Narrative Musikvideos von besonderen Orten
Die Videokünstlerin Sarah Brugner klaubt Musiker von der Straße auf, bildlich gesprochen
Sarah Brugner kam, wie sie selbst sagt, über Umwege zur Musik. Sie studierte Philosophie in Wien, Berlin und Paris und schrieb nebenbei als freie Journalistin für Medien wie der taz oder de:bug über die avancierteren Spielarten der Popmusik. Damals, in den Nullerjahren, war der Musikindustrie gerade die wirtschaftliche Basis weggebrochen und die Stimmung in der Branche entsprechend düster. Inmitten dieses Umbruchs taten sich allerdings neue Ideen, neue Ansätze, neue Formate auf. Das Interesse an Musik an sich war ja ungebrochen. Die „Live"-Erfahrung rückte in den Fokus, das knappe Gut eines Konzerts, das nicht beliebig vervielfältigbar ist. In dieser Phase gründete Sarah Brugner 2007 mit einigen MitstreiterInnen in Wien das Film- und Videokollektiv „They Shoot Music Don't They".
„Ich wollte die Energie von Live-Performances einfangen", sagt Brugner heute, mit einfachen Mitteln die emotionale Dichte und Direktheit einer musikalischen Darbietung dokumentieren und für andere zugänglich und nachvollziehbar machen. Auf diese Weise landeten innerhalb kürzester Zeit dutzende Videos auf YouTube, ungeschliffene Porträts von MusikkünstlerInnen, tänzerische Annäherungen an den magischen Live-Moment. Brugner traf spannende zeitgenössische Bands und filmte sie abseits der Bühne - in ruhigen Gassen, auf geschäftigen Plätzen oder urbanen „Gstetten"; aber eben nicht in der aufgeladenen Musikvideo-Ästhetik der 90er, sondern so reduziert wie möglich. Mit Handkamera, ohne Schnitte.
Die Künstlerin war mit dem Projekt in vielen Teilen Europas unterwegs, ihre Basis blieb aber immer Wien. Auf der Webseite des Projekts (www.theyshootmusic.com) spielen neben den Videos auch die Drehorte eine große Rolle. „Ich wollte einen anderen Blick auf die Stadt werfen", sagt Brugner. Es ist ein Blick hinter die Kulissen des klassischen Wien-Bildes. Das They-Shoot-Music-Kollektiv rückt Nicht-Orte in den Vordergrund, markiert jede einzelne Location auf einer Karte und fügt Texte und Fotos hinzu.
„Am Anfang erzählte meine Filmsprache mehr in einer Do-it-yourself-Rauheit, es war ein ungeschliffenes Dokumentieren", erzählt Sarah Brugner. Zehn Jahre später hat die Rauheit einer differenzierten Bildsprache Platz gemacht, die die Filmemacherin in ihren jüngeren Projekten einsetzt.
In „Fuck The Atlantic Ocean" etwa, einer Kinodokumentation über die Wiener Band „Sweet Sweet Moon", die es durch ein von Brugner gedrehtes Video via YouTube zu beträchtlicher Bekanntheit in Südamerika brachte. Von den 700.000 Klicks, die das Video bekam, waren überdurchschnittlich viele aus Südamerika, die mit begeisterten Kommentaren baten, die Band möge doch bitte über den Atlantik auf Tournee kommen. Das veranlasste Brugner, sich - teilfinanziert von einer kleinen Kulturförderung der Stadt Wien für „Neue Filmformate" - mitsamt der Band auf den Weg nach Argentinien und Chile zu machen. Brugner und ihre KollegInnen filmten die beiden Musiker bei Auftritten, bei Sessions an besonderen Orten und interviewten Fans vor Ort. Daraus entstand ein 70-minütiger Musik-Dokumentarfilm, ein Road-Movie voller eindrucksvoller Bilder, begeisternder Atmosphäre, romantischer Momente und musikalischer Schönheit. In Brugners Video- und Filmprojekten schwingen immer die Fragen mit: Welche kreative Wechselwirkung besteht zwischen Musik und Ort? Woher kommt die Inspiration, und welche Rolle spielt die Umgebung dabei? Kann man sich einen Ort musikalisch erarbeiten? „Fuck The Atlantic Ocean" verdeutlicht einerseits die kreativen und kommunikativen Möglichkeiten der Social Media, andererseits aber auch die Distanz zwischen der virtuellen und der realen Welt, die nur durch die Unmittelbarkeit eines Live-Moments aufgehoben werden kann.
Eine andere Reise führte die Künstlerin nach Island. Da diese Insel im hohen Norden so viele MusikerInnen hervorbringt, wollte Brugner wissen, wie sich der Umgang mit Musik und die Tatsache des langen, finsteren Winters in dieser geographischen Extremlage gegenseitig beeinflussen: „In Island ist der Winter hart, es gibt nur wenige Stunden Tageslicht. Mich hat interessiert, ob die IsländerInnen die Musik als eine Art Bewältigungsstrategie benutzen," erklärt Brugner, die deshalb einige Wochen im Dezember und Jänner 2015/2016 - der dunkelsten Zeit des Jahres - in Island verbrachte. Ihre Entdeckungen und Reflexionen hielt sie in ihrer Kurzfilmreihe „Short Days, Long Nights" fest: Im Sommer spielt sich das Leben der IsländerInnen draußen ab, die Kreativität ist beflügelt. Im Winter herrscht eine Art innerer Einkehr, während der eine kreative Verarbeitung einsetzt. Die Musik erfüllt aber auch eine soziale Funktion, wie Brugner meint: „Man setzt sich mit Freunden ohne Hintergedanken zusammen und musiziert gemeinsam."
Brugner taucht in die musikalischen Szenen ihrer Aufenthaltsorte ein: So auch in Sarajevo, wo sie 2017 im Rahmen eines Atelier-Auslandsstipendiums des Landes Steiermark einige MusikerInnen, darunter Damir Imamovic kennenlernte, der die traditionelle bosnische Volksmusik „Sevdah", alte, poetisch-melancholische Lieder, in ein neues Kleid goss. Auch hier dokumentierte Brugner und hinterfragte Traditionen auf ihrem Weg in das Hier und Jetzt.
In ihren Filmen möchte Brugner immer dicht am Geschehen sein - atmosphärische Bilder festhalten. Darum versuchte sie beispielsweise bei ihrem Projekt in Island ohne künstliches Licht auszukommen. Eine Herausforderung, wie sie sich erinnert.
Aktuell arbeitet sie in Wien an kurzen Filmporträts von jungen Musikerinnen, die an unterschiedlichen Orten in der Stadt auftreten, an denen sonst keine künstlerische Produktion stattfindet, wie etwa an einem Autobahnkreuz oder auf einer Baustelle.
Ideen für weitere Projekte ergeben sich oft auch aus dem Alltagsleben. Brugner ist zum ersten Mal Mama geworden und meint mit einem Schmunzeln: „Ich fände es spannend, etwas über die Bedeutung und Entwicklung des Schlafliedes in verschiedenen Kulturen zu machen."
Auch außerhalb des Kunstbetriebs beschäftigt sich Brugner mit Videos. In ihrem Brotberuf arbeitet die 33-Jährige als selbstständige Videoproduzentin.
Petra Sieder-Grabner
Mai 2018