Kontrollierter Kontrollverlust
Gemälde, Fotografien, Installationen, Textilkunst, Lichtobjekte – der Grazer Alfred Resch-Diaz lässt sich nicht auf eine Kunstsparte festlegen und sucht in seinen Arbeiten immer wieder das unkontrollierbare Ergebnis.
Im Dezember 2016 wurden in der Kunsthalle Graz unter dem Titel „Nur noch ..." über 100 Werke von Alfred Resch-Diaz gezeigt: Arbeiten aus allen Sparten seines umfangreichen, vor über 30 Jahren begonnenen Œuvres. Zu sehen war die ganze Bandbreite von jüngeren und älteren Arbeiten, die auf den ersten Blick sehr heterogen wirken. Zu sehen waren unter anderem Ölgemälde, die vordergründig von geraden Linien dominiert werden, (teils übermalte) großformatige Fotografien von seinen Reisen sowie Knäuel von Elektrokabeln, die zu verschlungenen Installationen angeordnet sind und Neonschriftzüge, LED-Lichter und kleine Lautsprecher antreiben.
Die Zeitschrift „Sterz" widmete anno 2016 das Heft 111 den Kubafotos des Vielreisenden, der mit einer kubanischen Kuratorin verheiratet ist und seit 2017 ihren Namen als Zusatz führt: Alfred Resch-Diaz. 2017 waren die Fotoübermalungen seiner Serie „China reworked" im Afro-Asiatischen Institut in Graz zu sehen. Und wer im neu gestalteten Café Sorger in der Grazer Sporgasse einkehrt, wird auch dort auf beiden Etagen auf jüngere Arbeiten des Künstlers stoßen. Über 200 Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen erwähnt die Biographie des Vielseitigen, der sich seit 1981 der Kunst verschrieben hat. Es scheint so gut wie keinen Ausstellungsort zu geben, den Resch in der Steiermark nicht kennt, aber auch in Havanna, Zagreb, Bonn und Basel waren seine Arbeiten schon zu sehen.
Kreatives Zentrum
Bei dieser beeindruckenden Fülle an Werken und Biographischem droht man als Betrachter die Übersicht zu verlieren. Grund genug, den Künstler um ein Gespräch in seinem Atelier zu bitten, um dort so etwas wie ein Zentrum seines kreativen Schaffens zu suchen. Resch-Diaz arbeitet in einem Jahrhundertwendegebäude in Graz, sein Atelier ist ein Erkerzimmer mit Blick auf den Volksgarten. Im Raum stapeln sich Leinwände in allen Formaten: links die Bilder, an denen noch weiter gearbeitet wird, rechts Gemälde, die bereits fertiggestellt und meist auch schon in Ausstellungen gezeigt wurden. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes liegt ein Kabelbaum aus einem PKW - bereit, vom gelernten Elektronik-Ingenieur aufgedröselt und zu einer Installation verwandelt zu werden.
Aber fangen wir mit der Malerei der letzten Jahre an. Kennzeichnend für Reschs Arbeiten ab den 2000er-Jahren sind Ölgemälde mit auffallenden Mustern, oft dominieren Streifen. Hier in der Werkstatt können wir die Bildern „in progress" erleben: Der Künstler trägt auf eine Leinwand eine Farbschicht- oder besser: Farbwolken - auf. Wenn die Ölfarbe getrocknet ist, werden Klebestreifen, wie sie in den 1980ern in der Elektronik beim Ätzen von Schaltungen zum Einsatz kamen, auf das Gemälde appliziert, und Resch-Diaz übermalt das Bild mit einem zweiten, ebenfalls abstrakten Motiv. Wenn dieser Prozess abgeschlossen und die Farbe getrocknet ist, werden die Klebestreifen abgezogen, und das Ergebnis ist ein vielschichtiges Bild, das sich aus zwei, manchmal auch drei oder vier Bildern zusammensetzt, und dessen endgültiges Aussehen vom Künstler zwar in der Farbgebung bestimmt, aber im Detail nicht vorhergesehen werden kann. „Zum Schluss ist es immer am spannendsten", sagt der Maler. „Durch die Übermalung des abgeklebten Bildes entziehe ich mir einen Teil der Kontrolle über das Bild und eliminiere so die Überbestimmtheit der Malerei."
Reschs Bilder beziehen ihre Spannung aus dem Gegensatz zwischen der Geradlinigkeit der Klebungen und dem unvorhergesehenen Zusammenspiel der Farben und Farbschichten. Dabei arbeitet der Künstler nicht nur mit geraden Klebebändern, sondern auch mit runden geschwungenen oder gerissenen Klebeschablonen, die auf der Leinwand mitunter Strukturen hinterlassen, die wie mikroskopische Bilder von Mineralien aussehen. Oder wie eine Lichtung, die zum Gemälde geworden ist - etwa bei einer Decken-Installation für die Aula der Grazer Ursulinen-Schule. Man könnte das Gestaltungsprinzip für diese Werke auf den Nenner „Ordnung und Chaos" bringen.
