Vergiftung und Wahrheit
Ihr Name klingt beinah wie ein Platzhalter, wie ein deutsches Pendant zu Jane Doe. Wer so heißt, kann leicht mit jemand anderem verwechselt werden, zumal hierzulande – die Literatur aber, die Maria Hofer schreibt, ist unverwechselbar. Ohne gezwungen originell zu sein, ist sie von eigener Prägung.
Es liegt noch nicht allzu viel von ihr vor, doch das Wenige ist allemal der Rede wert. Einiges Aufsehen erregt hat zuletzt Hofers Roman „Arsen", der im Herbst 2023 bei Leykam erschien und ihr nicht nur den Literaturpreis „Schreiberei" einbrachte, sondern auch großes Lob der Kritik. Man war versucht, hier den furiosen, im besten Sinne des Wortes eigen-sinnigen Erstling einer neuen, vielversprechenden Prosaautorin zu begrüßen - dabei ist „Arsen" bereits ihr zweites Buch. Das erste, der Kurzroman „Jauche", erschien 2015 und fand vergleichsweise geringe Beachtung. Dabei klingen hier schon alle Motive an, die in „Arsen" schließlich zu Leitmotiven werden. Von dem deutschen Ehepaar, das in einem namenlosen österreichischen Provinzdorf ungeachtet des Jauchegeruchs, der sich dort über die Landschaft legt, seinen Sommerurlaub verbringt, heißt es in dem für die Autorin charakteristischen lakonischen Stil: „Beate und Kai genießen die Ursprünglichkeit hier trotzdem. Der Salat schmeckt noch nach Salat und die Butter wie Butter, nur intensiver, echter, authentischer."
Um intensive Erlebnisse, um das Ursprüngliche und Echte (oder das, was zumindest als „ursprünglich" und „echt" gepriesen wird), um die Entdeckung des Authentischen (oder dessen, was sich als authentisch verkaufen lässt, im Tauschhandel gegen unstillbare Sehnsüchte und unerwiderte Gefühle) ist es auch jener Gruppe von Menschen zu tun, die uns in „Arsen" begegnet. Es sind Menschen verschiedenen Alters und verschiedener sozialer Herkunft, die aber eines eint: das Verlangen, den festgefahrenen Geleisen ihres Daseins zu entkommen, ihrer privilegierten Stellung (Loth), ihren bedrückenden sozialen Verhältnissen (Nora), ihrer häuslichen Tristesse (Vera), ihren steckengebliebenen Karrieren (Rupert), ihren Denkmustern, ihren Gewohnheiten und ihrer Gewöhnlichkeit, kurzum: ihrem Alltag. Sie suchen ihr Heil in einer künstlich wiederbelebten Vergangenheit, versuchen ohne Strom, ohne modernen Komfort zu leben, mit Stein und Beil zu hantieren, ganz nach dem Motto „je steinzeitlicher, desto besser".
Energydrinkgrün
Ihre Sehnsucht, zur Natur zurückzufinden und dabei sich selbst zu vergessen, führt sie alle nach Arndorf, einem „Ort kurz vor einer Vegetationsgrenze ins Unwohnliche". Die Autorin lokalisiert ihn nicht näher, auch skizziert sie ihn mehr, als dass sie ihn beschreibt: „Arndorf hat keine Form, nur jede Menge Potenzial." Es ist ein Sehnsuchtsort, der sich als Tummelplatz für Gurus und Sektierer entpuppt, für experimentelle Archäologen, Schatzsucher und Schwurbler, wo man in Esoterikworkshops miteinander wetteifert, wer schneller erleuchtet wird, wo die Tage vergehen zwischen meditativem Brunchen, Heilsteinkult und Sensenkursen, zwischen Hüttrauch und Hüttenabenden, altem Handwerk und alternativer Kosmetik, ein Ort jenseits von Handel und Wandel, der selbst zum Produkt wird, zum Produkt alles dessen, was in ihn, von nah und fern, hineingetragen wird an Erwartungen und Projektionen. Das Gras ist hier „energydrinkgrün", wie es an einer Stelle sarkastisch heißt, die Almwiesen sehen so „idyllisch und friedlich unberührt" aus, „dass sie aus einer Werbung kommen könnten".
