Präzise wie ein Horoskop
In vielen Arbeiten von Christina Helena Romirer – von Bühnenbildern bis hin zu Glückskeksen aus Keramik – erfahren Fragen zur gesellschaftlichen Interaktion der Menschen eine modellhafte Umsetzung.
„... ein zeitgenössisches Orakel" nennt Christina Helena Romirer im Untertitel eine Reihe von Keramikobjekten in Form von Glückskeksen. Die ersten „Fortune Cookies" entstanden mit Jahresbeginn 2020, als man erkannt hatte, dass es sich bei der Ausbreitung von Covid-19 um eine Pandemie handelt und man mit einer Unzahl diverser Vermutungen und Prognosen über die weitere Entwicklung konfrontiert war. Die Idee zu den Keksen entstand aus der Rezeption eines, wie Romirer im Gespräch erzählt, „Artikels über die Nicht-Vorhersagbarkeit - ja, eigentlich von allem", und wir wissen jetzt, „es kam noch viel schlimmer, als man es damals vermutete".
Mit Keramik hatte sich die Künstlerin bis dato noch nicht beschäftigt. Es galt jedenfalls, adäquates Material und Technik für die Umsetzung der Orakel-Thematik zu finden, wobei das abermals ironische Klischee zwischen Restaurant und Erfindung des Porzellans in China auf der Hand lag. Eingeladen zu einer italienischen Online-Ausstellung, waren zunächst Fotos der Arbeit zu sehen, ebenfalls 2020 dann bei < rotor > in Graz eine Plakatserie, und erstmals 2021 wurden die Cookies im Projektraum Viktor Bucher, Wien, zur Installation. Mittlerweile gibt es die weiß glasierten Glückskekse in drei Größen. Aktuell fertigt die Künstlerin etwa 100 Stück in kleinem Format, worauf Einladungen an Bekannte ergehen, kurze Wunschformeln zu verfassen, die in den Keramiken zu finden sein werden.
Künstlerische Betätigung alternativlos
Anderes als eine künstlerische Ausbildung stand für die 1982 in Graz geborene Christina Helena Romirer nie zur Debatte. In der Kindheit schon baute sie „Modelle" in Form von Häusern, fertigte dafür Mobiliar und Kleidung für Puppen und dachte daran, Modedesignerin zu werden. Nach dem Akademischen Gymnasium in Graz folgten die Studien für Bühnengestaltung zunächst an der Escola Superior de Teatro e Cinema in Lissabon, danach an der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst mit Diplomabschluss 2009. Ein weiteres Studium der Transmedialen Kunst schloss sie 2017 an der Universität für Angewandte Kunst in Wien ab.
Charakter des Modellhaften
Räumliche und jeweils deutlich von manueller Arbeit geprägte Konzepte überwiegen im Werk Romirers. Sie beschreibt ihr Verständnis der Ausführungen als „durchwegs vom Charakter des Modellhaften" bestimmt. Modellhaft freilich auch im Sinn einer Interpretation gesellschaftlicher Umstände. Gemeinsam mit Ulrich A. Reiterer beispielsweise richtete sie 2020 in einem leerstehenden Geschäftslokal in der Grazer Annenstraße die Installation „Le Trésor des Salaires" ein. Nach vorausgehender Umfrage unter Grazerinnen und Grazern nach deren Auffassung von bezahlter und unbezahlter Arbeit wurden Statistiken ausgewertet und, als in Pyramiden geschichtete Salzbarren, Quantitäten von unbezahlter und bezahlter Arbeit gegenüber gestellt. Zum Sinnbild wird hier auch das Salär, das auf die Entlohnung römischer Legionäre mit Salzrationen zurückgeführt wird. In Assoziation zum Salzamt wiederum steht auch die vergebliche Mühe im Raum.
Bühnen- und Raumgestaltung
Schon während ihrer Studienzeit übernahm sie etliche Aufträge für die Gestaltung von Bühnenbildern und Kostümen in Produktionen etwa der Vereinigten Bühnen Bozen, dem Wiener Volkstheater und dem Theater in der Drachengasse oder dem Grazer Theater im Bahnhof. Szenenbild und Kostüme in Spielfilmen von Johanna Moder stammen von ihr wie auch die Ausstattung für den Trailer des Steirischen Herbst 2010. Gemeinsam mit Ulrich Reiterer besorgte sie die Innengestaltung des Festivalzentrums der Regionale XII im oktogonalen Pavillon des Stifts St. Lambrecht.
