Fragen an die Dadosophin
Die Dadasophin alias Sylvia Egger ist eng mit der in Graz gegründeten Literaturzeitschrift „perspektive“ verbunden. Im Interview gibt die steirische Literatur-Stipendiatin 2020 Auskunft über die Verfahren, die sie in ihren Texten anwendet.
Frage an die „Dadasophin": Was lässt sich nach 100 Jahren noch vom Dadaismus lernen? Und wie verträgt sich ein dadaistischer Ansatz mit Computersprachen, Hypertext und kommunikativen Interferenzen?
Sylvia Egger: Ich würde die Frage etwas anders beantworten, ob Avantgarde - hier beispielhaft der Dadaismus - nicht längst tot ist. Richard Huelsenbeck stellt diese Frage am Ende der Einleitung zu seiner DADA-Dokumentation: Kann man immer weiter schreien, kann man immer weiter zerstören, muss man immer weiter Radau machen? Und er bringt es auf einen damals - 1964 - durchaus aktuellen Punkt: Muss ein wahrer Dadaist ein Anhänger elektronischer Musik sein? Damit werden zwei wichtige Fragen gestellt: Wie hält man sich fitös in den wechselnden medialen Kontexten, was lässt sich immer noch und womöglich auch noch mehr zerstören und wie altert man als schreiende Dadaistin entlang des random axit. Zwischen hacking und tracking lässt sich Sprache als Kommunikationsmittel immer wieder nieder, mehrfach codiert oder partiell drehsymmetrisch: nreyaB hcrud reuq ixaT nedoram ttelpmok mi tgaj iznarF.
In deinen Texten arbeitest du mit inhaltlichen Montagen, Schnitten, freien Assoziationen und mit grafischen Interferenzen. Dabei stehen mediale Systeme (E-Mails, Computersteuerungsbefehle, aber auch Zitate aus Zeitungsartikeln) thematisch im Zentrum vieler Texte. Welche Bedeutung haben Mediensysteme für dein Schreiben?
Mediensysteme und Medientheorien sind immer zusammen zu denken, zu beschreiben und zu verwenden. Friedrich Kittler hat das ewige Wechselspiel von Gegen(d) und Revolte in Aufschreibesysteme 1800/1900 (1985) sehr treffend auf den technologischen Punkt gebracht: Die Mythen von Jugend und Provokation decken nur zu, wie vollständig die jungen Provokateure vom Aufschreibesystem ihrer Epoche abhängen. Es sollte nicht darum gehen, möglichst viel unterschiedliches Material zu mischen, daraus einen neuen aufmüpfigen Cocktail zu mixen und damit herkömmliche Textlagen zu kippen oder zumindest ins Schlingern zu bringen. Es muss darum gehen, Herrschaftsphänomene auch da sichtbar zu machen, wo sie einfach zu gut versteckt sind. Man könnte jetzt ein Beispiel von Bourdieu auf die aktuellen Code-Umgebungen anwenden und summieren: Es reicht eben nicht, sich schlicht Codes anzueignen - beispielhaft verwende ich gerne Handbücher von Computerspielen, sogenannte Walkthroughs mitsamt ihrer Side-Quests-, Secrets- & Treasures-Strukturen. Es geht vielmehr darum, diese im Wesentlichen festgelegten Strukturen offenzulegen und etwa in eine andere Text-Umgebung (environment loss) zu überführen. Damit lässt sich im anderen Text eine kurzlebige freie text zone erzeugen. Frei nach Hakim Beys Temporary Autonomous Zone handelt es sich dabei um guerilla-ähnliche Taktiken, die sich auch in Texten - wenn auch nur punktuell - anwenden lassen. Denn letztlich ist auch das Erzeugen von Text mit den klassischen Trophy Guides des Gamings verbunden: Erst wenn sich mehrere Elemente im Text verschieben lassen (Furniture Trauma), ist der Text für mindestens zwei Trophäen offen - man hat die Wahl zwischen Text Venture (vulgo: Silbenkoller) oder Text Pincher (action pointer: Silbenkrähen - wie auch immer man sich dreht & wendet im Text - you won't get the dialogue!).
