Ein Faible für Zwischenräume
Freda Fiala lässt sich in ihrer Arbeit nicht durch Gattungszuschreibungen fassen. Als schreibende Kuratorin und kuratierende Schreibende hat die Literatin „eine pluridisziplinäre Praxis“ entwickelt, die der Forschung, der Recherche einen gleichberechtigten Platz in ihrer Arbeit zuweist.
Freda Fiala absolvierte Studien der Theaterwissenschaft und Sinologie sowie eine Ausbildung als Fotografin an der Akademie für angewandte Fotografie. Mehrjährige Aufenthalte im asiatischen Raum - in China, Hongkong und vor allem in Taiwan - und die damit verbundene intensive Beschäftigung mit Sprache, Theater und Performancekultur finden sowohl in ihre Lehrtätigkeit Eingang als auch in ihr Dissertationsprojekt. Anlässlich der Zuerkennung des Atelier-Aufenthaltsstipendiums des Landes Steiermark 2023 an Fiala führte manuskripte-Redakteurin Silvana Cimenti ein Interview mit ihr.
Silvana Cimenti: Liebe Freda, ich habe kürzlich im Rahmen einer Moderation von Doppelbegabten gesprochen, von Künstler:innen, die die Besonderheiten ihres Ausdrucks, in Bild, Darstellung, der Komposition von Musik, in ihr Schreiben transferieren. Die Bücher entstehen lassen, Texte, in denen die metrischen Akzente eines Musikstücks mitschwingen, in denen sich in jedem Satz die Bildgewalt großflächiger Zeichnungen manifestiert oder die die Flüchtigkeit eines Bühnenstücks in sich tragen, das beim Lesen Entschwindende. Und ich habe Dich neben Joachim Meyerhoff, Peter Henisch oder Sven Regener als Beispiel für eben diese Doppelbegabten erwähnt. Inwieweit nimmt Deine Arbeit als Kuratorin Einfluss auf Dein Schreiben? Ist es ein bewusstes Einbeziehen in den Produktionsakt - ich denke etwa an Deinen Text „seidentuch", in dem eine Performanz mitangelegt ist - und/oder kommen sich diese unterschiedlichen „Rollen" mitunter auch in die Quere?
Freda Fiala: Sich freundlich in die Quere zu kommen ist doch anregend, oder nicht? Meine Praxis entsteht jedenfalls an einem Punkt der Begegnung von Intuition und ausdauernde Recherche. Sie verfolgt eine Art erweiterte Neugierde, die von meinen Studienfächern Theaterwissenschaft und Sinologie weiter Richtung globale Kunstgeschichte, politische Geschichte, Digitalisierung, experimentelle Poesie, Musik, Anthropologie und Philosophie denkt. Ich habe so eine pluridisziplinäre Praxis entwickelt und arbeite mit einer Vielzahl von Methoden aus diesen Bereichen, um zu erforschen, zu schreiben, zu kuratieren.
Cimenti: Du hast auch eine Ausbildung als Fotografin an der Akademie für angewandte Fotografie absolviert. Wenn ich Textpassagen lese wie: „im halbdunkel dieser nun menschenleeren landschaft//unter diesem perlgrauen, stillstehenden licht//uns vom regen betäuben lassen, die zeit still stellen,//innehalten wie im flug" (aus: „regen", manuskripte 230/2020), dann manifestiert sich gleichsam eine bildliche Aufnahme. Dienen Fotografien manchmal als Ausgangspunkt Deines Schreibens?
Fiala: Dieses Stück ist aus einem Text, der die Stimmung in Hongkong nach den Protesten 2019 und den darauffolgenden politischen Wendepunkt zu erfassen versucht und sich dabei auch am Modus der Umschreibung, wie er in der klassischen chinesischen Poesie als Mittel der Kritik gebräuchlich ist, orientiert. Wenn es um den Blick geht, dann frage ich mich: Wer blickt, und von wo? Was wir vor uns sehen, findet in uns Echoräume, weil es umgekehrt auch uns anblickt und betrifft. Mich interessiert das Konzept von „embodied knowledge", verkörperlichtem Wissen: Was wir erfahren, das sich nicht direkt auf der sprachlichen Ebene verwirklicht, aber beharrlich auf diese einwirkt. Das kann man auch in einem transgenerationalen Sinn verstehen. Gewissermaßen ist verkörperlichtes Wissen das Gegenteil von einem Bild, oder wie Heiner Müller sagte: „Erfahrungen sind blind. Man kann eine Erfahrung nur machen, wenn man sie nicht auf den Begriff bringt." Das Schreiben ist dann eine Möglichkeit, Erfahrungen assoziativ zugänglich zu machen. Vielleicht ist es stets das Ringen damit, dass die Sehnsucht nach Welt in binäre Strukturen übersetzt werden muss, um mitteilbar zu werden. Körperliche Erfahrung ist zunächst das Gegenteil, sie ist nicht-binär und anti-algorithmisch.
Cimenti: 2020 hast Du den manuskripte-Literaturförderungspreis der Stadt Graz erhalten, und Du wurdest im Jahr darauf mit dem Rotahorn-Literaturpreis ausgezeichnet. In den Jury-Begründungen wurde explizit festgehalten, dass Du Dich jeglichen Gattungszuschreibungen entziehst, die Suche nach neuen Ausdrucksformen zum Programm Deines Schaffens erhoben hast. Wie wichtig ist es Dir selbst, nicht „festgemacht" werden zu können? Gibt Dir diese Form der Fluidität auch Freiheit in Deinem Tun?