Reisen als Ressource
Neben diesem Prinzip des geplanten Zufalls sind Fotografien aus fernen Ländern ein weiterer wichtiger Fundus, aus dem Resch schöpft. Der Künstler ist oft mehrere Wochen in fernen Ländern unterwegs und dokumentiert seine Eindrücke mit dem Fotoapparat. „Alles, was ich nicht fotografiere, vergesse ich", sagt er. Ausgewählte Fotos dienen ihm als Ausgangspunkt für Übermalungen. Dafür zieht er auf die Fotografien eine Schicht Ölfarbe auf, mit dem Pinselstil legt er Teile des Bildes darunter wieder frei. „Nervöse, teilweise expressiv wirkende Striche und Schraffierungen kratzen die Farben der Fotografie heraus und geben andeutungsweise Hinweise auf mögliche Motive", schreibt Künstlerkollege Martin Behr über diese Arbeiten. Reschs Serie „Patagonia reworked" (2012) zeigt südamerikanische Landschaftsaufnahmen im Panoramaformat; bei „Vietnam reworked" (2013) rücken Personenporträts und Straßenszenen in den Mittelpunkt der quadratischen Bilder, und spätestens seit „China reworked" 2016 finden sich vermehrt Schriftbilder, die an fernöstliche Kalligraphie erinnern, in den Arbeiten. „China war bisher am schwierigsten zu bereisen", meint der Künstler. „Ich war als Individualreisender im Nordosten Chinas unterwegs. Da findet man kaum Leute, die eine Fremdsprache beherrschen, über die man sich verständigen könnte. Dadurch war es ein unheimlicher organisatorischer Aufwand, sich da durchzuschlagen."
Faszinierende Schönheit
Gemeinsam ist den „Reworked"-Serien zweierlei: 1.) Durch die übermalten Flächen wecken sie die Neugier auf das Dahinterliegende. 2.) Sie sind in der Farbgebung und Gestaltung ästhetisch ungemein ansprechend, und die Wand, die nicht davon geschmückt werden könnte, gibt es vermutlich nicht. Oder wie der Künstler es formuliert: „Das Schöne fasziniert mich noch immer." - Berührungsängste mit Kunstkäufern, die Gemälde nach der Wirkung im Wohnzimmer aussuchen, kennt Resch-Diaz jedenfalls nicht.
Während Reschs Malerei in hohem Maß ästhetischen Kriterien gehorcht, pflegt der Künstler und studierte Architekt bei seinen Arbeiten im öffentlichen Raum einen analytischen Zugang: Seine Kunst-am-Bau-Projekte für die Lärmschutzwände bei Schladming, Gleisdorf und Kapfenberg zum Beispiel verweisen jeweils auf die Orte, die sich hinter den Wänden verbergen. In Schladming sind das Metallskulpturen, die einen Wanderer bzw. Schifahrer darstellen; in der „Energiestadt" Gleisdorf sind Plus- und Minuszeichen und Satellitenschüsseln auf die „Schallwall" montiert; und auf der Lärmschutzwand in Kapfenberg hat Resch-Diaz straßenseitig die Straßennamen und Hausnummern der dahinterliegenden, nicht mehr zu sehenden, Häuser angebracht, während häuserseitig eine stilisierte Straßenmarkierung über die Wand zieht und eine beruhigte Straße symbolisiert.
Irgendwo in der Mitte zwischen Analyse und Ästhetik sind Reschs Kabelinstallationen angesiedelt: auf den ersten Blick chaotische Knäuel von Elektrokabeln, die mehr oder weniger raumgreifend auf Häusern oder Zimmerwänden oder - wenn im kleinen Maßstab - auch auf Kleidungsstücken angebracht sind (Stichwort Textilkunst). Dass dieses Wirrwarr nach einem überlegten Prinzip angeordnet wurde, merkt man daran, dass durch die Kabelschlingen geordnet Energie fließt und ohne Kurzschluss zu verursachen Leuchtschriften und LED-Lämpchen zum Glimmen bringt bzw. kleine Lautsprecher antreibt. Wieder durchdringen sich Chaos und Ordnung.
„Künstler, Designer, Erfinder, Forscher, Bastler, Spieler? Wer in das kreative Universum von Alfred Resch eintaucht, wird die Frage nach der korrekten Berufsbezeichnung nicht ganz leicht beantworten können", schreibt der Kunstkritiker Walter Titz über das Werk des Vielseitigen. Der Atelierbesuch bei Resch-Diaz bringt zwar keine Antwort auf diese Frage, aber bestärkt einen in der Erfahrung, dass die Qualität der Werke jenseits aller Schubladen und Schablonen liegt.
Werner Schandor
Stand: Februar 2018