Die Literatur selbst, ihre Akteure und Bedingungen, spielen in deinen jüngeren Texten für die Zeitschrift „perspektive" eine große Rolle. Was stört doch und was fasziniert dich an der Literatur / am Literaturbetrieb dermaßen, dass du sie wieder und wieder in den Blickpunkt deiner literarischen Betrachtungen und Verfahren rückst?
Man könnte hier wieder auf Friedrich Kittler (Draculas Vermächtnis) rekurrieren und schlicht feststellen: Schreiben ist eine Fortsetzung von Spionage mit anderen Mitteln und bewegt sich damit in einem diffusen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Loyalität & Illoyalität, Legitimität & Illegitimität. Im Text sollten daher die Abhängigkeitsverhältnisse von Text & Autorin, Text & Literaturbetrieb und Literaturbetrieb & Autorin immer wieder klar und offen zur Diskussion gestellt werden - wo beginnt die Abhängigkeit, was ist genau davon betroffen und wie lassen sich die Strukturen der Abhängigkeiten so offenlegen, dass sowohl die Position von Text und Autorin im literarischen Feld klar erkennbar wird als auch die etablieren Codes von Text & Literaturbetrieb gebrochen werden können. Denn - wie Bourdieu klarstellt - lassen sich etablierte und sich gerade etablierende Codes (etablierte Avantgarde-Szenarien) nur brechen, wenn man die etablierten Codes beherrscht - vor allem die sozialen Codes von Geschmacksträgertypen (Levin L. Schücking). Geschmacksträgertypen bilden sich häufig um neue Richtungen und Gruppen - eine soziale Enklave um das Neue / Andere, bis sie wieder vereinnahmt und schließlich kanonisiert werden: 611149341035294672934532912199763727225132923195296204195813329184729850393529184773175 (gespreizte Chiffrierung).
Welche Erwartungen hast du selbst an deine Texte? Welche Qualitäten müssen sich darin wiederfinden, damit du selbst damit zufrieden bist?
Sicherlich bindet man immer Erwartungen an Texte, die lassen sich aber nicht wirklich vollständig rationalisieren. Man muss sich einfach wieder und wieder die Ausgangsfrage stellen, warum sollte man mit einem weiteren Text den etablierten Korpus an Texten angreifen? Eine Qualität meiner Texte ist sicherlich, dass sie den Querverweis adeln. Das Assoziative trifft gleichzeitig auf den theoretischen Querschläger und erzeugt flausige Codes (vulgo: daylight robbery). Und: Zufriedenheit ist kein wirklicher Ansatz, meine Texte sollen möglichst weit entfernt vom comfy sharing sein - cause your room will be empty!
Dein Buch „Still Dialing Alice" ist 2009 erschienen. Ist ein Nachfolgeband in Planung? Wenn ja: Nach welchem Verfahren wirst du ihn konzipieren?
Still Dialing Alice war genau das, was der Titel suggeriert: Der Text als Wählscheibe führt nur aus, quasi wie das Fräulein vom Amt. Die Leserin wird oder wird nicht vom und mit dem Text verbunden - Abspannungsfehler sind im Text gleich miteingebaut. Ein Nachfolgeband ist nicht in Planung, weil ich nicht in Bänden und Büchern denke und arbeite, sondern in Texttranchen und Texttranchierungen. TeXtE HaBeN FüR MiCh vOrAuSlAuFeNdEn ChArAkTeR UnD StOßEn dAhEr iMmEr wIeDeR An iHrE EiGeNeN GrEnZeN (code stiching).
Du hast ein Stipendium des Landes Steiermark für avanciertes Schreiben erhalten. Welchen Bezug hast du zur Steiermark bzw. zur Literatur aus der Steiermark?
