Wenn Stillleben Geschichten erzählen
Die Künstlerin Susanna Hofer nutzt das Medium Fotografie, um mit Stillleben Geschichten zu erzählen, wobei sie sich auf Materialität und Materialverschiebungen konzentriert.
Die Weststeirerin studierte zunächst Literaturwissenschaft, da sie schon früh vom Geschichtenerzählen fasziniert war, und wechselte nach dem Abschluss auf die Universität für Angewandte Kunst in Wien, wo sie Fotografie und Lehramt inskribierte. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit ist sie als Lehrerin für Bildnerische Erziehung in Wien tätig, was ihr ein zweites Standbein bietet und ermöglicht, kommerzielle Arbeiten abzulehnen, die nicht mit ihren künstlerischen Überzeugungen übereinstimmen.
Der Wechsel von der Literatur zur Fotografie war für sie die Verwirklichung eines langgehegten Traums. Damit wechselte sie von der verbalen Ebene der Literatur zur visuellen Ebene der Fotografie. Sowohl in kommerziellen Auftragsarbeiten als auch in freien Projekten findet man die unverwechselbare fotografische Ästhetik von Susanna Hofer wieder. Viele Firmen, aber auch renommierte Medien wie die „Süddeutsche Zeitung" oder die „Zeit" schätzen mittlerweile ihre künstlerische Handschrift und kommen gezielt auf sie zu.
Nach frustrierenden Erfahrungen in der Porträtfotografie fand Hofer ihre Erfüllung in der Arbeit an Stillleben, insbesondere mit Blumen und Steinen. Im Gegensatz zu vielen anderen Fotografen und Fotografinnen, bei denen menschliche Subjekte im Mittelpunkt stehen, haucht Hofer lieber unbelebten Materialien durch ihre Inszenierung Leben ein. Diese Art der Arbeit ermöglicht es ihr, den Einschränkungen der Porträtfotografie zu entkommen und sich auf eine dankbarere Form der künstlerischen Ausdrucksweise zu konzentrieren. E-Mails um 3 Uhr morgens wegen Retusche-Arbeiten gehören damit der Vergangenheit an
Archivarin der Materialität
In der Welt der Fotografie bewegt sich Susanna Hofer auf einer eigenen Ebene, die über das Medium hinausreicht. Für die Künstlerin besteht Fotografie nicht primär im Festhalten von Momenten, sondern sie ist ein komplexer Prozess, der Geduld erfordert. In Hofers künstlerischen Schaffen gibt es drei Ebenen: 1.) Die Inszenierung von Skulpturen bzw. Objekten aus unterschiedlichsten Materialien zu einer Stillleben-Collage, 2.) der Vorgang des Fotografierens selbst, bei dem das Licht - in der Regel natürliches Licht - im Mittelpunkt steht, und 3.) die Postproduktion am Computer, bei der digitale Aufnahmen oftmals in Richtung analoger Anmutung getrimmt werden, die Zeitlosigkeit ausstrahlt.
Ihre Arbeitsweise zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie ihre Bilder sorgfältig kuratiert. Ihre Fotos entstehen nicht in einem Augenblick, sondern erfordern mindestens drei bis vier Tage Planungszeit. Es gibt bei ihren Bildern keine zufälligen Schnappschüsse und auch keine Werbeagentur im Hintergrund, die Zeitdruck ausübt. Ihr fotografischer Fokus liegt auf dem natürlichen Licht im Tagesverlauf und der genauen Platzierung ihrer Arrangements im Raum. Hofers Bilder beleuchten Materialien zwar von einem Punkt aus, schaffen es aber durch Kontraste, Augenblicke aus scheinbar verschiedenen Blickwinkeln gleichzeitig zu inszenieren.
Susanna Hofer arbeitet skulptural mit Materialien, darunter Sammlungen von Mineralien, Naturalien, Muscheln und Korallen. Sie archiviert ihre eigenen Werke und sammelt Fotos von beispielsweise Steinformationen, um sie später in Collagen weiterverwenden zu können. Ihr digitales Archiv umfasst auch Scans alter Bücher, etwa Herbarien, die sie durch die Katalogisierung in ihr Medium überträgt. Diese Vielschichtigkeit spiegelt sich auch in Hofers Interesse an Kunsthandwerk wider, das sie nicht nur schätzt, sondern auch in ihre Arbeiten integriert. Das Kunsthandwerk ist für Hofer eine künstlerische Ausdrucksform, die mit einem klaren Konzept arbeitet.
Als Lehrerin vermittelt sie ihren Schülern daher handwerkliche Fertigkeiten, aber auch die Idee, dass alles, was mit einem Konzept oder Kontext existiert, Kunst sein kann. So ermutigt sie ihre Schülerinnen und Schüler dazu, ihre eigene künstlerische Stimme zu finden. Fabelwesen aus Draht, geschaffen von ihren Schülern, finden sogar ihren Platz in ihrer eigenen Arbeit. Zusätzlich nutzt Hofer Stipendien, um Kurse zu belegen und sich neue Fertigkeiten anzueignen, beispielsweise Tiffany-Glaskunst. Hofer bleibt somit stets auf der Suche nach neuen Wegen, ihre künstlerische Ausdrucksweise zu erweitern und zu vertiefen.
Glas und Kohle
Derzeit realisiert Susanna Hofer, die abwechselnd in Wien und auf der Pack lebt, mithilfe des „Kunstraum Steiermark"-Stipendiums intensiv der Glas- und Kohlegeschichte ihrer weststeirischen Heimatregion. Dabei setzt sie das dunkle Material Kohle mit dem transparenten Glas in einen visuellen und historischen Zusammenhang. 1988 gab es zu „Glas und Kohle" eine Landesausstellung, dessen Katalog Hofer antiquarisch erworben hat. Die Auseinandersetzung mit den beiden Materialien war damals männerdominiert. Hofer nutzt das „Kunstraum"-Stipendium 2023, um die Thematik aus fotografischer Sicht zu vertiefen und ihre eigene Bildsprache vor Ort umsetzen. Dabei kollaboriert sie mit Menschen vor Ort, vor allem Frauen, die einen ausgeprägten Bezug zu den Kohlewerken und Glasfabriken der Region hatten. Auch Historiker sind Teil des Teams, um die Geschichte und Bedeutung der Materialien zu erforschen. Der Recherche-Prozess integriert ökonomische, historische und feministische Perspektiven und gestaltet sich damit ebenso mosaikartig wie Hofers bisherige Werke. Dabei knüpft die Künstlerin an persönliche und familiengeschichtliche Verbindungen an: Die Großeltern wurden einst von einem Kohlebergbau-Unternehmen aus ihrem eigentlichen Haus „vertrieben" und erhielten als Ersatz ein Grundstück am Packer Stausee. Dieser persönliche Bezug zu den Relikten der Großeltern fließt in ihre künstlerische Arbeit ein.
Für das Jahr 2025 plant Susanna Hofer eine Ausstellung in genau diesem Haus, wobei sie die Relikte ihrer Großeltern als kostbaren Schatz betrachtet. Der Zimmerbrunnen aus Kohle, den sie aus der Kohlesammlung ihrer Großmutter gebaut hat, findet hier genauso Verwendung wie Fichtenharz. Die geplante Ausstellung wird somit nicht nur ein künstlerisches Projekt, sondern auch eine Würdigung der persönlichen Geschichte, eingebettet in die ökonomischen und sozialen Verflechtungen der Region.
Naima Noelle Schmidt
November 2023