Die Fäden zwischen privat und politisch
Feminismus, Klimakatastrophe, Vergangenheitsbewältigung und Kapitalismus – die Themen, mit denen sich Adina Camhy in ihren Kurzfilmen, Soundarbeiten und Installationen beschäftigt, sind keine kleinen.
Mit einem schwebenden Folienenhai, einem Sprungturm als Wolkenkratzer und einem Mixer, der Blumen zeichnet, legt sie sanfte Rutschen zu manchmal sperrigen Inhalten. Ihre Arbeiten finden sich im öffentlichen Raum, in Schwimmbädern oder Kaffeehäusern ebenso wie auf Filmfestivals, in Kinos und Ausstellungen im In- und Ausland.
Intimität durch Distanz
Adina Camhy hat in Graz und Valencia Architektur studiert und macht aktuell einen Master in "Critical Studies" an der Akademie der bildenden Künste Wien. Aus der Architektur hat sie sachliche und strukturierte Herangehensweise mitgenommen, was wunderbar mit ihrem intrinsischen Interesse am menschlichen Zusammenleben harmoniert. Ihr Arbeitsprozess ist eine Mischung aus sorgfältiger Recherche, persönlichen Erfahrungen oder Erlebnissen und nicht zuletzt auch Zufall. Sie baut feine Fadenfiguren zwischen Großem und Kleinem, Privatem und Politischem, Intimem und Öffentlichem. Das Ergebnis berührt sowohl mit sinnlicher-poetischer Ästhetik als auch mit pragmatischer Sachlichkeit.
Der Kurzfilm "Mensch Maschine Or Putting Parts Together" (2019) erzählt die Geschichte einer Frau, die statt des ersehnten Synthesizers zum Geburtstag eine Küchenmaschine bekommt. Aus der Irritation entsteht ein philosophischer Essay, der das behaftete Spannungsfeld Technik und Gender aus einer ganz anderen Perspektive zeichnet. Wie auch in "Crater" (2022), der sich mit dem Ramon-Krater auf dem Mond und seinem gleichnamigen Pendant in der Wüste Negev, aber auch mit verletzlichen Oberflächen an uns selbst beschäftigt, nimmt sie die Zuseher*innen im Film mit auf ihre Reise der Erkenntnis. Dabei hält sie aber immer irgendwie eine Armlänge Abstand. Das schenkt Luft zum Atmen und Raum zum (Nach)Denken. Im Film "Passage" (2023), der als raumgreifende Projektion mit Sounds von Benedikt Alphart im Mobilen Pavillon der Steiermarkschau 2023 zu sehen war, stimuliert sie mit Bildern vom Mars die Zuseher*innen zum Sinnieren über die Kolonialisierung des Weltraums. Für "Die Physische Unmöglichkeit" (2022) nahm sie mit dem Künstler Michi Schmidl in einem aufgelassenen Schaukasten Platz, um über ihre Kunstprojekte zu diskutieren. Die beiden verwandelten den Glaskubus anschließend mit einem ferngesteuerten Heliumhai in ein Aquarium, das an den Formaldehydhai von Damien Hirst erinnert. Nur dass für ihre Kunst kein Tier sterben musste und die Materialien nur 20 Euro gekostet haben. Die Installation im öffentlichen Raum war bewusst auf die Umgebung im 20. Wiener Gemeindebezirk abgestimmt, sollte den dort ansässigen Bewohner*innen auf Augenhöhe begegnen. "Die physische Unmöglichkeit" entstand im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Stein im Glashaus", kuratiert von Andrea Habith und Pablo Chiereghin. Ein Glashaus im öffentlichen Raum inmitten des 20. Wiener Gemeindebezirks diente dabei als Veranstaltungsort für eine Reihe von Künstlergesprächen und Ausstellungen.
