Diskokugeln im Kirchenraum
Gewitzte Anspielungen zogen sich immer schon durch die künstlerischen Arbeiten von Bernhard „Lupo“ Wolf. Seit 2015 setzt der Künstler mit seinen Projekten vermehrt Zeichen im öffentlichen Raum, und das im In- und Ausland.

Wenn man auf der B77 nach Judenburg unterwegs ist, kommt man in einer langgezogenen Kurve an Planeten-Kreissymbolen mit drei groß aufgemalten Temperaturangaben vorbei: +5500 °C, +15 °C und -197 °C. Es sind die durchschnittlichen Oberflächentemperaturen von Sonne, Erde und Uranus, die Bernhard Wolf an der Betonstützmauer an der Landtorbergrampe bei Judenburg aufgebracht hat. Das Projekt des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum (IKÖR) wurde im Sommer 2021 präsentiert. „Die derzeit durchschnittlichen Oberflächentemperaturen auf Sonne, Erde und Uranus verdeutlichen diskrepante und gleichzeitig feinst aufeinander reagierende Zustandsbilder als plakative, weithin sichtbare und verständliche Zeichen, Bilder, Logos", sagte IKÖR-Leiterin Elisabeth Fiedler in ihrer Rede bei der Vorstellung des Projekts mit dem Titel „Habitat". Wolf hatte die Arbeit bereits einmal in abgewandelter Form umgesetzt, und zwar auf einem aufgelassenen Basketballfeld in der europäischen Kulturhauptstadt 2019 in Plovdiv, Bulgarien.
Ein Bild vom bulgarischen „Habitat" ist auf dem Umschlag des Katalogs „Bernhard Wolf. 2016-21" zu sehen. Der Kunstband versammelt über 30 raumgestaltende Projekte, die der in Graz lebende Künstler in den vergangenen fünf Jahren realisierte. Die Gliederung im Katalog erfolgt nach Arbeiten für Außen- und Innenräume und beinhaltet neben den Soloprojekten auch drei Kollaborationen mit Matthias Jäger bzw. mit Monique Fessl und Martin Mathy. Als erste Arbeit ist im Katalog „You will never walk alone" abgebildet, mit der Wolf 2017 einen „Kunst am Bau"-Wettbewerb für die Eingangsgestaltung des Instituts für Strahlentherapie am LKH Klagenfurt gewonnen hat. Die Freiraum-Installation besteht aus sechs hinter einander stehenden, semitransparenten Glasflächen, auf die in spektraler Strahlentextur der Umriss eines menschlichen Körpers zu sehen ist, der zum Sprung ansetzt.
Kunst für Nicht-Kunstpublikum
Wie „Habitat" spielt auch dieses Werk mit den Bedeutungen des Ortes, für den es geschaffen wurde. So wie die Bemalung der Betonstützmauer an der B77 die Problematik der Klimaerwärmung anspricht, für die der Verkehr mitverantwortlich ist, so spielt „You will never walk alone" auf bildgebende Verfahren der Medizin, auf die Strahlentherapie, aber auch auf die therapeutische Begleitung durch das medizinische Personal am KABEG-Klinikum Klagenfurt an.
„Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Räumen, egal ob das Innenräume sind oder Außenräume in Städten, auf Mauern, Plätzen, wie auch immer - Raum inspiriert mich", sagt Bernhard Wolf im Interview. „Man muss erstens auf den Raum eingehen mit der Gestaltung, Formensprache und Dynamik. Was an einer Wand funktioniert, kann an einer anderen Wand überhaupt nicht aufgehen. Und der zweite Aspekt: Man muss im öffentlichen Raum beachten, dass man hauptsächlich für Nicht-Kunstpublikum entwirft. Das heißt man muss eine Formensprache wählen, die auch für Nicht-Kunstpublikum verständlich ist. Das ist ein Balanceakt zwischen der eigenen Handschrift und einer Kompatibilität für die Öffentlichkeit, und das finde ich sehr reizvoll."
Luftige Leichtigkeit gegen die Erdenschwere
Der Anspruch, mit seiner Kunst Schnittstellen zu einer breiteren Öffentlichkeit außerhalb des Kunstumfelds einzurichten, verbindet die aktuellen Arbeiten mit dem frühen Schaffen des Künstlers. Bernhard „Lupo" Wolf wurde 1965 in Kärnten geboren. Er kam Mitte der 1980er-Jahre zum Jus-Studium nach Graz und griff in den 1990er-Jahren an der Freien Akademie Moskau unter anderem Happening-Formen auf, die er, zurück in Graz, als Teil des freien Künstlerkollektivs FOND in künstlerisch travestierten Shows und Partyformaten auslebte.
In seinen bildnerischen Arbeiten ging der Autodidakt den Weg von freier Malerei hin zur Aneignung und Verfremdung von Logos und Codes, die nach und nach ihren Weg von Leinwänden auf Häuserwände fanden. Aber auch seine künstlerischen Erkundung der Parallelwelten von Russland und den USA, die er in den Jahren 2000 bzw. 2001 jeweils für sechs Monate bereiste, um darüber online zu berichten, zeugen von seiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit bzw. öffentlichen Wahrnehmung.
Damals wie heute gelingt es Bernhard Wolf, mit minimalen Interventionen die gewohnte Sichtweise zu hinterfragen und dem Erdschweren etwas luftig Leichtes zu geben. So etwa in der 2019 realisierten, temporären Arbeit „Support your Local Religion", wo er mit zwei sehr großen, angestrahlten Diskokugeln knapp drei Monate lang etwas tänzerische Partystimmung in den drückenden sakralen Raum des spätgotischen Doms von Maria Saal in Kärnten einziehen ließ.
Arbeiten in England, China und Bulgarien
In den Nullerjahren war Wolf vor allem als Kurator im Forum Stadtpark tätig, das er von 2007 bis 2010 gemeinsam mit Carola Pluhar-Peschl leitete. Ab 2015 verdichtet sich seine Werkliste wieder. Arbeiten und Aufträge führten ihn nach Kiew, London, Moskau, Plovdiv und Souzhou/Shanghai. Vor allem Bulgarien und China haben es Wolf angetan: Bulgarien durch die Tiefe der Geschichte, China durch den Optimismus der Bevölkerung, die dem westlichen, dystopischen Bild eines totalitären „Reichs der Mitte" widerspricht.
Dass er bald wieder nach China fährt, ist aber unwahrscheinlich - nicht nur wegen der Coronapandemie, sondern weil Bernhard Wolf die Konsequenzen aus seinen künstlerischen Einsichten zieht: „Ich habe mich entschlossen, nicht mehr zu fliegen. Die Auslandsprojekte werden wohl nur mehr im europäischen Ausland stattfinden. Nur mehr im Ausnahmefall will ich meinen Fuß noch einmal in einen Flieger setzen." - Unser Habitat Erde soll ihre jetzige Oberflächentemperatur von +15 °C möglichst lange beibehalten.
Werner Schandor
Stand: November 2021
Mehr über Bernhard Wolf im Podcast-Interview „Raum inspiriert mich": Der Künstler spricht im Interview mit Werner Schandor über seine Arbeiten für „Nicht-Kunstpublikum" im öffentlichen Raum und seine Erfahrungen bei Projekten in Bulgarien, Russland und China.