Ein Verdächtiger packt aus
Gerhard Ornig spielt mörderisch gut Trompete und steht im Verdacht, auch international als Jazzmusiker durchstarten zu können.
Ihren bescheidenen Bekanntheitsgrad hat die südsteirische Marktgemeinde Gralla bislang ja zwei eher unangenehmen Umständen zu verdanken. Zum einen gilt ihre Autobahntankstelle als heimlicher Anwärter auf den österreichischen Rekord an Raubüberfällen. Zum anderen musste die brave Gemeinde einst als Geburtsort eines noch heute allseits bekannten Bombenverschickers herhalten.
Damit ist jetzt aber Schluss. Es ist nur mehr ein Frage der Zeit, bis im Kapitel „Bekannte Töchter und Söhne" des Gemeindeporträts das erste Glanzlicht Eingang finden wird. Ein Jazztrompeter.
In diesem Zusammenhang kann man es vielleicht ein bisschen geschmacklos finden, Gerhard Ornig als Bombentrompeter zu bejubeln, eine ansonsten nicht unübliche Bezeichnung für einen Großen dieser Disziplin. Daher versuchen wir es diesfalls lieber mit Mördertrompeter, einer Bezeichnung, die unter Musikern und innerhalb der Jazzpolizei gleichermaßen beliebt ist für singuläre Virtuosen.
Derweil ist Gerhard Ornig einer jener heimischen Verdächtigen an der Trompete, an denen die Prophezeiung vom Karrierezeugs wieder einmal aufzugehen scheint. Er ist verdächtig, ein weiterer steirischer Exportschlager in Sachen virtuose Jazztrompete zu werden, ein Hoffnungsträger an der Trompete, Bandleader und kreativer Komponist für alle Formate bis hin zur Sinfonietta.
Filiale in Lettland
Ist die Steiermark ein Lieferant für Ausnahmetrompeter? Eine ganze Reihe an herausragenden, sattelfesten Trompetern fällt uns auf. Der gleichaltrige Kollege Mario Rom etwa (Trio Interzone, Shake Stew) ist ja mitten im Sprung zu einer internationalen Karriere. Und Gerhard Ornig am besten Weg dazu. Vielleicht auch über den Umweg Lettland? Der Blechbläser hat dort jedenfalls bei einem internationalen Bewerb schon einmal die Preise für den „Besten Jazztrompeter" und das "Best Improvised Jazz Solo" abgeholt. In Riga hat der 29-jährige Steirer ohnehin öfters zu tun und betreibt dort als Filiale seines kreativen Tatendrangs sogar ein lettisches Quartett.
Neben seinem Amsterdamer Trio sind die ungewöhnlich besetzten Grazer 4Seasons (seit 2015), welche freilich ein Quartett sind, aktuell jene musikalische Baustelle, die ihn und Mitbegründer Karel Eriksson (Posaune) am meisten beschäftigen. Damit waren sie schon bei prominenten Festivals in Spanien und Griechenland eingeladen, und „es läuft immer besser".
Interaktion, Improvisation und schnelle Unisono-Melodien bestimmen dort die Gangart. Vor allem aber ist es manch brillanter Up-Tempo-Sound der beiden Bläser, die Dynamik der Band und ein Hauch von Westcoast-Retro, das ihr Publikum zu begeistern scheint. Immerhin, sucht Ornig doch den „nostalgiegeprägten Gang auf neuen Wegen". Man könnte es vielleicht pfiffiger sagen, so etwa wie der Weltklassebassist Greg Cohen in seinen Liner Notes zur CD: „Frisch, melodisch wie Katzen und rhythmisch hypergeladen".
Komplizen der Ornigologie
Mit zehn Jahren hat klein Gerhard mit der Trompete begonnen. Heute steht er zwar nicht vor Jericho, aber ganz vorne auf der Startrampe zur internationalen Karriere, dort, wo man ohne komplettes Rüstzeug und einem gerüttelt Maß an Entschlossenheit nicht hingelangt. Das „Streben nach Perfektion im Einklang mit Musikalität und Virtuosität" waren Ornig dabei gerade gut genug. Nun sind Originalität, Zeitgeist und Ausdauer, aber auch ein Quäntchen Glück gefragt.
Als Komplizen der Ornigologie verdächtig sind: sein erster Lehrer Axel Mayer (arrivierter Jazztrompeter), Franz Schober (Kapellmeister in Gralla) und Karl Rossmann (Trompetenlehrer am Johann-Joseph-Fux-Konservatorium), die einst allesamt am jungen Trompeter gefeilt haben. Jazzmäßig freigesprochen werden indes Jedermanns-Vorbilder wie Louis Armstrong und Miles Davis, „die mir zwar sehr gefallen haben, aber bei keinem war´s so, dass ich sagen konnte: Das war der Moment".
Und Dizzy Gillespie will für den jungen Mann aus Gralla, der von seinen Eltern weiland eine Louis-Armstrong-Compilation als erste Platte geschenkt bekam, lange nicht wirklich etwas Zündendes gewesen sein. Da schau her!
Nun, „vielleicht ein bisschen ein unkonventioneller Weg", aber heute dürfen die üblichen Verdächtigen unter den Shootingstars als Vorbilder nicht fehlen, darunter „auf alle Fälle Ambrose Akinmusire, eventuell Avishai Cohen, Ron Miles und Wadada Leo Smith. Aber", so setzt Gerhard Ornig sicherheitshalber nochmals nach, „ohne Karl Rossmann wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin." Trompetentechnisch habe er von ihm am meisten gelernt. „Und dann ist´s immer weiter gegangen." Weiter heißt: Konservatorium mit 15, dann Bachelor am Jazzinstitut der Kunstuniversität Graz, Master des „Conservatorium van Amsterdam" und der „Manhattan School of Music" in New York undsoweiterundsofort.
Königsdisziplin Trio
Zwischen seinen Engagements beim Ed Partyka Jazz Orchestra, der BvR Flamenco Big Band Amsterdam und dem Jazzorchester Steiermark war 2017 das Jahr, in dem sich Gerhard Ornig als Bandleader und Co-Leader profilieren konnte. Im selben Herbst feierte er sein Plattendebüt gleich mit zwei Produktionen unter eigenem Namen. Schon steht das dritte Album vor der Tür. „Mit großer Wahrscheinlichkeit werde ich 2019 die zweite Platte meines Trios mit dem Bassisten Matt Adomeit und dem Schlagzeuger Attila Gyárfás aufnehmen und will diese dann 2020 präsentieren".
Also wieder im Trio, dem herausforderndsten Format im Jazz, jener Königsdisziplin für jeden Solisten, wo es heißt, Farbe zu bekennen. Und das gleichsam auch die Keimzelle von Gerhard Ornigs kompositorischer Arbeit ist. Jedenfalls darf man gespannt sein auf die weiteren Projekte jenes Mannes, der uns einst als Mitglied der Jazz Passengers rund um den Universalmusiker Eddie Luis in einem Grazer Jazzclub aufgefallen ist und der von sich behauptet, „Spaß an der Improvisation und Freude an musikalisch strukturferner Kreativität" zu haben. Sein Wort in unserem Ohr.
Otmar Klammer
Stand: April 2019