Nachrichten vom Individuum
Nacht für Nacht studiert Ingo Abeska internationale Zeitungen und zeichnet fiktive Konstellationen der Weltläufe.
Im Frühjahr 2019 zeigte die Grazer Galerie Centrum eine Ausstellung unter dem Titel Journal. Präsentiert wurden die Arbeiten zweier Künstler, die sich auf unterschiedliche Weise an Printmedien - internationalen Tageszeitungen und Magazinen - orientieren, bewusst in Opposition zu einer Tendenz, nach der Tagesgeschehen im Netz über Blogs, Social Media und News-Foren verbreitet wird. Während der Franzose Christophe Gosselin Originale historischer Zeitungen als Malgrund für seine inhaltlich korrespondierenden Bilder in chinesischer Tusche und Pastellkreide verwendet, zeigte der 1953 geborene Grazer Ingo Abeska eine Reihe seiner auf Zeitungsartikeln basierenden Zeichnungen, die er assoziativ anlegt.
Im Gespräch erzählt Abeska er habe sich bis 1989, konsequent und gleichfalls autodidaktisch, mit Musik an den Instrumenten Gitarre und Keyboard befasst. Es kam zu einem Ehekonflikt, der ihn in mehrfacher Hinsicht existentiell beeinträchtigte. Nachdem er früher schon daran gedacht hatte, zu zeichnen, bis dahin mehrere Versuche allerdings „kläglich gescheitert" waren, zog er sich nun immer wieder nachts in „die Dachkammer" zurück. Tatsächlich habe ein „psychischer Druck" bestanden, den er durch nächtelanges Zeichnen kompensieren konnte. In den folgenden drei Jahren arbeitete Abeska nun nicht allein an der Verbesserung seiner Technik, es entstand auch eine Vielzahl von Blättern, in denen er sich mit seiner persönlichen Lage auseinandersetzte. Niemand sollte diese Bilder sehen, einen Großteil hat Abeska sogar vernichtet. Mit zunehmend sicher werdendem Strich und perfektionierter Technik - er zeichnete inzwischen mit Pastellstiften und schwarzem Malstift - wurden Formate, Papierqualität und das Finden von Inhalten relevant. Zur Quelle wurden mit Anfang der 2000er Jahre internationale Tageszeitungen und Magazine, deren Inhalte Abeska seither in einer Art Parallelverfahren - gleichzeitiges Lesen und Zeichnen - in Bilder umsetzt, die man als assoziative Verquickungen der kolportierten Geschehen beschreiben kann. So entstehen Bilder fiktiver Erzählungen, deren Motive auf jeweils mehrere Zeitungsartikel zurückgeführt werden können. Wie eine Porträtstudie beispielsweise mutet eine neuere Arbeit an, in der eine mehrfach im selben Blatt auftretende Figur einem vormaligen österreichischen Bundeskanzler gleicht, der einerseits, abgewandt, mit seinem Smartphone beschäftigt ist, dann wieder in Frontalansicht an den Joker aus Batman-Filmen erinnert.
Im Jahr 2004 schließlich wurden Freunde auf Abeskas Zeichnungen aufmerksam. Der Grazer Architekt und Künstler Armin Lixl richtete eine Ausstellung im Ziegelwerk Andritz ein, wo Abeska erstmals ein Konvolut seiner Arbeiten öffentlich zur Schau stellte. Hier lernte er den ebenfalls beteiligten E.d Gfrerer kennen, der ihn damals bestärkte, worauf in den folgenden Jahren etliche gemeinsame Arbeiten und Ausstellungen folgen sollten.
Als maßgeblich für die künstlerische Entwicklung erwies sich 2005 jedenfalls ein Projekt des Forums Stadtpark mit dem bezeichnenden Titel Die Szene sind wir, als 99 Kulturschaffende aus der Steiermark über neun Wochen mit ihren Arbeiten vertreten waren. Einer von ihnen war Ingo Abeska mit wieder neuen Zeichnungen nach dem inzwischen bewährten Verfahren.
Nach etlichen Präsentationen und -Beteiligungen, etwa bei < rotor > oder im Afro-Asiatischen Institut, war Ingo Abeska 2017 zu einer Personale im Grafikraum des Grazer Künstlerhauses - Halle für Kunst und Medien eingeladen. Auf einem langen Tisch, gefertigt aus dem Material einer Sperrholzplastik, die Teil einer vorhergehenden Ausstellung war, waren kleine Stapel von insgesamt 250 Schulheften angeordnet, in denen BesucherInnen blättern konnten. Wiederum Nacht für Nacht hatte Abeska über die Jahre zuvor jede Seite der Hefte im Format A5 „befüllt" und datiert und damit einen Atlas angelegt, der wie eine Paraphrase auf das Weltgeschehen anmutet.
Nochmals auf seine Arbeitsweise angesprochen sagt Abeska, es sei eine dem Komponieren von Musik vergleichbare Methode. Das Zeichnen während des Lesens von Zeitungen führt oft zu Bildkompositionen, von deren Zusammenhängen er immer wieder selbst überrascht ist. Es denkt, es zeichnet und es entstehen subjektive Ansichten der Welt.
Wenzel Mraček
August 2019