Mit Hanns Eisler durch Los Angeles
Veronika Eberhart studierte Kunst, um weg vom Denken zu kommen. Das hat nicht geklappt. Glücklicherweise.
Eine Lade öffnet sich wie von selbst, eine Mulde wandert, wie von Geisterhand bewegt, über Textil, Menschen ungewissen Geschlechts mit wehendem Langhaar haben sich zu einer Formation gruppiert: Mysteriöses geht vor in Veronika Eberharts Videoinstallation „9 is one and 10 is none". In der Ausstellung „Hysterical Mining", die 2019 in der Kunsthalle Wien gezeigt wurde, zählte das Werk zu den Highlights. Die Arbeit, gefilmt in einer aufgelassenen Tischlerwerkstatt in der Südsteiermark nahe der slowenischen Grenze, basiert auf einer ausgedehnten Recherche - über Kapitalismus. Mechanisierung, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, Hexen und vieles mehr.
Dieser Zugang ist charakteristisch für die Arbeiten von Veronika Eberhart, die 1982 in Bad Radkersburg geboren wurde: Streifzüge durch Kulturgeschichte, Literatur und Archive gehören zur Grundlage ihrer Kunst, die in vielen Medien - Filmen, Skulpturen, Installationen, Publikationen - ihren Ausdruck findet und die man mit dem beliebten Terminus „recherchebasiert" bezeichnen könnte.
Von der Soziologie zur bildenden Kunst
Das verwundert zunächst nicht groß, studierte sie doch anfänglich Soziologie. Danach bewarb sie sich allerdings auf der Akademie der bildenden Künste in Wien, um „weg vom Denken" zu kommen. Allerdings kam sie, wie sie im Sommer 2020 bei einem Gespräch im Wiener Café Stein erzählt, zunächst in die sehr kopflastige Klasse von Marina Gržinić." Später wechselte sie zu Ashley Scheirl: „Das war toll, so frei! Die Klasse war so bunt, wir haben viel Musik und Performance gemacht." Zuletzt ging sie zu Carola Dertnig, wo sie schließlich diplomierte.
Momentan lebt Eberhart in Brüssel - durch das „Artist-in-Europe-Stipendium" das Landes Steiermark erhielt sie dort eine Residency am renommierten WIELS Art Center. Überhaupt war sie dieses Jahr nur wenige Monate in Österreich: Von Oktober 2019 bis März 2020 - sie kam mit dem letzten Flieger vor dem Shutdown nach Österreich - hielt sie sich im Rahmen des renommierten Schindler-Stipendiums, vergeben vom Museum für Angewandte Kunst in Wien, in Los Angeles auf.
Dabei erkundete sie die Stadt auf eine besondere Art: Sie durchforstete Archive. „Eine super Art, Los Angeles kennenzulernen!" Als Fan des Komponisten Hanns Eisler stieß sie, mehr oder weniger über Umwege, auf den Briefnachlass seiner Frau Lou Eisler-Fischer. Das Paar lebte von 1938 bis 1948 im Exil in den USA. Hanns Eisler und Bert Brecht, mit dem er häufig zusammenarbeitete, gerieten auf das Radar des berüchtigten „Komitee für unamerikanische Umtriebe" und wurden im Biltmore Hotel in Downtown L. A. verhört, einem beliebten Filmschauplatz. Ihre groß angelegte Arbeit vereint Ausschnitte aus den entsprechenden Filmen mit eigenen Aufnahmen aus den Hotels, Auszüge aus den Briefen von Eisler-Fischer sowie Transkripte der Verhöre: „Mich interessiert, wie sich der filmische mit dem realen Ort vermischt." In einem Archiv in Santa Barbara stieß Eberhart zudem auf Platten mit Liedern von Eisler und Brecht, die Gegenstand der Verhöre waren und die sie neu pressen ließ. „Die Platten fand ich einer Kiste, in der andere Materialien des Labels, bei dem Eisler veröffentlichte, waren. Sie waren in dem Archiv nicht einmal katalogisiert."
Recherchen in den Weiten der Weltpolitik
Eberharts Rechercheprojekte, die sie in die Tiefen von Archiven und die Weiten der Weltpolitik führen, fördern oft Dingen zutage, die einer größeren Öffentlichkeit kaum bekannt sind und schließlich in eindrückliche Bilder übersetzt werden. Manche Themen ziehen sich durch, etwa der Feminismus. Das zeigt sich auch in ihrer Arbeit zum albanischen Schriftsteller Haki Stërmilli, deren Roman „Sikur t‘isha djalë", zu deutsch: „Wenn ich ein Junge wäre" (er erschien bisher weder auf deutsch noch auf englisch) sie von jungen Albanerinnen interpretieren ließ. Auch eine Punkband tritt auf. „Der Begriff Feminismus wird mittlerweile sehr breit angewendet, was ich schwierig finde. Mich interessiert weniger dieser neoliberale Zweig, dem zufolge Frauen erfolgreich sein müssen, sondern eher der intersektionale Zugang: dass man die Einschränkungen aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe mitdenkt."
So richtig hat das mit dem „weg vom Denken" bis heute nicht funktioniert. Gut so.
https://www.veronikaeberhart.com/
Nina Schedlmayer
Stand: September 2020