Tropische Explosionen
Nach zuvor schon mehreren Aufenthalten als Gastkünstlerin war Romirer 2020 von der Flux Factory in New York eingeladen. Aufgrund der Pandemie kam sie vorzeitig nach Österreich zurück und wurde im Herbst von < rotor > zur Ausstellung „In der Schwebe. Eine gewisse - wenn auch ungewollte - Akrobatik" eingeladen. Ihre Installation aus Kupfer, Beton, Plastik und Klebeband unter dem Titel „Tropical Explosion" erweckt den Anschein, als wucherten Pflanzen durch gitterförmige Konstruktionen. Allerdings wird ihre Ausbreitung von, wie Romirer sie nennt, „Verhinderern" - Bollern aus Beton - beschränkt. Eine Allegorie wiederum, die auf Fragen etwelcher Progression verweist respektive, und konkreter, auf wirtschaftsbedingte Eingriffe in die Natur. Variiert hat sie das Thema 2021 im Salzburger Kunstraum St. Virgil. Es fiel ihr auf, erzählt die Künstlerin, dass in stadtnahen Wäldern seit einigen Jahren vermutlich von Kindern kegelförmige Gebilde aus gefundenem Astwerk gebaut werden. Man errichtet sich kleine Unterkünfte. Romirer abstrahiert nun diese „Schutzräume", gibt sie fragmentarisch wieder, indem sie Reisig abformt und in gebranntem Ton fertigt und nennt sie Shelter. Bruchstellen an den Tonobjekten werden zudem nach traditioneller japanischer Methode (Kintsugi) mit Gold- und Silberpigmenten ausgebessert.
Geisterbahn und Rollercoaster
Gesellschaft und öffentlicher Raum werden in mehreren Arbeiten thematisiert, damit aber auch - und wieder sinnbildlich - Fragen um Informationsgehalt, Wahrnehmung und Standpunkt. Nah der Wiener Salztorbrücke, auf einer Treppe zum Donaukanal, brachte sie 2013 vermeintliche Botschaften an. Vom Kopf der Treppe aus war WAS PASSIERT WENN zu lesen, vom gegenüber liegenden Ufer des Kanals WHAT HAPPENS WHEN. Kipp-Schriften in Ausstellungen (2016) mussten als solche zunächst erkannt werden. Aus gewissem Blickwinkel waren auf demselben Objekt die Worte borderline oder safetyzone lesbar.
Und noch vor den eingangs beschriebenen Fortune Cookies ging es 2020 gegenüber diversen Prognosen um die Nicht-Vorhersagbarkeit künftiger Ereignisse. In formaler Anlehnung an einen Flipperautomaten wurden in Zusammenarbeit mit Lena Gätjens und Paul Pritz drei Fenster des Forum Stadtpark unter dem Titel „Für morgen ist eine Prognose nicht sinnvoll" gestaltet. Links die in Gips abgenommene Oberfläche des Spielautomaten, in der Mitte eine Lichtmaschine mit Zufallsgenerator und rechts ein Gedicht von Romirer, das aus den Medien entnommenen Schlagzeilen und Werbe-Claims montiert war:
Bekenntnis und Konfrontation
The future is certain. Aber für morgen ist eine
Prognose nicht sinnvoll (cultivation uncertainty).
No one said this would be easy ... Beachten
Sie bitte die Regeln. Play it safe!
Are you ready for the ride? Do you still believe
in magic? Oder are you hoping for a miracle?
Geisterbahn und Rollercoaster: Es wird am
Ende das eine oder das andere sein. Bis endlich
Klarheit herrscht über der Insel Künstlichkeit
To put new words to problems, to name them as
they are; präzise wie ein Horoskop:
Diese Utopie scheint krachend zu scheitern. Die
Grammatik der Welt ändert sich - Ermittlungen
in diesem Bereich erfordern Zeit, Sensibilität
und Ihr Vertrauen. jetzt, auf der Stelle sofort.
Nichtsdestoweniger darf man an dieser Stelle
Bedenken anmelden.
Wenzel Mraček
Stand: April 2022