Mehrdimensionale Literatur
Bettina Landl ist keine herkömmliche Schriftstellerin. Sie hat dem Genre Literatur mit ihren Arbeiten ein Facelift verpasst und die Grenzbereiche dieser Kunstform nach allen Seiten hin ordentlich ausgedehnt.
Es ist nicht leicht, Bettina Landl einzuordnen, was bei literarischen Talenten immer ein gutes Zeichen ist. Es ist Wortkunst, was sie schafft, und sie tut es mit vollem Kopf- und Körpereinsatz. Begonnen hat alles ganz anders: Bettina Landl hat Kunstgeschichte und Philosophie studiert, war in der Kunstvermittlung tätig und eigentlich fix in der wissenschaftlichen Schreiberei verankert. Ihr erster längerer literarischer Text wurde 2017 trotzdem ein sehr persönliches Romanfragment und sofort in der Zeitschrift „Lichtungen" abgedruckt. Davor hatte sie nur für sich selbst geschrieben und auch gar nicht daran gedacht, andere daran teilhaben zu lassen. Aber Landl ist Perfektionistin, und so wurde der erste Wurf gleich ein Treffer. Inzwischen wirft sie in ganz andere Richtungen als bei ihren ersten Texten, nur die Zielsicherheit ist geblieben.
Lustquelle Recherche
Bettina Landl, Jahrgang 1985, ist ein Kind dieser Stadt und wirkt auch wie das sanfte und trotzdem oft völlig unverständliche und komplexe Graz. Sie ist die angenehmste und unterhaltsamste Gesellschaft, die man sich vorstellen kann: Sie mäandert im Gespräch anmutig zwischen Gossip, Regionalpolitik und Ästhetik hin und her, und nie wird es belanglos, verschwurbelt oder von oben herab. Zartfüßige Leichtigkeit mit so viel Tiefgang vermischt, dass einem leicht schwindlig werden kann. Sie ist präsent, aufmerksam und gewinnend, und gleichzeitig rieselt sie einem durch die Finger wie weißer Sand am Lignano-Strand. Man schaffte es nicht, Bekanntes daraus zu formen, aber man kann auch nicht damit aufhören und möchte immer mehr.
Bettina Landl will es wissen, und das jetzt und sofort, und so sieht inzwischen auch ihr Arbeitsprozess aus, in dem sie ihre poetischen Wort-Architekturen herstellt. Das Biografische und Erzählerische ist mittlerweile völlig aus ihrem Werk verschwunden. „Ich arbeite, wie man das eigentlich im wissenschaftlichen Bereich macht. Ich brauche zig Bücher um mich und muss ganz viel nachschlagen, und dann verliere ich mich in der Arbeit, aber es gibt dann den Moment, wo es fertig ist. Es ist alles da, ich muss nur dorthin kommen", erklärt sie. Ein sehr zeitgemäßer Prozess - wie im Internet sind ihre Texte nicht hierarchisch, sondern vernetzt und sogar spiralförmig gebaut, ohne sich dabei zu vertrödeln. Schummeln durch Querlesen geht trotzdem nicht. Man kann nicht durch ihre Texte hasten, dafür sind sie nicht geschaffen. Man braucht Konzentration und Zeit.
Neues Level der Poesie
Ihre Gedichte, die keine sind, aber für die es noch keinen anderen Begriff gibt, sind eher zum Ansehen und Erforschen da, und dafür brauchen die Leser den vollen Körpereinsatz. Man kann sich selbst aussuchen, wo man anfangen möchte, oder man lässt sich leiten und manchmal auch hetzen von den Worten, die einen anspringen oder sich zart an die Augen schmiegen. Landl baut ein räumliches Zuhause für ihre Worte. Ihre Arbeiten erinnern an die freundlich-distanzierte, aber trotzdem emotionale Haltung der 70er-Jahre, die sehr gerne mit persönlichen Gefühlen arbeitet, aber dann trotzdem wie eine Muschel fest nach innen verschlossen bleibt. Auch Landl verwendet gerne persönliche Fürwörter, schreibt oft „ich" und „du", und dennoch hat man beim Lesen nie das Gefühl, der Autorin persönlich auch nur einen Millimeter näher zu kommen. Aber das gibt den Texten nur noch mehr Ebenen, macht sie greifbarer und anschmiegsamer. Das ist auch notwendig.
Ihr Schreiben fordert geballte Aufmerksamkeit und ist mehr Performance als Story. Sie nutzt gerne geisteswissenschaftliche Recherchen, spielt freizügig mit Zitaten, mit philosophischen und naturwissenschaftlichen Axiomen, mischt Deutsch und Englisch in einem Satz, verwendet Abstände und Absätze unorthodox und legt auch gerne Sound als wesentlichen Bestandteil über ihre Kreationen.
Gelebter Wissensdurst
Bettina Landl ist ein Nerd mit Hummeln im Hintern. Sie bewegt sich auf unglaublich vielen Ebenen mit Bravour und glänzt mit sehr viel Disziplin. Neben dem „Kunstraum Steiermark"-Stipendium 2021/22 bekam sie 2019 den Literaturförderpreis der Stadt Graz und 2021 das Literaturstipendium der Stadt zugesprochen. 2019 erhielt sie ein Atelier-Auslandsstipendium des Landes Steiermark in Zagreb. 2018 wurde ihr der Wiener Werkstattpreis und der Stuttgarter „zwischen/miete"-Lyrikpreis verliehen. Ihre Texte begleiteten 2021 die Arbeiten von Nina Schuiki im Grazer Forum Stadtpark in der Ausstellung „Hypochondria Heart". Ihre erste eigenständige Publikation unter dem Titel „Listen to Policy by Ellen Phan" wurde 2021 in Dieter Sperls Reihe „flugschrift" als Band Nr. 35 publiziert. Durch die Faltung und die Setzung bekommt der Text zusätzlichen Raum zum Atmen.
Daneben schreibt sie für das Architekturmagazin „gat.st", „die Referentin" und für unterschiedliche Kunstpublikationen, Ausstellungen und Projekte. Das ist nicht nur unbedingt gewollt - der Mensch muss auch essen, das Internet bezahlen und braucht einen Platz zum Schlafen -, sondern ergibt auch viel Stoff zum Verarbeiten für die Textarchitektin Bettina Landl.
Lydia Bißmann
Stand: September 2021