Fiala: Im besten Fall schafft das Schreiben einen Moment der Ruhe, eine Leerstelle. Eine sanfte Intensität, in der die Dinge zueinander finden. „Es ist nicht leicht, über nichts zu schreiben", sagt der Cowboy in Patti Smiths Träumen im Buch „M Train". Diesem Versuch folge ich immer wieder.
Cimenti: Du hast Dich intensiv mit der chinesischen Kultur, Sprache und Geschichte beschäftigt, in Taipei (Taiwan) gelebt und auch Mandarin-Chinesisch gelernt. Das „Exotische" darf durchaus als Teil Deiner Kunststrategie gesehen werden, zudem hältst Du auch eine Lehrveranstaltung über Ostasiatische Performancegeschichte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Wann und wie hat diese Faszination für den ostasiatischen Raum begonnen?
Fiala: Performance hat grundlegend mit Begegnung zu tun. Der Körper ist dabei das künstlerische Medium, durch das sie sich artikuliert. Es war ausgehend von einem Interesse für die Performance- und Theaterkulturen in Ostasien, dem meine mehrjährigen Aufenthalte, insbesondere in Taiwan, ein anderes Weltverständnis geöffnet haben. Was bedeutet es, von Taiwan aus zu denken, einem Land, das von heterogenen kulturellen Einflüssen, wiederholter Kolonialherrschaft und mangelnder politischer Anerkennung geprägt ist, dabei aber eine zentrale Rolle im sensiblen Gleichgewicht der Interessen der Region Ostasien und auch der Welt spielt? Die Frage nach dem „Exotischen" betrifft dabei eine ästhetisierte Form von Rassismus, die eine Beschäftigung mit tief internalisierten Wahrnehmungsmustern herausfordert und komplexe reale Konsequenzen nach sich ziehen kann. Immer wieder erstaunt mich die Selbstgenügsamkeit und der kulturelle Essenzialismus Europas, um sich von den nicht-europäischen „Anderen" zu unterscheiden. In dieser Erzählung wird übersehen, woraus der Reichtum Europas entspringt, auf welche Art er erlangt wurde, und welchem materiellen Unterbau die geistigen Errungenschaften der Aufklärung oder die Etablierung der Menschenrechte und internationalen Gesetze tatsächlich ihren Ursprung verdanken. Von der europäischen Ausdehnung, die im Verlauf eines sechs Jahrhunderte währenden Prozesses weite Teile der Welt unterwarf, bleibt momentan ein durch Wokeness korrigiertes Europa im Bild zurück, das auf dem Leid und der Versklavung anderer aufgebaut wurde - fast immer ohne das Leiden jener zu würdigen, die diese Bürde trugen und in Konsequenz wirtschaftlicher Globalisierung forthin tragen. Allenfalls ist darin eine nostalgische Verklärung des Abenteuerlichen und Exotischen erhalten geblieben. Meine Arbeit ist daher auf verschiedenen Ebenen ein Versuch, Stereotype und festgefahrene Bilder des "Anderen" in Bewegung, zurück in die Begegnung zu bringen.
Cimenti: Es heißt, die Konfrontation mit dem Fremden verändert den Blick auf das Eigene. Inwieweit hat sich durch die Beschäftigung mit dem Mandarin-Chinesisch, mit dem Zeichnen von Schrift Dein Verständnis von Deiner Sprache, Dein Umgang mit ihr verändert?
Fiala: Eine neue Sprache zu lernen und das Übersetzen als tägliche Praxis zu bedienen, verschiebt das Vertrauen in die als eigen empfundene Sprache. Ich habe ein Faible für solche Zwischenräume. In dieser Hinsicht kommt mir ein Denken das die Konzentration auf Komplementarität anstelle von Gegensätzen betont entgegen. Einen Umgang mit dieser Situation finden, heißt weniger die Unterschiede zu betonen, sondern ihre Abstände zu erforschen. Auch wenn ich über kulturelle Fragen nachdenke, würde ich sagen, anstatt „über" zu schreiben, schreibe ich „mit" oder „in Richtung von".
Cimenti: Siehst Du Dich auch als Mittlerin zwischen den Kulturen?
Fiala: Es freut mich, dass es dieses Jahr gelungen ist, die erste Artist-Residency zwischen Taiwan und Österreich zu initiieren. Veränderung muss definitiv auch auf struktureller Basis stattfinden, und das war ein guter Schritt, für den ich allen Träger:innen und Unterstützer:innen dankbar bin.
Cimenti: Du hast das Atelier-Aufenthaltsstipendium des Landes Steiermark erhalten und arbeitest/forscht derzeit am Literarischen Colloquium Berlin. Auf der Website heißt es: „Sie sucht nach Wegen, Erfahrungen in experimentellen Formaten zugänglich zu machen". Möchtest Du uns von Deinem aktuellen Projekt erzählen?
Fiala: Gerade bereite ich eine Lesung und eine VR-Installation für die digitale „Villa of One's Own" (VOO Space) des Literarischen Colloquium vor. Für dieses virtuelle Gespräch recherchiere ich über die Umgebung des Hauses hier am Berliner Wannsee. Die meiste Zeit verbringe ich aber mit der Fertigstellung meiner Dissertation, die sich mit kontemporärer Performance und ihren kulturellen Netzwerken in und um Taiwan beschäftigt. Gerne bin ich auch in einem der Museen oder Performance-Häuser der Stadt unterwegs und lese die philosophischen Überlegungen zum Körper von Yuasa Yasuo, da die nächste Recherche-Reise mich nach Japan führen wird. Dazwischen beobachte das Licht am Wasser.
Silvana Cimenti
Oktober 2023