Meine gesamte Literatursozialisation (seit 1993) habe ich an der Seite der Grazer Literaturzeitschrift perspektive (Berlin - Graz - Wien) und der shelter performance group erlebt, meine erste Lesung hat in Graz stattgefunden und die Buchpräsentation von Still Dialing Alice ist im Grazer Forum Stadtpark über die Bühne gegangen. Mit der Steiermark und Graz verbinden mich also - auch wenn mir die Wiener Gruppe näher ist als die Grazer Gruppe - sowohl ein langer literarischer Weg als auch viele Nächte in der Grazer Innenstadt und Nachmittage im Steirischen Hügelland. Vor allem der kollaborative Fokus von perspektive etwa im KV (kontrollverfahren) - ein Text-Schärfen von Theorie und Poetik innerhalb der perspektive-Redaktion - entsprach meiner Methode, mit Text/Theorie assoziativ und re-reaktiv zu arbeiten.
Welcher Arbeit/welchem Text wirst du dich mit dem Stipendium widmen? Wozu wirst du die Unterstützung nutzen?
Derzeit finalisiere ich das perspektive-Projekt ABC - avantgarde-boot-camp. Bereits 2003 habe ich mich für perspektive mit dem Projekt avant / garde / under / net / conditions auf die Suche nach wie auch immer versprengten Avantgarden im Netz gemacht. Gefunden habe ich mehr Dadaisten als Surrealisten und viele Avantgarde-Techniken wie Collage, Montage und Recodierungen als experimentelle Technik (mezangelle & codework). Über 15 Jahre später hat sich der Fokus im Netz noch weitaus mehr auf Code und Programmierung verschoben. Klassische Avantgardeformen wie im Dadaismus gibt es seltener, dafür hat die Encodierung endgültig Einzug in den experimentellen Text gehalten und Sprache als codiertes Verfahren hat eine technische Komplexität erreicht, die durchaus auch Rezeptions-Silos erzeugen kann. Trotzdem zeigt diese neue Stichprobe den sehr breiten Umfang von Avantgarde-Techniken, auch wenn sich das einzelne Projekt keiner Avantgarde-Richtung zuordnen lässt oder lassen will. Die Frage, die sich schon 2003 gestellt hat, bleibt auch 2020 virulent: Tradiert sich Avantgarde nur noch über ihre technischen Verfahren und verändert sich dadurch ihr Konzept und Anspruch dauerhaft?
Parallel arbeite ich an how to turn your avantgarde personality into your career vintage. Zentral geht es in diesem Text um die Karrieremöglichkeiten einer Avantgardistin. Mit Hilfe von Business-Fibeln (duchamp telling) und Assessment-Führer (derive meetings) soll eine klare Perspektive (soft & tough skills) erarbeitet werden, um als Avantgardistin im Leben wenigstens einen Schritt weiter zu kommen (text mehrwert bingo) - nach dem verdammt attraktiven Motto Sie werden jeden Tag aufwachen wie eine Genusswaffe!
Biographisches
Dadasophin aka Sylvia Egger lebt und textet seit 1999 in Köln. Davor eine lebenstechnische Schneise in Berlin geschlagen. Und noch weiter davor hat sie Germanistik und Mediengeschichte abgeschlossen. Zur Finanzierung ihrer Texte und Studien hat sie in Salzburg Programmzettel verteilt und ist an der Laminiermaschine gestanden, in Berlin hat sie unter dem Mikroskop Kameras verdrahtet und Intranetseiten für Firmen verwaltet. In Köln arbeitet sie seit Jahren als Frontend Entwicklerin und erarbeitet barrierefreie Webauftritte für Bundesministerien. Texte und Essays schreibt sie für die Grazer Literaturzeitschrift perspektive, weil sie die Auseinandersatzung mit Text / Kritik und Theorie seit Jahren forciert und einen tiefen-kritischen Blick auf die literaturbetrieblichen Verhältnisse legt.
dadasophin.de
ABC - avantgarde-boot camp
perspektive
Die Fragen stellte Werner Schandor
Stand: August 2020