Ankommen in der Reduktion
Als sie sich 2016 zum zweiten Mal in Graz niederließ, ist Veronika Erhart mit einigen ihrer Arbeiten im Umzugstransporter durch die Stadt gefahren, hat die Werke an verschiedene Innenstadtplätze tragen lassen, und ihr Sohn Julian Erhart hat Fotos von der Aktion gemacht. „Ich habe gedacht, ich zeige meiner Kunst die Stadt Graz, um zu sehen, ob es ihr hier gefällt, und um hier anzukommen.
Zu diesem Zeitpunkt war Erhart in ihrer Heimatstadt Salzburg als Künstlerin bereits gut verankert. Arbeiten von ihr befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Museums der Moderne Salzburg, im Linzer Lentos und in der Artothek der Republik Österreich. Sie hatte Ausstellungen in Salzburg, Wien und München. Der Umzug nach Graz war eine Zäsur, die sie 2018 in der Ausstellungs-Installation „Kunstschleppen" im ORF-Zentrum Steiermark thematisierte. Eingekreist von den Bildern der „Kunstschleppen"-Aktion, waren in der Mitte des Foyers im Funkhaus zwei schmale Baugerüste in einem spitzen Winkel zueinander aufgestellt. Darauf lagerten überdimensionale Köpfe aus Styropor, eine gewellte, mit Blattgold versehene Aluplatte, mehrere Alu-Bilder, eine mit dem Namen der Künstlerin bedruckte Holzplanke und viele andere Objekte, die sich in ihrem Atelier im weststeirischen St. Stefan ob Stainz wiederfinden. Erhart ist 2018 von Graz nach St. Stefan gezogen und hat den Gastraum des ehemaligen Gasthauses Klug in Werkstatt und Lager umgewandelt. Früher wurden hier Hochzeiten, Firmungen und Vereinstreffen gefeiert. Jetzt füllen die Bilder, Objekte, Arbeitstische und Materialien der Künstlerin den Raum.
Ausbildung an der Ortweinschule
„Ich bin seit 2004 selbstständig als Künstlerin tätig", erzählt sie. „Bis dahin hatte ich in Salzburg bei einem Architekten gearbeitet, für den ich in Hotels Trompe-l'œil-Wandgemälde angefertigt habe." Erhart kam über die Textilgestaltung zur Kunst. In den späten 1980er-Jahren absolvierte sie in Salzburg während der Schule eine Ausbildung zur Damen- und Herren-Kleidermacherin. Anfang der 1990er-Jahre kam sie zum ersten Mal nach Graz, um hier an der Ortweinschule Mode- und Textildesign zu studieren und die Meisterprüfung als Damen-Kleidermacherin abzulegen. Ein Jobangebot von Trussardi in Mailand musste die werdende Mutter ausschlagen. Statt in die Modemetropole ging es zurück in die Mozartstadt, wo sie sich und ihrem Kind mit lebensechter Gebrauchsmalerei den Lebensunterhalt sicherte. „Ich habe immer schon gut zeichnen können", sagt sie. Aber in ihren künstlerischen Arbeiten interessiert sie das Figurative schon lange nicht mehr: „Mich beschäftigen Linie, Fläche, Form und Material."
Ein Faible für Sperriges
Bei Letzterem - dem Material - hat Veronika Erhart ein Faible für Sperriges: Anfangs waren es Holzpaletten, die mit groben Jutesäcken überzogen und eingefärbt wurden; dann kamen irgendwann Aluminiumplatten, wie sie von Druckereien im Offset-Druck verwendet und danach entsorgt werden. Gleich wie die Holzpaletten wurden auch sie einer künstlerischen Transformation unterzogen: Für ihre Serie „Impact Cube" (2010) hat Erhart Rahmen aus den Aluplatten geschnitten, diese schichtweise verschraubt und zum Abschluss eine Deckplatte angebracht und mit schwarzem Vinyl bestrichen. Das Vinyl trocknet nach einigen Tagen und hinterlässt dabei Risse in der Oberfläche, die manchmal bis auf die Trägerplatte durchreichen. Die Werke dieser Serie faszinieren mit ihrem Widerspiel aus Einfachheit und Subtilität. An bedeckten Tagen können die Bilder stumpf und schwer wirken, aber wenn Licht darauf fällt, beginnen sie zu leben. Erharts „Bild/Objekte sind wie Rufzeichen gegen den Strom der Auflösung", schrieb der Kunstkritiker Anton Gugg im Ausstellungskatalog zu „Impact Cube".