In einer Rezension wurde das Buch als Satire bezeichnet, doch ist es ebenso wenig eine Satire wie ein Roman im üblichen Sinne, flüssig heruntererzählt, mit tragenden Konflikten und der dazugehörigen Psychologie. Nein, was Maria Hofer hier vorgelegt hat, ist eine Reportage im besten Sinne des Wortes, präzise, pointiert, detailgenau und voller ironischer Glanzlichter,
nah an der Gegenwart, nah an den Dingen. Wie jede gute Reportage hat sie enthüllende Wirkung: sie geht einem Gegenwartsmythos auf den Grund, dem Mythos von der Regeneration an den Quellen der Kultur, wo alles in Achtsamkeit wohnt und vor Gesundheit nur so strotzt. Diese durch Fernseh- und Hochglanzmagazine geprägte, auf tausenden Social-Media-Kanälen und in Myriaden von Bildern verbreitete Utopie durchleuchtet sie schonungslos in einer Sprache, die vieles zeigt, aber nichts demonstriert, die vieles andeutet, aber nichts ausdeutet, die viel weiß, ohne besserwisserisch zu sein.
Gift und Aufputschmittel
Maria Hofer wurde 1987 in der Steiermark geboren, sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Wien. Dass zwischen ihrem ersten und ihrem zweiten Buch acht Jahre liegen, kommt nicht von ungefähr; für den Roman um das geheimnisvolle, vielgestaltige „Arsen", ebenso als Gift bekannt wie als Aufputschmittel, habe sie, wie sie erzählt, enorm viel recherchiert, viel gelesen, sich vieles erst aneignen müssen. Es war kein schneller Wurf, sondern ein langer Entstehungsprozess, und es ist auch kein Text, der sich leicht und schnell liest, kein Lesefutter zum raschen Verzehr zwischendurch.
Von der vielzitierten und vielbeschworenen Anti-Heimatliteratur trennt Maria Hofers Prosa vor allem ihr Humor und ihr ausgeprägter Sinn für das Absurde. Beides setzt eine gewisse Distanz voraus, einen inneren Abstand vom Stoff, wie es ihn in der bekenntnishaften, die Verhältnisse anklagenden Anti-Heimat-Literatur à la Innerhofer nicht gibt. Dem Begriff der „Anti-Heimatliteratur" kann Maria Hofer, wie sie gesteht, nichts abgewinnen. „Diese ewige Diskussion: Ist es ein Heimatroman, ist es ein Antiheimatroman - für mich gibt es da keinen Unterschied, es kommt darauf an, wie man es liest", sagt sie im Gespräch - und legt damit eine Spur. Denn auch ihre Bücher kann man auf viele Weisen lesen, mit Schaudern oder mit großem Amüsement, mit Befremden oder großem Einverständnis, je nachdem. Sie sind nicht für oder gegen etwas geschrieben, enthalten viele kleine ausschnitthafte Welt-Bilder, doch kein festgefügtes, durchdekliniertes Bild von der Welt; vieles ist vorläufig, wenig endgültig, vieles beklemmend, mehr aber noch lässt einen befreiend auflachen.
„Ich will keine Literatur schreiben, die so stark probiert, unbedingt schön zu sein und gezwungen poetisch. Das hat für mich kein kritisches Potenzial", sagt Maria Hofer im Gespräch. „Ich will schon auch so schreiben, dass ich es selber witzig finde."
Nach der Lektüre ihrer ersten beiden Bücher glaubt man ihr das aufs Wort - und freut sich auf die nächsten.
Christian Teissl
Juni 2024