Das Flirren hinter den Bildern
Die aus Leoben stammende Filmregisseurin Sandra Wollner ist dabei, das deutschsprachige Kino mit ihren außergewöhnlich feinfühligen Filmen zu erobern.
Sandra Wollner wurde 1983 in Leoben geboren, wo sie aufwuchs und maturierte. Sie studierte an der Uni Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften, bevor sie 2012 an der Filmakademie Baden-Württemberg das Studium der Dokumentarfilmregie aufnahm. Ihr Debütfilm „Das unmögliche Bild" (2016) entstand dort als Filmschulprojekt, „The Trouble with being Born" (2020) war ihr Abschlussprojekt. Für „Das unmögliche Bild" erhielt sie den Preis der deutschen Filmkritik 2018; ihr zweiter Spielfilm wurde bei der Diagonale 2020 mit dem Großen Preis des Landes Steiermark ausgezeichnet.
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Filme jeweils das Thema der Familie in den Mittelpunkt zu stellen. Maßgeblicher als vom Thema sind die beiden Arbeiten jedoch von der speziellen Erzählweise der Regisseurin geprägt: In einem Interview mit dem Online-Magazin „Blickpunkt:Film" beschreibt Sandra Wollner ihren künstlerischen Antrieb als Suche nach einer Art von „Flirren hinter den Bildern", anhand dessen sie zeigen möchte, was „sprachlich vielleicht nicht darstellbar ist".
„Die Musik muss laut sein, damit der Teig nicht sauer wird"
Das 70-Minuten-Spielfilmdrama „Das unmögliche Bild" ist im Wien der 1950er Jahre angesiedelt und zeigt Bilder, welche die 13-jährige Johanna (gespielt von Jana McKinnon) mit einer alten, von ihrem Vater hinterlassenen Super-8-Kamera aufnimmt. Der Film markiert deutlich die dokumentarischen Wurzeln der Regisseurin. Die Familienszenen scheinen intim, natürlich und alltäglich, die Schauspieler überzeugen mit ihrer unprätentiösen Spielweise. Doch wie in vielen Familien verbirgt sich etwas hinter der Fassade. Neben dem Familienalltag filmt Johanna auch die Treffen des Kochklubs ihrer Großmutter. Gekocht wird dort nichts außer das Wasser, das die Frauen dann in verborgene Räume im Haus bringen. Die dokumentarischen Aufnahmen werden von Johannas Stimme in Form von Voice-Overs begleitet, manchmal auch von Texttafeln à la Alexander Kluge unterbrochen, die das Geschehene kommentieren. Vor dem Geburtstag der kleinen Schwester heißt es etwa: „Der Kuchen ist noch vom Leichenschmaus, aber mit den Kerzen merkt es niemand". Johanna philosophiert am visuellen Material entlang über das unsichere Verhältnis von Erinnerungen und filmischen Aufnahmen. Sandra Wollner dazu: „Wenn ich mich an Situationen meiner Kindheit erinnere, sind diese Erinnerungen eine Kette an Bildern, die ich aneinanderreihen kann. Ob ich sie tatsächlich erlebt habe oder ob sie mir nur gezeigt oder erzählt wurden, kann ich dabei nicht immer nachvollziehen."
Womit die bereits erwähnte Perspektivität ins Spiel kommt, denn in der zweiten Hälfte des Films - noch bevor das Geheimnis der Großmutter enthüllt wird - kommt es zu einem formalen Knick: Der anfangs verstorbene Vater ist (unkommentiert) zurück im Geschehen und „übernimmt" die Kameraführung. Dieser Wechsel funktioniert subtil und neigt ins Gespenstische. Die Kameraführung verändert sich von der verwackelten Handkamera hin zu einer statischeren, professionellen Haltung. Ab jetzt ist auch die wegen Polio auf Krücken angewiesene Johanna selbst öfters zu sehen, und nicht mehr auf die beobachtende Rolle beschränkt. Sie wird in das Familiengeheimnis rund um die „Kochtreffen" ihrer Großmutter eingeweiht und soll angelernt werden: Ihre Großmutter arbeitet als „Engelmacherin" und führt Abtreibungen durch. Kleine Randbemerkungen des Films bis dahin scheinen nun Sinn zu ergeben. Der Film lässt sich Zeit, dieses Geheimnis zu offenbaren, tut es dann aber mit unaufgeregter Wucht - ein Coup der Regisseurin, die es schafft, Dinge zu enthüllen, ohne sie zu zeigen. Der Verband der deutschen Filmkritik würdigte diese Leistung mit dem „Preis für den besten Spielfilm" des Jahres 2018.
Androiden als Vehikel zur Psyche der Menschen
„Bei ‚Das unmögliche Bild‘ ging es um die Selbstwerdung eines Ichs, in ‚The Trouble With Being Born‘ um die Auflösung eines Ichs", erläuterte Sandra Wollner in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung" den Zusammenhang zwischen ihrem Debütfilm und ihrem Filmakademie-Abschlussfilm, dem Noir-Science-Fiction-Streifen „The Trouble With Being Born". In dessen Zentrum steht das elfjährige Androiden-Mädchen Elli, das anhand alter Erinnerungen geschaffen wurde, um einen Mann, den sie Papa nennt (gespielt von Dominik Warta), über vergangenen Schmerz hinwegkommen zu lassen. Sie genießen gemeinsam den Sommer am Pool eines modernen Hauses am Waldrand, lassen sich treiben. Doch auf Basis der Gedächtnisbilder, mit denen Elli gefüllt ist, beginnt sie ein Eigenleben zu entwickeln. Eines Nachts läuft sie den verblassten „Erinnerungen" hinterher in den Wald und verirrt sich. Sie wird von anderen Menschen gefunden, die ihre alte Programmierung mit neuen Erinnerungen überlagern. Dadurch kommt es zu Fehlschaltungen oder Glitches, und aus dieser (Ver-)Mischung entsteht eine neue Androiden-Persönlichkeit.
Das Thema der künstlichen Intelligenz ist sowohl ethisch als auch technologisch eine umstrittene Innovation unserer Zeit. Sandra Wollner und Roderick Warich, die gemeinsam für das Drehbuch verantwortlich zeichnen, nehmen sich dieses Themas ohne moralische Verurteilung an. „The Trouble with being Born" besticht durch das vielschichtiges Unbehagen, das der Film im Zuschauer auslöst, nicht zuletzt durch das gekonnte Zusammenspiel der hörbaren mit der sichtbaren Ebene. „Nie moralisch, aber immer mehrdeutig, berührt der Film die Ängste und Wünsche unserer Zeit", heißt es in der Jurybegründung zur Verleihung des Großen Diagonale-Preises des Landes Steiermark 2020 in der Kategorie Spielfilm. Und weiter: „Mit poetischen Bildern und Klängen sowie der gut gewählten Besetzung der Rollen wird eine Atmosphäre der Pein geschaffen, in der alle Elemente gut zusammenarbeiten.
Naima Noelle Schmidt
Juli 2020