Reduktion als Programm
Wenn man sich Erharts Werke in ihrer zeitlichen Entstehungsreihe anschaut, fällt die Entwicklung hin zum Minimalistischen auf. Die Kuratorin Margit Zuckriegl erkannte darin die „Suche nach Klarheit und Reinheit". „Ich will mit dem Material in die Nullzone kommen", sagt die Künstlerin mit dem Blick auf ihre jüngsten, noch unfertigen Arbeiten: Im Gasthaus-Atelier liegen und hängen schillernde Pölster, die sie aus dünnen, in Streifen geschnittenen, gebrauchten Druckfolien geflochten hat. Die Enden der Streifen stehen widerspenstig aus den Pölstern ab, sie werden von der Künstlerin extra herausgelöst, um die allzu glatte Form aufzulösen. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, was die endgültige Form dieser jüngsten Arbeiten betrifft.
An einer Wand des Ateliers hängt eine rechteckige Aluminiumplatte, auf die Erhart verschiedene Blau-Pigmente aufgetragen hat. Auch sie entfalten im Sonnenschein ihr volles Leben. Diese Pigmentarbeit und die Alu-Objekte gehören zu den ersten Werken, die in der Weststeiermark entstanden sind. Eine weitere Arbeit hängt nicht weit entfernt im Eingangsbereich des Kulturzentrums Stieglerhaus in St. Stefan: „OBE und UMI", so der Titel des großformatigen Werkes, besteht aus mehreren übereinander montierten transparenten Glasplatten, auf die schwarze Linien gezeichnet sind. Es handelt sich um die auf einen Strich reduzierten Hals-Partien der Einwohner von St. Stefan. Als Vorlage für die Striche dient jeweils ein Polaroidfoto, auf dem die St. Stefaner ihre Halslinien selber einzeichnen, bevor sie die Künstlerin auf die Glasplatte überträgt. Es ist ein noch nicht abgeschlossenes, partizipatives Projekt. Monochrome Farben, ein Trägermaterial, das ursprünglich nicht aus dem Kunstkosmos stammt, und größtmöglicher Minimalismus kennzeichnen auch diese konkrete Arbeit, die für Erharts Privatleben eine ebenso konkrete Wendung gebracht hat: Als die das Konzept für „OBE und UMI" 2017 im damals neu eröffneten Stieglerhaus vorstellte, lernte sie den Initiator des Kulturzentrums kennen, den Schauspieler August Schmölzer. Weniger später wurden sie ein Paar, seit 2018 ist der Name Veronika Erhart-Schmölzer in ihrem Pass eingetragen; als Künstlerin firmiert sie aber weiterhin als Veronika Erhart.
Zahlreiche Projekte
Ist Erharts Kunst nun in der Steiermark angekommen? - „Ich bin angekommen, ob die Kunst schon angekommen ist, weiß ich nicht", sagt sie. Durch Corona hat die Künstlerin wieder mehr Zeit, sich ihren eigenen Projekten zu widmen: den Alu-Flechtungen, dem Nachspüren von reduzierter Farbe, Material und Form. Dazwischen fertigt Erhart Auftragsarbeiten an, unter anderem zwei Seitenaltäre für eine Salzburger Kirche. Und gemeinsam mit dem Grazer Architekten und Künstler Wolfgang Ceh hat sie als Künstlergruppe CehErhart mehrere Kunst-am-Bau-Wettbewerbe gewonnen. 2019 setzten die beiden in der Kärntner Gemeinde Litzlhof ihre Arbeit „W ir si nd Li tz lh of er" um. 2021 steht unter anderem die Realisierung eines weiteren Kunst-am-Bau-Siegerprojekts in der Gemeinde Schiefling am Wörthersee am Programm. Und im September 2021 wird das CehErhart-Projekt ORTART in St. Stefan ob Stainz vorgestellt: Zehn Künstlerinnen und Künstler aus der Steiermark entwickeln dafür ortsbezogene Land-Art-Arbeiten. - Schaut so aus, als wäre Erharts Kunst in Südösterreich doch schon angekommen.
https://www.veronika-erhart.com
Werner Schandor
Stand: März 2021