gehört dem Kabarett: „Elli und ich haben uns über den Einzug ins Finale der Kabarett-Talenteshow in Wien wahnsinnig gefreut", erzählt die vielseitige (Wort-)Akrobatin. Grund zur Freude bot der mit dem Finaleinzug verbundene Kurzauftritt vor 1.400 Kabarettfans Ende Juli 2017 in Wien, aber auch die ausdrückliche Anerkennung der Jury für die differenzierten Positionen und Texte im Programm von Bauer & Teichmann.
Die ersten Erfolge in Sachen performter Literatur feierte Christine Teichmann bei Poetry Slams. „Dort tritt man vor bis zu 500 meist jungen Leuten auf, die nicht nur unterhalten werden wollen, sondern sich auch um Verständnis bemühen", meint die Literatin. Den Wettbewerbscharakter von Slams beurteilt sie ambivalent: Einerseits sieht sie es kritisch, dass in einer durch und durch wettbewerbsorientierten Welt der Wettbewerb bei Slams auch in die Literatur einzieht; andererseits, so meint Teichmann, beteilige sich das Publikum mehr, wenn es über die gehörten Texte abstimmen könne: „Die Leute lassen sich tiefer auf die Texte ein. Und die Autorinnen und Autoren lernen durch das unmittelbare Feedback bei jedem Auftritt dazu - was man von konventionellen Wasserglaslesungen ja nicht sagen kann."
Romane im Zirkus- und Akrobatenmilieu
Mit dem Romanschreiben begann Christine Teichmann, als ihre beiden Kinder noch klein waren. Jede freie Minute wurde zum Schreiben genutzt, etwa wenn die Kleinen ihren Nachmittagsschlaf hielten. 2009 erschien ihr Debütband „Raubtiere" im Verlag Braumüller. Jetzt, wo ihre Kinder als Teenager selbstständig sind, findet Teichmann erneut mehr Zeit zum Schreiben: Ihr erstes Stück, „Charlottendorf", wurde im April 2017 von den „Peace Babies" uraufgeführt; und im Herbst 2017 erscheint ihr zweiter Roman, „Gaukler", in der Edition Keiper.
Beide Bücher spielen im Zirkus- bzw. Akrobatenmilieu, und beide beschäftigen sich mit den psychischen Erblasten, die das prekäre Leben mittelmäßig erfolgreicher Artistenfamilien in den Seelen ihrer Kinder hinterlässt. Vor dem Hintergrund der Zirkus- und Gauklerwelt erzählt Teichmann differenzierte Geschichten über Familien, Traumata und Schuld.
Hauptfigur in „Raubtiere" ist die Mittvierzigerin Teresa, deren Vater - ein Dompteur - in der Manege von einem Tiger angefallen und getötet wurde, als sie ein Kind war. Teresa arbeitet als Volksschullehrerin in einem niederösterreichischen Dorf. Ihre Mutter, eine ehemalige Trapezkünstlerin, lebt dement im Pflegeheim; nur die sporadischen Besuche von Jiři, dem Freund und Kollegen des Vaters, verbinden Teresa noch mit ihrer Vergangenheit als Zirkuskind. Als Jiři nach Jahren wieder bei Teresa vorbeischaut - ein hochschwangeres Tigerweibchen im Anhänger - enthüllen sich nach und nach die Umstände, die zum Tod des Vaters geführt haben. Die gewonnenen Einsichten eröffnen Teresa neue Perspektiven für ihr Leben.
Gauklerwelt als Spiegel
Einen ähnlich vielschichtigen Blick hinter die Kulissen liefert Christine Teichmann auch in ihrem neuen Roman „Gaukler". Hier stehen die erwachsenen, in unglückliche Lebensentwürfe verstrickte Kinder eines mäßig erfolgreichen Akrobatenpaars im Mittelpunkt. Als sie klein waren, tingelten sie mit ihren Eltern im Wohnwagen von Auftritt zu Auftritt: Der Vater war Clown, die Mutter Artistin. Als der Vater an einem Herzinfarkt stirbt, beginnt sich die Mutter zunehmend zu verschließen; die bunte Welt des fahrenden Volkes verdüstert sich Schritt für Schritt, bis die Schattenseiten des Rampenlichts zum Vorschein treten. Auch hier wirkt die Aufarbeitung der alten Geschehnisse letztlich befreiend auf die (erwachsenen) Kinder.
„Der Unterschied zwischen Sein und Schein ist in diesen Milieus schon sehr groß", meint Christine Teichmann. Die Autorin hält es für extrem wichtig, sich als Gesellschaft mit den unter den Teppich gekehrten Seiten der eigenen Geschichte zu beschäftigen; dazu sei der Roman durch seine Möglichkeit, in fremde Köpfe hineinzusehen, die ideale Kunstform. „Wir müssen uns mit der alten Geschichte - etwa des Zweiten Weltkriegs - weiter beschäftigen", ist Teichmann überzeugt, „auch wenn viele glauben, dass da schon alles erzählt sei."
Diese Auseinandersetzung mit Schuld und Traumata und der Versuch, die psychischen Verstrickungen über das Erzählen aufzulösen, ist für die Literatin ein höchst aktuelles Thema: „Täglich kommen Leute zu uns, die von Krieg und Grausamkeiten traumatisiert sind - und wir machen schon wieder den gleichen Fehler wie nach dem Weltkrieg, und kümmern uns nicht darum", meint die Autorin. Der Stoff für weitere Bücher geht ihr jedenfalls nicht aus. Im Herbst 2018 wird ihr dritter Roman erscheinen: „Zu ebener Erde", so der Titel, wird sich mit Geschlechterrollen befassen. Schauplatz ist die Welt des Theaters.
Werner Schandor
Stand: August 2017