Lost and Found als Basis
Mit der Methode des Found Footage/Remix nutzt sie Vorhandenes, demontiert es und setzt es anders wieder zusammen. Unentdecktes an den Rändern der Aufmerksamkeit finden, Geschichten aufspüren, die sonst vielleicht keiner erzählen würde, verlangt eben, dass sie rausgeht und sich auf die Suche macht. "GrazRand" nennt sich die Publikation einer Expedition rund um die Stadt Graz. Gemeinsam mit Robin Klengel, Coline Robin und Markus Waitschacher unternahm sie im Rahmen des Kulturjahr 2020 eine siebentägige Wanderung entlang der Peripherie und verwertete das Erlebte und Gefundene in Collagen und Geschichten. Ähnlich geht sie auch bei ihren Konzerten und Soundprojekten vor. Mit Remixes bettet sie Field Recordings in einen Kontext oder Ort ein oder improvisiert mit der eigenen oft verfremdeten Stimme. Ihre Sounds bewegen sich irgendwo zwischen Ambient, Soundtrack, Improvisation, Experiment, Industrial, Noise, Metal, Drone und Pop. Im Oktober 2022 wurde sie von BigMama/disko404 als Opener für den Ambient-Musiker und Filmkomponisten Ben Frost gebucht, im Sommer 2023 gab sie bei einem Konzert am Krandaubelboot an der Donau eine Drone-Version des Donauwalzers zum Besten. Für die Soundarbeit "Wetland" (2023) hat sie gemeinsam mit Katrin Euller für das Ö1-Kunstradio Geräusche von Lobau-Aktivist*innen mit der Arbeit von Bill Fontana neu gemixt, der die Au-Besetzung in den 80ern akustisch eingefangen hat. Für "Droneland" (2022) inspizierten die beiden die Klänge rund um den Wiener Alberner Hafen in Simmering inmitten von Industriebauten, Aulandschaft und dem Friedhof der Namenlosen.
Ein Atelier-Aufenthaltsstipendium des Landes Steiermark führte die Künstlerin im Sommer 2023 nach Triest, wo sie in Wanderungen und Gesprächen den namensgebenden Karst der Gegend erkundete. Von einem Geologen ließ sie sich Messtechnologien erklären, die mit freiem Auge nicht sichtbare Römerstraßen lokalisieren können, und fand heraus, dass die Farbe, die zum Erforschen unterirdischer Flüsse benutzt wird, die gleiche ist, mit der Klimaaktivist*innen Brunnen einfärben. Aus diesen und vielen weiteren Entdeckungen, soll nun ein Film entstehen, der ebenfalls feine Verbindungen aufzeigt, die sonst nicht so einfach zu erkennen sind. Geplant ist auch eine Arbeit, die ein Triester Schwimmbad einbeziehen soll und an "Luftbad" (2022) anknüpft. Hierfür ließ sie einen abgerissenen Zehn-Meter-Sprungturm aus dem 1928 errichteten Wiener Kongressbad gleich 100 Meter als brutalistisches AR-Monument virtuell in die Höhe wachsen. "Luftbad" entstand im Rahmen von "Media and Sound Pool" im Wiener Kongreßbad in Kooperation mit Artifical Museum, kuratiert von Lona Gaikis / Czirp Czirp.
Filmfestival und Kaffeehaus
Während des Studiums fertigte sie im Kollektiv Tortuga selbst gedruckte und gebundene Zines zu Themen wie Lärm (2015) oder Körper (2017) an. Mittlerweile kann sie von ihrer Arbeit als Künstlerin leben. Sie erhielt Stipendien, Förderungen und Preise, wie den Kunstförderpreis der Stadt Graz (2017), eine Förderung der Stadt Graz für das kollaborative Projekt GrazRand im Kulturjahr 2020, die Förderung "Pixel, Bytes + Film" (2022) des Österreichischen Filminstituts und das Jahresstipendium des Landes Kärnten für interdisziplinäre Kunstformen (2023). Ihre Kurzfilme wurden auf zahlreichen Filmfestivals gezeigt, darunter BFI London Film Festival, Diagonale - Festival des österreichischen Films, Doclisboa, Curtocircuíto Festival International De Cine Santiago de Compostela, Milano Film Festival, Uppsala International Short Film Festival und Werkleitz Festival.
Website: https://adinacamhy.at/
Lydia Bißmann
Oktober 2023